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Von Kopf bis Fuß kohlrabenschwarz
ОглавлениеWährend in der Zeit auf dem Dorf die Lagerstätten und Verstecke vornehmlich im Wald gebaut wurden, war das in der Stadt ganz anders, hier wurden andere Gegebenheiten, wenn auch wesentlich gefährlicher, zum Spielen und Verstecken genutzt.
In den 1960er Jahren fuhren auf der nahen Eisenbahnstrecke und dem großen Bahnhof hauptsächlich noch Dampflokomotiven. Nicht die Kleinen es waren die ganz Großen, die die viel schwarzen Rauch und weißen Dampf ausstießen. Ganz in der Nähe der elterlichen Wohnung führte eine breite Eisenbahnbrücke über eine der großen Ausfallstraßen. Nun waren Stefan und seine beiden Freunde Karl und Friedrich hervorragende Entdecker. Ziemlich in der Mitte der Brücke befand sich eine Auswaschung, die wohl durch den Regen entstanden war, sie war etwa so groß, dass ein Kind mit höchstens acht bis zehn Jahren hineinpasste. Die Kinder gingen in gebückter Haltung dort hinein und fanden sich direkt unter den Gleisen wieder. Das ideale Versteck war gefunden, sie besorgten sich Sitzgelegenheiten, es waren alte Töpfe und richteten sich so ihr neues Lager ein. Spannend wurde es, wenn die großen Dampflokomotiven langsam über sie hinweg fuhren oder hin und her rangierten und dabei sich die Gleise nach unten durch drückten. Da kam es oft vor, dass über ihnen Dampf abgelassen wurde und sie im heißen Dunst saßen, aber meist flüchteten sie ein Stück in Richtung Ausgang. Einige Male wurden sie von heißen Wasserspritzern im Gesicht getroffen.
Ob es da unten gefährlich sein konnte kam den Burschen nicht in den Sinn. Als sie wieder am Tageslicht angekommen waren und die drei sich ansahen mussten sie alle lauthals lachen, sie waren von Kopf bis Fuß kohlrabenschwarz. Als Stefan dann nach Hause kam schimpfte seine Mutti und steckte ihn erst einmal in die Badewanne und seine Kleider in die Waschmaschine. Sein Vati amüsierte sich köstlich über seinen Sohn. Als die drei das nächste Mal in ihr neues Versteck wollten, wurden sie von einer Frau beobachtet, die die Jungs sofort ansprach und ihnen erklärte wie gefährlich es da unten sei. Da die drei gehorsam erzogen waren, ließen sie es sein.
Sie wären nicht Stefan, Karl und Friedrich gewesen, wenn sie nicht einen Ersatz gefunden hätten.
Alle drei Jungs streunten am Fluss entlang und entdeckten eine große vergitterte Öffnung knapp über dem Wasser. Sie stiegen hinab, um sie zu untersuchen, keiner von ihnen wusste, wozu sie da war. Es gab entlang des Ufers, gerade bei den Fabriken, kleinere runde Öffnungen aus denen Wochentags irgend eine stinkige Brühe in den Fluss lief. Aber was sie hier sahen war größer, vergittert und es kam nichts heraus. Gebückt hätte man als Erwachsener dort laufen können, als Kinder konnten die drei aufrecht gehen. Nun als Karl so am Gitter rüttelte, merkte er, das sich das Gitter drehen ließ, man konnte nun hereinkrabbeln. Gesagt getan, alle drei gingen ein paar wenige Meter in den Schacht, bis sie nichts mehr sahen und kehrten dann wieder um. Oben am Ufer angekommen berieten sie sich wo der Gang hinführen könnte. Ohne Taschenlampe kommen wir da nicht weiter meinte Friedrich, also auf nach Hause und jeder sollte am nächsten Tag nach der Schule eine Lampe mit bringen.
Stefan konnte vor lauter Spannung kaum schlafen und so gingen sie nach der Schule wieder los, diesmal mit Batterielampen. In den dunklen Gang waren die drei schnell wieder gelangt. Nun gingen sie im Schein der Taschenlampen den Gang entlang. Nach ein paar hundert Metern machte der Tunnel einen Bogen nach links, um dann weitere hunderte Meter geradeaus zu verlaufen. Alle drei waren gespannt wie Flitzbogen, was sie am Ende erwarten würde. Nach einigen Minuten hörten sie ein Rauschen und Plätschern, es hörte sich an wie fließendes Wasser, die Spannung stieg. Das Rauschen wurde lauter, als sie am Ende des unterirdischen Tunnel ankamen eröffnete sich ihnen ein großer Raum mit verschiedenen Rinnen und Röhren.
So etwas hatten sie noch nie gesehen, wo waren sie hier gelandet, welchen Zweck hatte das unterirdische Bauwerk? Die Jungs befanden sich unter einer großen Straßenkreuzung ungefähr 500 Meter vom Flussufer entfernt. Dort unten stank es fürchterlich nach Kloake, aus den kleineren Röhren floss das Abwasser ziemlich schnell in die beiden offenen Rinnen, die dann wieder in zwei größere Röhren mündeten. Das war also die geheimnisvolle Welt unter der Stadt. Andere Jungs wären vielleicht jetzt zufrieden gewesen und hätten den Rückzug angetreten, nicht aber die drei Freunde Stefan, Karl und Friedrich. Jetzt fing der Spaß erst richtig an, sie überlegten sich was man hier unten alles für ein Lager gebrauchen konnte und natürlich wollten sie auch wissen, wo die kleineren Röhren hinführten. Also für die Erkundung der Röhren brauchten sie unbedingt Gummistiefel, Taschenlampen hatten sie ja bereits.
Sie brauchten noch drei Sitzgelegenheiten und etwas was als Tisch gehen würde. Für die Sitze nahmen sie alte Eimer und als Tisch nahmen sie einen Bierkasten, die waren damals noch aus Holz. Kerzen und Streichhölzer brauchten sie auch noch, sie wollten es ja auch etwas gemütlich haben. So gingen sie im Licht der Lampen wieder in Richtung Ausgang, um am nächsten Tag wiederzukommen. Dass sie zu Hause angekommen, stanken als seien sie in eine Jauchegrube gefallen, störte sie dabei recht wenig, in der Badewanne wird man wieder sauber.
Am nächsten Tag war es dann so weit, nachdem alles Nötige besorgt war. Am Tunnel angekommen krabbelten sie wieder rein, nach ein paar Meter kam Friedrich auf die Idee, mal die Kerzen auszuprobieren, ob das Licht zum Laufen reichen würde. Nach ein paar Streichhölzern später brannte die Kerze, eine Hand musste dabei als Windschutz dienen, damit die Flamme nicht aus ging, denn es zog da unten. Allerdings gingen den dreien immer wieder die Lichter aus, was die drei nicht verstanden. Also gut wenn nicht mit den Kerzen, dann mit den Taschenlampen. Als sie sich ihre Lagerstätte eingerichtet hatten, wollte Karl unbedingt die Röhren erkunden, so stieg er vorsichtig auf die erste Rinne und von dort auf die Zweite.
Er musste vorsichtig sein, denn dass stinkige Wasser spritzte auch auf den Rinnenrand, wodurch er glitschig wurde. Nun war Karl soweit, dass er in die erste Röhre einsteigen konnte, schwupp und schon rutschte er aus, konnte sich gerade noch an der Wand der Röhre festhalten. Die anderen beiden, Stefan und Friedrich bekamen einen großen Schrecken und wollten Karl zum Abbruch bewegen, war das Ganze jetzt doch zu gefährlich. Doch Karl ließ sich nicht beirren, er war halt doch ein mutiger Draufgänger. So ging er sehr vorsichtig Schritt für Schritt weiter, als er dann nach ein paar Metern an der ersten Biegung ankam, riss das reißende Wasser ihm die Beine weg. Er fiel mit dem Gesicht voran in die Fluten. Friedrich und Stefan schrien auf und dachten da kommt Karl nicht mehr hoch und wird ertrinken. Karl kämpfte um sein Leben, seine Freunde konnten nur zusehen wie es ihren Freund in die größere Rinne zog. Oh nein, sie mussten ihn zu fassen kriegen, es gelang ihnen. Mit letzter Kraft zogen sie ihren Freund aus dem Wasser.
Der Schreck saß ihnen nun tief in den Gliedern, beinahe hätten sie ihren Freund für immer verloren. Nass bis auf die Haut begleiteten Stefan und Friedrich ihren Freund Karl bis nach Hause. Für die nächsten Tage war das Thema Tunnel passe. Allerdings bereits nach ein paar Tagen bekamen sie wieder Mut und gingen erneut in ihr Lager, allerdings ohne die Röhren weiter untersuchen zu wollen. Die drei brachten es sogar fertig da unten ein Lagerfeuer anzuzünden, das Brennmaterial hatten sie sich mitgebracht. Als das Feuer dann richtig brannte, war da unten alles voller Rauch, der zum Glück nach oben durch einen Kanaldeckel abzog. Sicherlich dachten so manche Autofahrer, da gibt jemand in der Kanalisation Rauchzeichen.
Als die drei das nächste Mal dort unten einstiegen, machten sie auch kein Feuer mehr, denn es hätte sie verraten können. Als sie sich wieder auf den Rückweg machten und mit ihren Taschenlampen den Tunnel ausleuchteten, kam ihnen ein einzelnes Licht entgegen, auweia jetzt sind wir reif, dachten alle drei. Wegrennen ging nicht, wo hätten sie auch hin sollen, also blieben sie stehen und warteten ab was nun geschehen würde. Eine männliche Stimme eines Erwachsenen sprach sie an und fragte alle was sie hier machen würden. Es stand ein Polizist in Uniform vor ihnen. Zittrig vor Angst, gestanden sie, dass sie hier unten ein Lager gebaut hätten. Er war freundlich und geleitete sie zurück zum Ausgang am Fluss. Oben am Uferweg angekommen gab es trotz seiner Freundlichkeit eine Standpauke. Er erklärte, dass sie hätten wegen der schlechten Luft da unten ohnmächtig werden und ersticken können, euch hätte dort unten niemand gefunden. Jetzt wussten auch alle drei, warum die Kerzen immer ausgingen.
Auf Stefans Frage woher der Polizist wusste, dass sie dort unten waren meinte dieser, ich habe euch bereits gesehen als ihr zum Flussufer gegangen seid. Auf einmal habe ich euch nicht mehr gesehen, das kam ihm komisch vor, deshalb ging er ebenfalls zum Ufer und konnte sich nicht erklären wo sie abgeblieben waren. Nach einigen Minuten des Suchens sah er den Zugang zum Tunnel, die drei Jungs konnten nur dort verschwunden sein, deshalb sei er dann auch eingestiegen. Er nahm ihnen das Versprechen ab, dass sie niemals mehr dort heruntergehen, das gaben sie ihm sehr gerne. Ihre Eltern erfuhren zum Glück nichts von diesem Erlebnis. Im Nachhinein betrachtet, hatte der Polizeibeamte, er war noch recht jung, wahrscheinlich ebenfalls solche Abenteuer hinter sich, bei soviel Verständnis.