Читать книгу Sechsmal Mord für den Strand: Sechs Kriminalromane - Pete Hackett - Страница 11
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Der Wind pfiff über die Dünen. Die Villa lag sehr abgelegen am Long Island Sound.
Wie eine Festung war sie von allen Seiten durch hohe Stacheldrahtzäune gesichert. Bewaffnete mit mannscharfen Dobermännern patrouillierten auf und ab. Draußen auf dem Wasser zog ein Motorboot seine Kreise.
Ernesto, der jüngere Bruder des ermordeten Jorge Menendez ging nach dem Anschlag in der 5th Avenue auf Nummer sicher.
Ernesto war 27 - nach Meinung vieler in der Organisation vielleicht zu jung, um die Geschäfte zu übernehmen.
Andererseits hatten das auch viele behauptet, als sein Bruder Jorge vor zwei Jahren die Macht übernommen hatte.
Ernesto erinnerte sich noch genau an den Tag.
Sein Vater war kurz zuvor mit seinem Ferrari von einer abschüssigen Straße in Connecticut abgedrängt worden. Der Täter war nie ermittelt worden. Mehr als ein paar Lackspuren eines fremden Wagens hatten die Behörden nicht an Spuren zur Verfügung gehabt.
Für Ernesto hatte damals festgestanden, dass es sich um einen Mord gehandelt hatte. Begangen im Auftrag von Lee Jiang und seinem Chinatown-Clan. Kurz zuvor hatte es Meinungsverschiedenheiten wegen ein paar Clubs gegeben, deren Kontrolle für beide Seiten zur Geldwäsche dienen sollte. Ernestos Vater hatte nicht nachgeben wollen - und dafür bezahlen müssen.
Wie hatte Ernesto seinen Bruder Jorge innerlich verflucht, als dieser sich dazu entschlossen hatte, sich mit den Chinesen an einen Tisch zu setzen!
Inzwischen hatten sich nämlich neue Konflikte abgezeichnet, weil beide Gruppen versuchten, den Waffenhandel zu kontrollieren.
Du hast immer nur an die Dollars gedacht, ging es Ernesto grimmig durch den Kopf, während er durch die Terrassentür hinaustrat. Für ein gutes Geschäft hättest du jeden von uns verkauft, Jorge!
Er trat hinaus ins Freie.
Eine hübsche, zierlich gebaute Frau und dunklem Haar stand dort. Sie blickte nachdenklich hinaus auf das Meer. Sie trug ein schwarzes Kostüm zum Zeichen der Trauer.
"Isabelita", sprach Ernesto sie an.
Er hatte die Witwe seines Bruders zu sich genommen. In ihrem Haus in East Harlem würde sie jetzt wohl kaum Ruhe finden. Und das war es, was sie vor allen Dingen brauchte.
Ruhe - und Sicherheit.
Isabelita drehte sich herum. Tränen glitzerten in ihren Augen.
Seitdem sie durch Beamte des Police Departments vom Tod ihres Mannes erfahren hatte, verfiel sie phasenweise in einen schockähnlichen Zustand.
Ernesto trat an sie heran, fasste sie bei den Schultern.
"Wie geht es dir, Isabelita?"
"Du wirst dich an den Chinesen rächen, nicht wahr?", flüsterte sie. "Ernesto, du musst es mir versprechen!"
Er zögerte, nickte dann.
"Ja", flüsterte er.
Für Isabelita stand fest, dass die Chinatown-Leute hinter dem Anschlag standen. Es war ihr zu einer Art fixen Idee geworden. Auch der Einwand, dass Lee Jiang schließlich selbst dabei ums Leben gekommen war, rührte sie nicht.
Und vielleicht hatte sie sogar recht.
Was, wenn jemand aus Lee Jiangs Organisation zwei Fliegen mit einer Klappe hatte schlagen wollen? Sich von einem missliebigen Boss zu befreien und gleichzeitig die Konkurrenz zu schwächen?
"Du brauchst jetzt viel Ruhe", sagte Ernesto sanft. "Mach dir keine Sorgen..."
"Du wirst sie alle umbringen, nicht wahr, Ernesto?"
Das hübsche, feingeschnittene Gesicht der jungen Frau verzog sich zu einer Maske des Hasses.
"Ja", versprach Ernesto, um sie zu beruhigen. Er nahm sie in den Arm, sie legte den Kopf an seine Schulter. Er erinnerte sich daran, dass er Isabelita ebenso begehrt hatte wie sein Bruder. Aber sie hatte Jorge vorgezogen. Doch von der Anziehungskraft, die sie auf ihn ausgeübt hatte, war kaum noch etwas übrig geblieben. Auf lange Sicht musste er ein Sanatorium für sie suchen.
Ein breitschultriger Mann mit dunklem Schnauzbart trat durch die Terrassentür ins Freie. Er trug ein Walkie-Talkie in der Rechten. Links drückte sich ein Revolver durch das Jackett hindurch.
"Es ist alles bereit für den Test, Mr. Menendez", erklärte er.
"Okay, Ron. Ich hoffe, dass wir nur einen brauchen. Schließlich sind die MRX-230-Geschosse nicht gerade billig..."
"Aber wir müssen wissen, wie man damit umgeht, Boss."
"Ja, ich weiß..."
Ron blickte sich um, rief etwas auf Spanisch ins Innere des Hauses. Ein Mann, der ebenso breitschultrig war wie er, trat ins Freie. Er hatte graue Haare, die so kurz geschnitten waren, dass man dadurch die Kopfhaut sehen konnte.
Der Graue hielt einen Koffer in der Hand. Er stellte ihn auf den runden Tisch mitten auf der Terrasse, öffnete ihn.
Vorsichtig hob er ein Hochleistungslaptop heraus.
Dann eine Pistole.
"Für unseren Test benutzen wir eine Pistole, die mit Luftenergie arbeitet und eigentlich dafür gedacht ist, Betäubungspfeile gegen Elefanten abzuschießen", erläuterte Ron. "Ich habe etwas an ihr herumfeilen müssen. Im Prinzip kann man aber auch jedes andere Abschusssystem benutzen, das die hochempfindliche Elektronik des Geschosses nicht zerstört."
Unterdessen fuhr der Graue das Laptop hoch. Ron holte eines der kugelschreibergroßen MRX-230-Geschosse aus einer Innentasche des Koffers. Über ein dünnes Kabel mit entsprechenden Adaptern stellte er eine Verbindung zwischen Laptop und Geschoss her.
"Es war nicht ganz leicht, sich in die Software hineinzuarbeiten", gestand der Graue. "Etwas komplizierter als ein Navigationssystem für Autos ist es schon..."
Dann hatte er die MRX-230 programmiert.
Er löste den Adapter von dem Geschoss und steckte in den Lauf der Luftpistole.
Ron meldete sich zu Wort.
Er deutete dabei mit der ausgestreckten Hand in Richtung Meer. "Sehen Sie den alten Chevy, den wir dort abgestellt haben?"
Ernesto nickte.
"Ja."
Der Graue hob die Pistole, richtete sie in die Luft.
"Zielen ist überflüssig", meinte er. "Das Geschoss braucht nur die entsprechende Anschubenergie. Den Rest besorgt das Ding selbst!"
Er feuerte.
Das Geschoss zischte senkrecht in den Himmel, flog dann in einem Bogen wieder abwärts. Dicht über dem Boden schnellte es dahin, passte die Flugbahn den Unebenheiten an.
Nach ein paar Augenblicken war es nicht mehr zu sehen. Es war einfach zu klein.
Der Graue blickte auf die Rolex an seinem Handgelenk.
Sekundenlang warteten die Männer.
Dasselbe galt für Jorges Witwe, die wie gebannt dorthin starrte, wo das Geschoss verschwunden war.
Dann hörte sie die Detonation.
Der Chevy explodierte. Die MRX-230 hatte ihr Ziel gefunden.
Auf Ernestos Gesicht erschien ein Lächeln. "Perfekt", murmelte er.
"Ich denke auf einen Test der größeren Prototypen MRX-231 und MRX-232 können wir verzichten", meinte Ron, "zumal wir sie mit Granatwerfern abfeuern müssten. Ansonsten unterscheiden sie sich nur in der Reichweite und der Sprengstoffmenge, die damit ins Ziel gebracht werden kann."
Isabelita erwachte jetzt aus ihrer Erstarrung. "Du wirst diese Hunde aus Chinatown damit ausradieren, ja?"