Читать книгу Sechsmal Mord für den Strand: Sechs Kriminalromane - Pete Hackett - Страница 10
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Lonbury Electronics hatte für die Vernehmung einen Büroraum zur Verfügung gestellt. Außer Milo und mir nahmen noch Pat, ein Lieutenant namens Bolder sowie ein Anwalt teil, der die Interessen des Beschuldigten wahren sollte.
Dr. Brad Weston war ein drahtiger Mittvierziger mit Halbglatze. Er saß zusammengesunken in einem der schlichten Ledersessel.
Pat setzte ihm stark zu.
So zierlich und sexy sie auch auf den ersten Blick wirken mochte, so unerbittlich nahm sie Westons widersprüchliche Äußerungen auseinander.
"Dr. Weston, Sie können doch nicht leugnen, dass Sie gestern Abend noch im Labor waren. Die elektronischen Kontrollen sind unbestechlich! Genau um 22.13 Uhr. Haben Sie den Magnetstreifen Ihrer ID-Card ins letzte Schloss gesteckt!"
"Ich sagte doch: Ich war zu Hause!"
"Ja, allein - und ohne Zeugen!"
"Diese Tatsache dürfen Sie meinem Mandanten nicht anlasten", mischte sich der Anwalt ein. Er hieß Belmont.
"Stimmt es, dass Sie gute Chance haben, Dr. Ferraros Nachfolger als Entwicklungschef bei Lonbury Electronics zu werden?"
"Wer sagt das?"
"Entspricht es den Tatsachen?" Pat ließ nicht locker.
"Einspruch!", zeterte Belmont.
Pat wies ihn mit Bestimmtheit zurecht. "Sie sind hier nicht vor Gericht."
"Ich protestiere trotzdem gegen die Art und Weise Ihrer Befragung!"
"Es stimmt", gab Weston dann zu. "Aber ich würde deswegen doch keinen Mord begehen!"
"Was haben Sie gestern Abend im Labor getan?"
"Meine ID-Card ist mir gestohlen worden. Jemand anderes muss sie benutzt haben!"
"Ich will Ihnen sagen, was passiert ist, Dr. Weston. Sie sind ins Labor gegangen und haben auf Dr. Ferraro gewartet. Die Art und Weise, in der Ferraros Arbeitsplatz manipuliert worden ist, spricht dafür, dass der Täter sich dort hervorragend auskannte. So wie Sie!"
"Ach was!", stieß Weston hervor. "Jeder könnte das! Jeder, der in der Entwicklungsabteilung tätig ist. Vielleicht mit Ausnahme der Security-Leute. Aber mir wollen Sie das anhängen! Dahinter steckt doch Methode!"
Pat hob die Augenbrauen. Ihr Tonfall wurde etwas sanfter.
"Und welches Interesse sollte ich daran haben, Ihnen etwas anzuhängen, wie Sie es formulieren?"
"Liegt doch auf der Hand!"
"Ach!"
"Sie brauchen einen Schuldigen, wollen um jeden Preis Ergebnisse vorweisen. Koste es, was es wolle!"
"Das ist doch Unsinn, Dr. Weston. Sie sind jedenfalls vorläufig festgenommen!"
"Damit kommen Sie nicht durch!", rief Belmont.
"Das sehe ich anders", erklärte Pat kühl. "Ihr Mandant hatte ein Motiv, er hatte die Gelegenheit und war zur fraglichen Zeit am Tatort. Das sind schwer belastende Indizien."
Jetzt mischte ich mich in das Gespräch ein.
"Wann glauben Sie, wurde Ihnen die ID-Card gestohlen?"
Er wartete das Nicken seines Anwalts ab, bevor er antwortete. "Ich weiß es nicht. Ich habe sie erst heute Morgen vermisst, als ich wieder ins Labor wollte..."
"Aber gestern hatten Sie das Ding noch?"
"Ja. Ich verließ das Labor gegen 19 Uhr. Das müsste ebenfalls elektronisch gespeichert worden sein! Sie glauben mir doch, oder?"
"Wir werden das überprüfen", versprach ich.
Pat rief zwei ihrer uniformierten Kollegen herbei, die Dr. Weston abführten.
Als der Wissenschaftler sich nicht mehr im Raum befand, wandte sie sich an mich.
"Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass dieser Mord etwas mit eurem Fall zu tun hat. Das jemand die ID-Card von Mr. Weston gestohlen hat, halte ich für eine reine Schutzbehauptung."
"Überprüfen muss man das trotzdem", erwiderte ich.
"Natürlich."
"Wenn sich bei euren Ermittlungen irgendetwas Neues herausstellen sollte, dann wäre es nett, wenn du mich das umgehend wissen lässt."
Sie wollte etwas erwidern, aber in diesem Moment klingelte ihr Handy. Pat blickte mich nachdenklich an, während sie sprach. Am anderen Ende der Leitung war offenbar ein ungeduldiger Staatsanwalt, der sich nach den Fortschritten der Ermittlungen erkundigte.
Ich verabschiedete mich mit einem Nicken von unserer NYPD-Kollegin.
"Bis jetzt gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass dieser Mordfall irgendwie mit dem Sprengstoffanschlag zusammenhängt, Jesse", gab Milo zu bedenken, als wir draußen auf dem Korridor waren.
"Wir müssen Ferraros Privatleben durchleuchten. Vielleicht ergibt sich dann eine Spur."
"Und wie sollte diese Verbindung deiner Meinung nach aussehen?"
"Du siehst doch, wie groß hier Sicherheit geschrieben wird."
"Allerdings."
"Aber Tatsache ist, dass mindestens eine dieser 'Smart Weapons' aus den Mauern des Unternehmens hinausgelangt ist. Ich denke, wer so etwas schafft, braucht dazu einen Helfer im Unternehmen..."
"Ferraro?"
"Ja. Und weil er aussteigen wollte oder einfach nur ein gefährlicher Mitwisser war, musste er sterben."
"Klingt etwas hergeholt, findest du nicht?"
Ich zuckte die Achseln. "Ich finde, das ist mindestens so logisch wie Pats Theorie..."
"...für die sie immerhin ein paar handfeste Indizien hat!"
"Dr. Weston ist ein hochintelligenter Wissenschaftler. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet er so dumm gewesen sein soll, nicht daran zu denken, dass genau aufgezeichnet wird, wer wann das Labor betritt..."
Als wir den Ausgang des Gebäudes erreichten, erkundigte ich mich bei einem der Security Guards nach der Videoüberwachungslage. Er erklärte mir, dass lediglich der Eingangsbereich mit Kameras überwacht wurde, der eigentliche Labortrakt jedoch nicht. Schließlich kamen dort ohnehin nur diejenigen hinein, die über eine ID-Card mit entsprechender Codierung verfügten.
"Das heißt aber, jeder der das Gebäude betritt oder verlässt wird aufgenommen?", vergewisserte ich mich.
"Ja, Sir."
"Könnten Sie die Bänder von gestern Abend heraussuchen?"
"Tut mir leid, aber nach 45 Minuten beginnt die Aufzeichnung von vorn. Alles, was vorher auf dem Band war, wird dann gelöscht."
"Zu dumm", murmelte ich.
Eine halbe Stunde später empfing uns dann William Gerrets, der Vorstandsvorsitzende von Lonbury Electronics. Sein Büro wirkte fast spartanisch. Ein Bild, das den Nationalökonomen Adam Smith darstellte, hing hinter ihm an der weißen Wand.
Ansonsten waren die Wände kahl. Gerrets begrüßte uns knapp und deutete auf die schlichten Ledersessel. "Nehmen Sie Platz."
"Danke. Ich bin Special Agent Jesse Trevellian, FBI. Und dies ist mein Kollege Agent Tucker."
"Was den Fall Ferraro angeht, gewähren wir Ihnen jede nur denkbare Unterstützung!", versicherte Gerrets.
"Wir sind nicht in erster Linie wegen dem Mord an Ihrem Entwicklungschef hier", erklärte Milo.
Gerrets kniff die Augen zusammen. "Sondern?"
Ich holte ein paar Fotos aus der Innentasche meiner Lederjacke und legte sie vor Gerrets auf den Schreibtisch.
"Bei dem kürzlich verübten Sprengstoffanschlag im Restaurant 'The Temple' in der 5th Avenue wurde offenbar ein Geschoss aus Ihrer Produktion verwendet."
Gerrets sah sich die Fotos an.
Obwohl es sich um Vergrößerungen handelte, nahm er sie ganz nah an die Augen heran.
Sein Gesicht wurde farblos.
"Ich... ich habe keine Erklärung dafür", stotterte er dann. Tief atmend lehnte er sich zurück. "Bislang hielt ich unsere Sicherheitsvorkehrungen für perfekt."
"Das sind sie offenbar nicht", sagte Milo.
Und ich ergänzte: "Wir brauchen die Personaldaten aller Ihrer Mitarbeiter."
"Sie glauben, dass unter den Lonburys-Angestellten schwarze Schafe sind?"
"Ja", nickte ich. "Übrigens brauchen wir auch die Daten Ihrer Security-Leute."
"Das geht in Ordnung", stimmte er zu.
Ich deutete auf die Fotos. "Es müsste für Sie festzustellen sein, um welche Fabrikate von Fernlenkgeschossen es sich genau handelt und wie viele davon hergestellt wurden..."
"Immer nur wenige Prototypen", erklärte Gerrets. "Einige hundert maximal. Die Armee verbraucht sie zu Übungszwecken und wir müssen staatliche Stellen ja schließlich davon überzeugen, dass sie unsere Produkte abkaufen!" Gerrets beugte sich vor. Sein Tonfall wurde gedämpft. "Sehen Sie, Agent Trevellian, unsere Waffen sind etwas ganz Besonderes."
Er nahm einen Kugelschreiber von seinem Schreibtisch und hielt ihn hoch.
"Stellen Sie sich einen Flugkörper dieser Größe vor, gefüllt mit einem hochwirksamen Sprengstoff! Aber wir statten diese Dinger auch mit einer Art Gehirn aus! Unsere MRX-230 kann Ziele selbständig verfolgen. Sie orientiert sich mit Hilfe eines Satelliten-Navigationssystems, so wie Sie es aus dem Auto kennen! Keine feindliche Aufklärung kann so einer Waffe etwas anhaben! Wir arbeiten noch daran, die Zielsicherheit zu verbessern. Das einzige Problem, das wir bis jetzt noch nicht befriedigend gelöst haben, ist die Reichweite."
"Wie groß ist sie?"
"Bei Flugkörpern dieser Größe bislang nur wenige Kilometer. Für eine militärische Nutzung schweben uns natürlich erheblich größere Reichweiten vor..."
"Wir brauchen genaue technische Daten."
Gerrets wirkte plötzlich reserviert. "Tut mir leid."
Ich hob die Augenbrauen. "Was soll das heißen?"
"Die technischen Einzelheiten unterliegen strengster Geheimhaltung. Wer garantiert uns, dass diese Daten nicht an die Konkurrenz gelangen?"
"Ich garantiere Ihnen jedenfalls erhebliche Schwierigkeiten, wenn Sie unsere Ermittlungen behindern."
"Davon kann doch keine Rede sein!"
Jetzt schaltete sich Milo ein. "Mr. Gerrets, Sie scheinen den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben! Der Fall, dass Lonbury-Waffen in falsche Hände geraten, ist bereits eingetreten..."
"...und Sie sollten mindestens so sehr wie wir daran interessiert sein, dass wir den Tätern und ihren Hintermännern schnell auf die Spur kommen!", ergänzte ich.
William Gerrets fuhr sich mit einer hektisch wirkenden Geste über das Gesicht. "Ich muss mich da im Vorstand erst absichern."
Ich sah ihn an. "Dann beeilen Sie sich bitte damit!"