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Tag 15

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Die Schlaflosigkeit lässt mich nicht los, sondern laugt mich aus wie eine anspruchsvolle Geliebte. Die Nacht hat mir weder Erholung noch Erleichterung verschafft. Wieder bin ich sehr spät eingeschlafen und schon vor dem Wecken aufgewacht. (»Vor Sonnenaufgang« trifft es nicht, denn der Sonnenaufgang ist genauso verschwunden wie der Sonnenuntergang.) Ich bin noch gar nicht richtig zu mir gekommen und habe noch nicht einmal die Augen geöffnet, da war ein kleiner innerer Teufel schon in Schwung: Er sprang auf den »inneren Marktpatz« und wollte alle anderen Dämonen dazu verführen, sich über die Morgenmahlzeit herzumachen, ehe noch der Herr des Hauses munter war. Die anderen Dämonen – sicher verwahrt hinter einem soliden Zaun – tuteten ins selbe Horn. Endlich war ich wach, schlug die Hungerrebellion nieder und jagte die Dämonen zurück unter ihre Bänke und in ihre Hütten. Ich sagte ihnen, dass wir uns so wacker halten würden wie die Waräger nach dem zwölften Einschlag eines feindlichen Geschosses. Wahrscheinlich macht der Hunger dem Gehirn mehr zu schaffen als dem Magen.

Am Morgen fiel feiner Schnee, dem lediglich die entscheidende Portion Frechheit fehlte, um größere Flocken zu bilden, obwohl der pfeifende Wind ihn nach Kräften anstachelte. Der Musikwart hat einen Knastsong runtergeladen und spielt ihn den ganzen Tag rauf und runter. Ich finde, diese Lieder sind überhaupt nicht authentisch, die Interpreten singen über Dinge, die sie nie erlebt haben, und das merkt man, da nützen auch die heiseren Stimmen, Slangwörter und Subsprachen nichts. Die einzige Ausnahme ist wahrscheinlich Krug, der hat zwar nicht gesessen, aber er kann sich gut in einen Häftling reinversetzen, und das kommt dann auch rüber. Im Knast wird Chanson heute vor allem von den Leuten über 40 gehört, die jüngeren hören Gangsta-Rap oder Pop. Der Bock in meinem Gebäude ist übrigens einer von diesen alten Säcken, die in Bezug auf die Musik nicht besonders anspruchsvoll sind, wenn ich nach dem gehe, was da in den letzten zwei Wochen so aus seinem Rekorder zu hören war. Was mich aber viel mehr erstaunt, ist der Umstand, wie jemand, der sich von den normalen Formen des kriminellen und profanen Lebens verabschiedet und sich auf die Zusammenarbeit mit der Verwaltung eingelassen hat, und noch dazu in einem für normale Knackis so traurigen Bereich wie dem Sicherheitsdienst, nichts dabei findet, Songs laufen zu lassen, in denen die kriminelle Romantik und die Gemeinheit der Miliz besungen wird. Jeder Mensch findet eben eine Rechtfertigung für das eigene Verhalten und hält sich für einen guten Menschen.

Ich lese Jewgeni Ilf und Ilja Petrow. Gestern habe ich »Die zwölf Stühle« zu Ende gelesen, heute beginne ich »Das goldene Kalb«. Ich habe dieses Buch mit dreizehn schon einmal gelesen, und damals hat es mich nicht besonders angesprochen, was auch nicht verwunderlich ist, ich war einfach noch zu jung. Die Bücher sind nicht besonders dick, aber ich lasse mir Zeit. Allerdings ziehe ich die Lektüre nicht so in die Länge wie bei Murakami, irgendwie fehlt mir auch die Kraft zum Lesen. »Die zwölf Stühle« ist natürlich ein gutes Buch, aber die Verfilmungen gefallen mir besser. Vielleicht weil ich sie zuerst gesehen und mir seitdem noch mehrmals angeschaut habe, vielleicht kann ich überhaupt mit Filmen mehr anfangen als mit Büchern, vielleicht gibt es auch noch ganz andere Gründe. Das Original von Ilf und Petrow kommt mir ein bisschen blass vor, wie eine Schwarz-Weiß-Vorlage zum Ausmalen. Die Drehbuchautoren und Regisseure haben alles Überflüssige weggelassen, darunter auch die zeitbezogene Satire, von der es in beiden Büchern eine ganze Menge gibt, und sich auf das Wesentliche konzentriert. Sie haben die zeitlosen Protagonisten und die spannende Handlung aufgepeppt, Kernaussagen gefunden, sie mit Hilfe großartiger Schauspieler in Szene gesetzt, und so sind alle drei sowjetischen Verfilmungen Meisterwerke, gegenüber denen die literarische Vorlage abfällt, zumindest für mich. Ich habe auch andere, postsowjetische und sogar ausländische Verfilmungen dieses zeitlosen Stoffes gesehen, aber an die drei Streifen kommen sie nicht heran. Wobei Gaidais Film meiner Meinung nach schwächer ist. Er hat die Ironie der Autoren nicht richtig getroffen. Er zeigt viele professionelle Gags, originelle Einfälle und seine gewohnte Brillanz, aber trotzdem fehlt etwas. Und Bender ist bei ihm nicht der geniale Schlaukopf, sondern eher ein hektischer kleiner Betrüger. Sacharow indessen hat »Die zwölf Stühle« in einem eher gemächlichen Rhythmus aufgenommen, der später zu seinem berühmten Theaterstil geworden ist. Mit dem ehrwürdigen und intelligenten Mironow in der Hauptrolle und seinem wundervollen Partner Papa-now. Abgesehen von gewissen Längen, die dem Fernsehserienformat geschuldet sind, passt der Film besser zu Ilf und Petrow und gefällt mir besser als Gaidais Streifen. Und die älteste Schwarz-Weiß-Verfilmung der »Antilope« ist sowieso ein kleines Meisterwerk. Leider kann ich mich an den Namen des Regisseurs nicht mehr erinnern11, aber er hat so viel Klasse und Talent gezeigt, dass der Film einfach über jede Kritik erhaben ist. Vielleicht wagt sich deswegen niemand an eine Neuverfilmung, obwohl der Film schon fünfzig Jahre alt ist. Das lässt sich einfach nicht überbieten! An dem Film kann man lernen, wie es geht.

Besuch im Krankentrakt. Proben, Untersuchung, Infusion. Dem Kater geht es besser, aber der Doktor befürchtet neuropsychologische Folgen der Arzneimittelvergiftung. Der Tierquäler hat ein Geständnis abgelegt und zeigt Reue. Noch hat ihm der Doktor nicht verziehen, aber immerhin pumpt er ihn nicht länger mit Neuroleptika voll. Aus den Boxen an seinem Computer tönt ein Lied, ein Mix aus: »Gott schütze den Zaren« und »Das Imperium vergeht nicht, und ich weiß, die Seele kann nicht sterben«. Der Track des Tages, wenn der Vorhang fällt.

11Gemeint ist die Verfilmung von Michail Schweizer aus dem Jahr 1968, Anm. d. Red.

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