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Tag 19

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Der erste Sommermorgen sieht in Labytnangi wie folgt aus: Die Dächer, die Fenster, die Erde, der kleine Platz, auf dem die Häftlinge neulich Fußball gespielt haben, ist von Schnee bedeckt, Schneestöße fegen über die zentrale Allee. Der Wind heult wie eine hungrige Wölfin. Die Sicht beträgt ungefähr fünfzig Prozent, weil mein Fenster von der anderen Seite auch von Schneeflocken zugeweht ist. Ich möchte keinen Kommentar zu dieser Situation abgeben.

In aller Frühe sind zwei Vollzugsbeamte mit einem großen Thermometer gekommen und haben ein weiteres Mal die Temperatur in der Zelle gemessen. Über 20 Grad. Zufrieden sind sie wieder gegangen. Ich bin schon längst zufrieden, seit ich nämlich den Elektroheizer habe. Nach dem gestrigen Telefonat nimmt die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit der Milizionäre absurde Züge an. Da ich im gestrigen Gespräch erwähnt hatte, dass ich hier im Norden im letzten halben Jahr schon zwei Zähne verloren habe, waren die oberen Chargen allgemein beunruhigt und behelligten den Doktor mit Anrufen, da sie meine gesundheitliche Verfassung und die Berichte über den Zustand dieser zwei Zähne alarmierend fanden. Einen halben Tag lang gab der Doktor zähneknirschend und – meistens – geduldig am Telefon Auskunft und schickte entsprechende Bescheinigungen nach oben. Grundtenor: Die Zähne seien nun mal futsch, da sei nichts mehr zu machen, da sie wohl kaum nachwachsen würden. Der Zustand des geschätzten Patienten bewege sich indessen weitestgehend im Normbereich, wobei er natürlich nicht vollkommen normal und schon gar nicht gut sein könne, was aber am Hungerstreik liege. Nahezu täglich würden Untersuchungen gemacht und Proben genommen und die medizinische Versorgung sei tadellos, man solle sich da oben um die eigenen Angelegenheiten kümmern, ihm obläge die Verantwortung für den Patienten wie im Allgemeinen für den gesamten Krankentrakt, dessen Arbeit nun wegen dieses Großalarms für mehrere Stunden praktisch zum Erliegen gekommen sei. Auch hier spare ich mir den Kommentar, die Situation ist auch so klar.

Es wurde extra ein Kardiologe her beordert, der mich untersuchen sollte. Hat er gemacht. Und gesagt, dass bis jetzt alles in Ordnung sei. Das ist erfreulich, weniger erfreulich war sein Ausdruck »bis jetzt«. Aber bis jetzt brauche ich mir darüber noch keine Gedanken zu machen. Als die Infusion gelegt wurde, ist die Vene geplatzt, die Lösung ist unter die Haut gelaufen, und es hat sich eine Blase gebildet. Also kam der andere Arm an die Reihe, die Beule, hat die Schwester gesagt, würde »sich verlaufen«. Sie hat dann für alle Fälle eine kleinere Nadel genommen, weswegen die ganze Prozedur geschlagene vier Stunden gedauert hat statt der üblichen zwei. Ich fand das total mühsam, ist echt anstrengend, so eine Infusion, besonders wenn sie sich so in die Länge zieht.

Dann war noch irgendein Vorgesetzter von meinem Doktor da, auch ein Oberstleutnant. Hatte einiges zu erledigen, ist aber natürlich auch wegen mir gekommen. Es dauert nicht mehr lange, und der ganze Apparat ist nur noch mit einem einzigen Patienten beschäftigt. Er hat auch einen Blick auf meine Werte geworfen. Berauschend sind sie natürlich nicht, aber für die Länge des Hungerstreiks auch nicht völlig katastrophal. Für Montag wurde ein Konzil mit einem knappen Dutzend Ärzte anberaumt. Nicht von hier, sondern von draußen. Anfang nächster Woche wird es also hektisch: Awtosak, Transport durch die Stadt, Gang durch das zivile Krankenhaus in militärischer Begleitung und Verschrecken des Personals und der Besucher durch verstörenden Anblick. Unser Zirkus gibt ein eintägiges Gastspiel in der Stadt. Keine Ahnung, wozu das nötig ist, hat wahrscheinlich was mit der von oben verordneten Fürsorge zu tun, die mir langsam auf die Nerven geht.

Draußen heult unterdessen der Sommer à la Labytnangi.

Haft

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