Читать книгу Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht - Peter Behrens - Страница 100
1. Schweiz
ОглавлениеLiteratur:
Felder/Kaddous (éds./Hrsg.) Accords bilatéraux Suisse – UE (Commentaires) – Bilaterale Abkommen Schweiz – EU, Erste Analysen (2001); Cottier/Evtimov Die sektoriellen Abkommen der Schweiz mit der EK – Anwendung und Rechtsschutz, ZBJV 2003, 177; Thürer/Weber/Portmann/Kellerhals Bilaterale Verträge I & II Schweiz – EU, Handbuch (2. Aufl. 2007); Benesch Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft (2007); Schmalenbach Assoziierung und Erweiterung, in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 6, 321, Rn. 28.
193
Eine typische Freihandelsassoziation ist die EU zunächst mit der Schweiz eingegangen. Ausgangspunkt dafür war das Freihandelsabkommen von 1972, das den Handel mit Industrieprodukten und verarbeiteten Agrarprodukten liberalisierte. Für entsprechende Waren mit Ursprung in der Schweiz bzw. in der EG wurden Zölle und mengenmäßige Beschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung abgeschafft.
194
Als nächster Schritt war ursprünglich der Beitritt der Schweiz zum EWR ins Auge gefasst worden, der jedoch 1992 am negativen Ausgang eines entsprechenden Referendums scheiterte. Um die Nichtteilnahme der Schweiz am EWR zu kompensieren, wurde 1999 ein Paket von sieben bilateralen Abkommen (Bilaterale I) abgeschlossen, die 2002 in Kraft getreten sind.[18] Sie folgen zwar einem sektoralen Ansatz: jedes einzelne Abkommen ist nur einem Teilaspekt des Wirtschaftsverkehrs bzw. der technischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit gewidmet. Sie sind jedoch sowohl hinsichtlich ihrer Geltung („guillotine-Klausel“) als auch ihrer institutionellen Bestimmungen (Einsetzung eines „Gemeinsamen Ausschusses“ mit Beschluss- und Empfehlungskompetenzen) miteinander verknüpft, so dass sie den Charakter eines Gesamtvertragswerks aufweisen. Insgesamt sind die Verträge am Ziel der Marktöffnung ausgerichtet.
195
Die bilateralen Abkommen I sind im Jahre 2004 durch weitere bilaterale Abkommen (Bilaterale II) ergänzt worden. Anders als die bilateralen Abkommen I sind die bilateralen Abkommen II in ihrer Geltung nicht miteinander verknüpft. Von unmittelbarer wirtschaftlicher Bedeutung sind nur das Abkommen vom 26.10.2004 über die Zinsbesteuerung[19] sowie ein Abkommen über landwirtschaftliche Produkte,[20] mit dem eine bisherige Lücke gefüllt werden sollte. Der zusätzliche Marktöffnungseffekt der bilateralen Abkommen II ist somit gering. Insgesamt schaffen die vorhandenen Abkommen im Verhältnis der EU zur Schweiz aber in wichtigen Bereichen weitestgehend binnenmarktähnliche Verhältnisse:
196
Für den Warenverkehr gilt nach dem Freihandelsabkommen von 1972 das Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung sowie das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung. Die bilateralen Abkommen I haben zudem technische Handelshemmnisse durch die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen beseitigt, die Gleichwertigkeit der Vorschriften bezüglich landwirtschaftlicher Produkte hergestellt und den Zugang von Lieferanten zu öffentlichen Beschaffungsaufträgen eröffnet.
197
Für den Dienstleistungsverkehr gibt es bisher keine vergleichbar umfassenden Regelungen. Weder das Freihandelsabkommen von 1972 noch die bilateralen Abkommen I sehen eine generelle Liberalisierung vor. Immerhin hat aber das Abkommen über Freizügigkeit die Möglichkeit eröffnet, dass Dienstleistungsunternehmen (einschließlich Gesellschaften) zumindest kurzfristig (bis zu 90 Tagen) grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen können. Weitergehende Bestimmungen gelten für den Luftverkehr sowie den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße. Zudem wird der Zugang von Leistungserbringern zum öffentlichen Beschaffungswesen in wichtigen Bereichen gewährleistet.
198
Einen erheblichen Liberalisierungsschritt haben die bilateralen Abkommen I im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit mit sich gebracht. Das Abkommen über Freizügigkeit hat die Zutrittsbarrieren zu den Märkten für Arbeitsleistungen weitgehend beseitigt. Auch die Niederlassungsfreiheit von selbstständig Gewerbetreibenden hat das Abkommen über Freizügigkeit weitgehend verwirklicht. Sie erfasst aber nur „Staatsangehörige“ und somit nicht Gesellschaften und andere juristische Personen.
199
Im Hinblick auf den Kapitalverkehr fehlt es an einer abkommensrechtlichen Marktöffnung. Das Abkommen über Freizügigkeit hat immerhin die Möglichkeit des Immobilienerwerbs eröffnet. Im Übrigen ist die Freiheit des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs aber sowohl von Seiten der EU durch das Unionsrecht (Art. 63 Abs. 2 AEUV) als auch von Seiten der Schweiz durch innerstaatliche Bestimmungen gewährleistet.
200
Innerhalb der EU sind die Abkommen mit der Schweiz Bestandteil des Unionsrechts. Ihre Bestimmungen sind unmittelbar anwendbar. Natürliche und juristische Personen aus der EU oder der Schweiz können sich somit in der EU auf die Bestimmungen zur Marktöffnung berufen, sofern sie klare und eindeutige Verpflichtungen enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen.[21] Für die Schweiz gilt grundsätzlich dasselbe.[22] Allerdings hat das Bundesgericht im Fall des Freihandelsabkommens von 1972 diese Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen.[23]
201
Anders als es im Fall eines Beitritts der Schweiz zum EWR der Fall gewesen wäre, wird das Unionsrecht im Rahmen der bilateralen Abkommen nicht generell und automatisch übernommen. Daher ist nicht gewährleistet, dass die in den bilateralen Abkommen verwendeten Begriffe, selbst wenn sie mit den entsprechenden unionsrechtlichen Begriffen übereinstimmen, dieselbe Bedeutung wie im Unionsrecht haben.[24] Allerdings finden sich in einigen bilateralen Abkommen durchaus Ansätze für eine Übernahme des Unionsrechts und die Maßgeblichkeit der EuGH-Rechtsprechung für die Auslegung (acquis communautaire). Die Schweiz hat im Übrigen ihr innerstaatliches Recht autonom dem Gemeinschaftsrecht angepasst (sog. autonomer Nachvollzug), soweit dies zur Erleichterung des Wirtschaftsverkehrs mit der EU erforderlich erschien.