Читать книгу Sechsmal Mord für den Strand: Sechs Kriminalromane - Pete Hackett - Страница 6
1
ОглавлениеDie 5th Avenue war durch die zahllosen Einsatzfahrzeuge völlig blockiert. Wagen der City Police und der Feuerwehr befanden sich dort. Außerdem mehrere Krankenwagen, Fahrzeuge von Notärzten, Einsatzwagen des FBI und der Scientific Research Division, dem zentralen Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten.
Ich stellte den Sportwagen am Central Park ab.
Milo und ich stiegen aus.
Einige hundert Schaulustige hatten sich angesammelt. Die Kollegen der City Police hatten ihre Mühe, sie davon abzuhalten, näher an den Tatort heranzugehen.
Wir starrten die Fassade des 30 Stockwerke hohen Wolkenkratzers hinauf. In Etage 27 war es geschehen. Die Folgen der gewaltigen Explosion, die sich ereignet hatte, waren auch von außen nicht zu übersehen. Eine Rauchsäule hing über dem Central Park. Aber es quoll nichts mehr aus der zerstörten Fensterfront der 27. Etage heraus.
Offenbar war der Brand gelöscht.
Ein gewaltiger Rußfleck verdunkelte die Fassade auf einer Fläche von mindestens zwanzig Quadratmetern.
Milo und ich zeigten den Kollegen vom NYPD unsere FBI-Dienstausweise, nachdem wir uns durch die Schaulustigen gedrängelt hatten. Ein Sergeant winkte uns weiter.
Wir erreichten das Foyer.
Die Security Guards wirkten ziemlich hektisch.
Der Einsatzleiter der Feuerwehr gab über Walkie-Talkie seine Befehle.
Wir mussten noch einmal unsere Ausweise vorzeigen. Der Einsatzleiter wurde auf uns aufmerksam.
"FBI?", fragte er. "Ihre Kollegen von der SRD sind schon oben!"
"Haben Sie eine Ahnung, was hier passiert ist?", fragte Milo.
"Fragen Sie mich leichteres. Es sieht aus, als hätte jemand eine Handgranate durchs Fenster geworfen!"
"In den 27. Stock?", hakte Milo nach.
"Ich sagte ja nur, dass es so aussieht. Wenn Sie wollen, können Sie hinauf, aber Sie müssen über das Treppenhaus. Die Aufzüge sind noch nicht wieder in Betrieb."
Ich atmete tief durch.
Das hatte ich schon befürchtet.
Aber das war bei jedem Hochhausbrand die eiserne Regel: Nie die Fahrstühle benutzen. Da konnte man nicht vorsichtig genug sein.
So blieb uns nichts anderes übrig, als das Treppenhaus zu benutzen. Immer zwei Stufen nahmen wir auf einmal.
"Nimm's als Konditionstraining", meinte Milo.
"Ich dachte eigentlich, dass ich genug in dieser Hinsicht tue..."
"Wird sich gleich zeigen, Jesse!"
"Ach, ja?"
"Wenn wir oben sind und du kriegst immer noch Luft, dann bist du in Form!"
"Sehr witzig!"
Wir brauchten eine ganze Weile, bis wir die 27. Etage erreichten und jene Räume betraten, in denen sich noch vor kurzem ein Nobelrestaurant mit dem klangvollen Namen 'The Temple' befunden hatte.
Der Anblick war entsetzlich, der Geruch beinahe unerträglich. Überall waren Spurensicherer bei der Arbeit.
Captain Ronny Kwizinzky vom 43. Revier begrüßte uns.
"Hallo, Jesse!" Er sah ziemlich mitgenommen aus. "Frag mich nicht, was hier genau passiert ist. Wir können mit Sicherheit nur sagen, dass eine gewaltige Detonation stattgefunden hat. Es gibt schätzungsweise zwanzig Todesopfer. Genau können wir das nicht sagen. Bis die Toten allesamt identifiziert sind, kann es eine Weile dauern..."
"Ja", nickte ich düster.
Und Milo fragte: "Keine Überlebenden?"
"Doch, zwei. Der eine heißt George Davis und arbeitete hier als Kellner. Der Mann liegt im Koma, hat schwerste Verletzungen und wird vielleicht nicht durchkommen."
"Wie konnte er die Detonation überleben?", erkundigte ich mich.
"Er muss in der Tür zur Küche gestanden haben und wurde dann zurückgeschleudert."
"Und der andere?", hakte ich nach.
"Mark Millroy, der Koch des 'Temple'. Er befand sich zum Zeitpunkt der Explosion in der Küche."
"Ist er ansprechbar?"
"Körperlich fehlt ihm kaum etwas. Aber er steht unter Schock, redet nur noch wirres Zeug..."
"Ich verstehe..."
"Der Besitzer dieses Ladens ist übrigens seit kurzem ein gewisser Jorge Menendez", berichtete Kwizinzky. "Das ist für euch ja wohl kein Unbekannter!"
"Allerdings", nickte ich.
Jorge Menendez war unseren Informationen nach eine aufstrebende Größe in der New Yorker Unterwelt. Wir verdächtigten ihn in illegale Waffengeschäfte verwickelt zu sein. Bislang lagen allerdings nicht genügend gerichtsverwertbare Indizien vor.
"Gibt es Hinweise darauf, ob Menendez unter den Toten ist?", fragte mein Freund und Kollege Milo Tucker.
Kwizinzky hob die Augenbrauen.
"Wie kommst du darauf?"
"Weil wir von einem Informanten wissen, dass hier ein Treffen zwischen Menendez und Lee Jiang stattfinden sollte."
Kwizinzky pfiff durch die Zähne. "Eine Konferenz der Bosse!"
"Ja, so könnte man sagen."
"Milo, wir haben keine Ahnung, wer die Toten sind. Noch nicht..."
In diesem Moment trafen unsere Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina ein. Sie wurden von Al Baldwin, einem unserer Sprengstoffexperten, begleitet.
Al ließ den Blick kreisen.
"Das wird nicht einfach", meinte er. Er wandte sich an mich. "Die Verwüstungen sind so groß, dass es schwer werden wird, noch irgendwelche aussagekräftigen Spuren zu finden."
"Eine Angabe zur Beschaffenheit des Sprengstoffs würde uns schon ein Stück weiterbringen", sagte ich.
Als Gesicht wurde skeptisch. "Du wirst Geduld haben müssen, Jesse."
Eine halbe Stunde später waren wir immerhin etwas schlauer. Die Videoüberwachungsanlage des privaten Sicherheitsdienstes hatte genau festgehalten, wer sich hier getroffen hatte.
Menendez und seine Puertoricaner waren etwa zwanzig Minuten vor den Männern aus Chinatown eingetroffen.
Jetzt lebte vermutlich keiner mehr von ihnen.
Genau wussten wir das erst, wenn wir überprüft hatten, wer von diesen Männern das Gebäude wieder verlassen hatte.
Wir beschlagnahmten sämtliche Videobänder der letzten Tage. Unsere Innendienstler würden sie sich vornehmen müssen. Irgendwie musste die Sprengladung in das Restaurant 'The Temple' gebracht worden sein. Bislang hatten wir keine Ahnung, wie das geschehen sein konnte. Alle diejenigen, die uns darüber hätten Auskunft geben können, waren tot oder nicht aussagefähig.
"Der Täter - beziehungsweise sein Auftraggeber - muss von dem Treffen gewusst haben", stellte Milo fest. "Und er muss irgendeinen Nachteil von einer Einigung zwischen den Puertoricanern und Jiangs Leuten befürchtet haben."
Ich nickte. "Wenn man unseren Informanten glauben kann, dann überschneiden sich die Interessen beider Gruppen beim illegalen Waffenhandel."
"Dann wette ich, dass wir in der Waffenhändler-Szene auch früher oder später auf jemanden treffen, der einen Vorteil von diesem Verbrechen hat!"
Etwas später traf Terrence Cardigan ein.
Cardigan war der Geschäftsführer des 'Temple'.
Im Gegensatz zu dem bedauernswerten Koch, der jetzt die Hilfe eines Psychologen brauchte, war Cardigan zur Zeit des Sprengstoffanschlags nicht im Gebäude gewesen. Wir unterhielten uns in einem Nebenraum mit ihm, der von den Security Guards als Umkleide benutzt wurde.
"Mr. Cardigan, wann haben Sie von dem Treffen erfahren, das im 'Temple' stattfinden sollte?", fragte ich.
Cardigan, ein Mittdreißiger mit dunklen Haaren und kantigem Gesicht, hob die Augenbrauen.
"Ich weiß nicht, von was für einem Treffen Sie reden", behauptete er.
"Spielen Sie nicht den Ahnungslosen", forderte ich. "Sie sind der Geschäftsführer. Sie können mir nicht erzählen, dass Sie nicht wussten, wer sich heute im 'Temple' getroffen hat. Schließlich war das Lokal für alle anderen Gäste geschlossen..."
Cardigan atmete tief durch.
"Kann ich meinen Anwalt sprechen?"
"Natürlich, wenn Sie wollen... Ich nehme an, es handelt sich um Mr. Rick Tejero, den Sie jetzt anrufen wollen..."
Cardigan wirkte verblüfft. "Wie...?"
"Tejero ist der Anwalt von Mr. Menendez - und 'The Temple' gehört ihm doch seit kurzem."
"Eigentümer ist Mr. Wynton Cross", korrigierte mich Cardigan.
"Ein Strohmann", erwiderte ich.
"Wollen Sie mir was anhängen, oder was? Ich bin der Geschäftsführer, nichts weiter, G-man."
"Irgendwie muss die Sprengladung in das Lokal gelangt sein. Haben Sie eine Ahnung, wie das geschehen sein könnte?"
Er schüttelte den Kopf. "Nein."
"Wissen Sie etwas über die näheren Umstände, unter denen 'The Temple' in Jorge Menendez' Besitz übergegangen ist?"
Cardigans Nasenflügel bebten. "Was soll das ganze Theater? Warum werden mir solche Fragen gestellt? Ich mache hier hier meinen Job und fertig. Das ist alles!"
Ich nickte nur, wechselte einen Blick mit Milo.
"Sie können gehen", meinte Milo. "Wenn wir noch Fragen an Sie haben, melden wir uns..."
Cardigan blickte von einem zum anderen. Dann verließ er den Raum.
"An dem Kerl ist etwas faul", meinte ich. "Der weiß sehr viel mehr, als er uns weismachen will, da bin ich mir sicher."
"Ja, aber im Moment hat es wenig Sinn, mehr aus ihm herauspressen zu wollen."
Ich zuckte die Schultern. "Schon merkwürdig, dass der Geschäftsführer des 'Temple' ausgerechnet an dem Tag nicht im Laden ist, an dem sich dort eine Explosion ereignet..."
Wir befragten noch Dutzende von Personen. Anlieger, Geschäftsleute, deren Büros im gleichen Gebäude lagen, Menschen die vielleicht irgendetwas beobachtet hatten.
Zwischendurch rief Mr. McKee an.
Der Chef des New Yorker FBI-Field Office hatte inzwischen jeden verfügbaren G-man zu unserer Unterstützung abgestellt.
Die Sorge, die dahinterstand, war klar.
Das Attentat mochte der Vorbote eines Gangsterkrieges sein. Von den Spannungen in der Waffenhändlerszene wussten wir schon seit längerem. Auch davon, dass Jorge Menendez ein sehr ehrgeiziger Mann gewesen war, der versucht hatte, den illegalen Waffenmarkt nach und nach unter seine Kontrolle zu bekommen.
"Wer immer dieses Attentat ausgeheckt hat, wollte möglicherweise ganz bewusst beide aus dem Weg räumen - Lee Jiang und Menendez", meinte Milo.
"Du meinst, ein fremdes Syndikat versucht, hier mit Brachialgewalt Fuß zu fassen?", fragte ich.
Milo nickte.
"Für mich sieht das so aus."
Am späten Nachmittag tauchte dann eine Spur auf, die unseren Ermittlungen später eine ganz andere Richtung geben sollte.
Wir sprachen mit Cal McMartin, der ein Stockwerk unterhalb des 'Temple' als Senior Director der Werbeagentur McMartin & Friends fungierte.
"Ich habe es genau gesehen", behauptete McMartin. "Ich stand am Fenster, blickte hinaus auf den Central Park... Wissen Sie, manchmal kommt man in einer Kampagne einfach nicht weiter und dann..."
"Was genau haben Sie gesehen?", hakte ich nach.
"Etwas, das durch die Luft flog... Ich meine, es ging so rasend schnell... Ich dachte zumindest, dass da etwas fliegt. Ein Ding, das nicht größer als ein Stein gewesen sein kann!"
Er atmete tief durch, fuhr sich mit einer nervösen Handbewegung durch das graue, kurzgeschorene Haar.
Er zeigte uns die Stelle in seinem Büro, wo er gestanden hatte. Der Brandgeruch war auch bis hierhin vorgedrungen.
Aber die Scheiben der Fensterfront wiesen nur einige Sprünge auf. Weiter hatte die Explosion in der Etage darüber sie nicht in Mitleidenschaft gezogen - abgesehen von ein paar Eimern Putz, die von der Decke gerieselt waren. Ein weißgrauer Staubfilm lag über der gesamten Einrichtung der Agentur.
"Hier genau habe ich gestanden", sagte McMartin. "Im ersten Moment dachte ich, ich bilde mir etwas ein, dann kam dieses Ding dahergezischt... Es gab erst ein Geräusch wie von einem Aufprall, dann klirrte es, so als würde eine Scheibe zu Bruch gehen.... Ich dachte erst an einen Vogel. Wissen Sie, es wäre ja nicht das erste Mal, das so ein Tier in eine Scheibe hineinfliegt, weil sich der Himmel darin spiegelt."
"Aber dies war kein Vogel?", hakte ich nach.
Er schüttelte den Kopf.
"Nein", flüsterte er. "Sekundenbruchteile später folgte die Explosion."
Ich trat ans Fenster heran, blickte hinaus.
Die Zahl der Schaulustigen unten an der Straße hatte sich inzwischen deutlich verringert.
Der Verkehr auf der Fiths Avenue hatte sich normalisiert, ein Großteil der Einsatzfahrzeuge war abgezogen. Ich sah auf den Central Park hinaus.
Milo trat neben mich.
Und er dachte dasselbe wie ich.
"Siehst du da irgendwo einen Punkt, von dem aus man in den 27.Stock dieses Hauses ein Geschoss hineinjagen könnte, Jesse?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Aus jeder anderen Richtung wäre das eher möglich gewesen, als ausgerechnet aus dieser", meinte ich.
Der Central Park lag im Mittel um die 70 Meter unter uns.
Es gab keine Erhebungen, die wesentlich über dieses Niveau hinausgingen. Und andere, ähnlich hohe Gebäude, von denen aus jemand hätte schießen können, gab es nur in entgegengesetzter Richtung.
"Wollen Sie etwa behaupten, dass ich Unsinn rede?", fragte McMartin etwas ungehalten.
"Nein", versicherte ich. "Wir nehmen Ihre Aussage sehr ernst."