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Tag 25

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Mit zwei Decken war die Nacht warm und angenehm, ich habe gut geschlafen. Dabei ist es schwer mit dem Schlaf – vom Licht her lassen sich Tag und Nacht überhaupt nicht mehr unterscheiden, auch tagsüber dringt kaum Sonne durch den verhangenen Himmel. In den letzten Tagen war mein Befinden im Prinzip stabil, obwohl ich schwach war und mir die Kraft gefehlt hat. Ich stehe nicht abrupt aus dem Bett auf, sonst wird mir schwindelig, und ich muss erst Kraft dafür sammeln, die innere Batterie ist so gut wie leer. Ich habe überhaupt keine Lust, in meinem neuen Domizil auf und ab zu gehen. Ich möchte lieber sitzen und noch lieber liegen. Ich bewege mich nur, wenn es nötig ist: Toilette, Wasser holen, ärztliche Untersuchungen, Proben, Behandlungen und zweimal pro Tag die Fernsehnachrichten. Heute Morgen habe ich mich besonders schlecht gefühlt. Es kam plötzlich und war sehr heftig. Bei der Untersuchung wurde der Blutdruck gemessen: der Oberdruck war 73, kein Wunder, dass ich mich so schlapp fühle. Nachher kommt die Infusion, danach ist es immer besser.

Was angenehm ist: Mein Bett steht direkt am Fenster, und wenn ich mich mit dem Rücken gegen das Fensterbrett lehne, kann ich bei Tageslicht lesen. Nach so vielen Jahren Lesen bei künstlichem Licht ist das einfach eine Wonne. Meine Augen freuen sich. Aber ich merke, dass meine Sehkraft abgenommen hat, was natürlich nicht verwunderlich ist. Die Tür meines Zimmers Nummer 1, die zur Hälfte verglast ist, liegt direkt neben der Stationstür, dem Waschraum und dem Speisesaal, bei mir kommen also alle vorbei. Mich interessiert es kaum, was da draußen im Korridor passiert. Aber die Leute, die vorbeigehen, interessieren sich brennend für das Leben und den Alltag des gefährlichen Häftlings. Ich bin so etwas wie der einzige Teilnehmer der Reality Show »Hinter der Scheibe«. Ich nehme das nicht weiter tragisch, das erste Interesse wird sich sowieso bald legen, das ist ja immer so. Im Erdgeschoss des Krankentraktes sitzt rund um die Uhr ein Milizionär, der die Häftlinge in der Ambulanz und auf der Station kontrolliert. Er führt jetzt bei mir die Kontrollen und Registrierungen im Zwei-Stunden-Takt durch. Der DGLL muss sich mit diesen niederen Tätigkeiten also nicht mehr befassen, beaufsichtigt aber weiterhin das ritualisierte Auf- und Abtragen der Speisen sowie das Messen der Raumtemperatur.

Als ich neulich geduscht habe, war ich nicht nur von dem Skelett frappiert, das mich aus dem Spiegel anblickte, sondern auch von dem netten Duschkabinchen. Obwohl die Verniedlichungsform für dieses Plastikmonster eigentlich nicht angebracht ist. So etwas habe ich noch in keinem Gefängnis gesehen, normalerweise gibt es einfache Blechkannen ohne Trichter, zwei Wasserhähne und ein Loch im Boden. Eine Gummimatte ist schon Luxus. Und hier steht nun so ein zwar leicht ramponiertes, aber ganz modernes Schickimicki-Teil. Da könnten gut und gern zwei Personen zusammen duschen, das ist allerdings unter Knackis nicht üblich. Die Dusche hat ein elektronisches Bedienfeld für verschiedene Modi, mehrere Strahlarten, einen Sitz für Wassermassage und so weiter und so fort, es gibt sogar eine Lichtorgel und Lautsprecher. Ich singe nicht gern unter der Dusche, deswegen habe ich keine Backing-Tracks eingestellt, aber die Duschkabine nötigt mir Respekt ab, wenn auch ihre meisten Funktionen außer Betrieb sind. Das Geheimnis, wie dieses Wunderding auf die Krankenstation gekommen ist, lässt sich schnell lüften. Der Arzt hatte die Wunderdusche für seine frühere Wohnung angeschafft, in der sie fast das ganze Badezimmer einnahm. Sehr zu seinem Verdruss, aber seine reizende Gattin hatte sie sich nun einmal gewünscht. Als der Umzug ins neue Heim anstand, stellte sich heraus, dass das Bad dort noch kleiner war, und deswegen musste man sich des Duschmonsters entledigen. Freudig übereignete der Arzt die Duschkabine der Krankenstation. Manche Leute schleppen von der Arbeitsstelle Sachen weg, andere welche hin. Je nachdem, ob man sich mit seiner Arbeit identifiziert oder nicht. Der Doktor gehörte zu der Sorte, die alles hinschleppen. Ins Revier.

In der Laufzeile der Nachrichten wurde heute gemeldet, dass Kira Muratowa, die bekannte Regisseurin, in Odessa gestorben ist. Das ist traurig. Mit dreiundachtzig war sie natürlich nicht mehr ganz jung. Und sie hat wirklich einiges geleistet. Ich habe sie nicht persönlich gekannt, aber ihr Beitrag zur Kunst, ihre unverwechselbare Filmsprache verdienen Respekt. Sie gehörte nicht zu meinen Lieblingsregisseuren, aber ihre frühen Arbeiten gefallen mir, besonders der Film »Langer Abschied«, vieles hat mir sehr geholfen, als ich in meinem ersten Spielfilm die Beziehung zwischen Mutter und Sohn dargestellt habe, Muratowa ist natürlich ein anderes Kaliber. Möge sie als Regisseurin unvergessen bleiben und als guter Mensch in Frieden ruhen.

Die kleinen Teufel, die tief in meinem Inneren immer noch am Leben sind, spielen ihr altes Spiel – sie setzen allen einen Floh ins Ohr, wollen einen Kanten Brot mausen, um ihn nachts, unter der Bettdecke, heimlich und von den Kameras unbemerkt zu essen. Ich habe sie mit Knüppeln in ihre Höhlen zurückgescheucht, die anderen sind unters Bett geflüchtet.

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Die so furchtbar erwartete Kontrollbeamtin aus Moskau ist eingetroffen. Statt der vermeintlich giftigen Megäre (die offenbar nicht übersetzen konnte) kam eine nette Blondine im reifen Alter. Aufgeschlossen, intelligent, fachlich versiert, humanistisch gesinnt. Natürlich hat sie auch einen Blick auf das Lager und den Krankentrakt geworfen, aber es war klar, dass ihr Besuch dem Häftling im Hungerstreik galt. Sie studierte meine Krankenakte, meine Werte, den Bericht des Konzils, den Medikationsplan. Im Großen und Ganzen zeigte sie sich zufrieden mit der Arbeit meines Doktors und war einverstanden mit dem, was er unternehmen wollte, wenn eine Verschlechterung eintreten würde, was schon bald der Fall sein konnte, da einige Werte bereits abgefallen waren. Dann sprachen wir unter vier Augen, aber es ging weniger um mich als um die Krim, die sie im letzten Sommer besucht und die ihr sehr gefallen hat. Danach fuhr sie ins städtische Krankenhaus, in dem ich diese Woche untersucht worden war, und nahm dessen technische Ausstattung in Augenschein, insbesondere die Intensivstation, um sich ein Bild davon zu machen, was mich erwarten würde, sollte ich langsam »wegtreten«. So gingen wir auseinander und hatten, so schien es, bei dem anderen jeweils einen guten Eindruck hinterlassen. Wenn man überraschend einem netten Menschen begegnet, ist man immer positiv berührt.

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Haft

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