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VIII. Rechtsangleichung
ОглавлениеLiteratur:
Schmeder Die Rechtsangleichung als Integrationsmittel der EG (1978); Everling Zur Funktion der Rechtsangleichung in der EG, FS Pescatore (1987) 221; Ders. Zur Funktion des Gerichtshofes bei der Rechtsangleichung in der EG, FS Lukes (1989) 359; Müller-Graff Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarkts, EuR 1989, 107; Wagner Das Konzept der Mindestharmonisierung (2000); Hillgruber Die Verwirklichung des Binnenmarktes durch Rechtsangleichung – Gemeinschaftsziel und -kompetenz ohne Grenzen? GS Blomeyer (2004) 597; Bock Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt (2005); Schwartz Rechtsangleichung und Rechtswettbewerb im Binnenmarkt: Zum europäischen Modell, EuR 2007, 194; Oppermann/Classen/Nettesheim Europarecht (6. Aufl. 2015), § 32: Grundfragen der Rechtsangleichung, 506; Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union (12. Aufl. 2016) § 14: Angleichung der Rechtsordnungen, 441.
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Die durch die wirtschaftlichen Freiheiten bewirkte Marktöffnung ist nicht unbeschränkt. In dem Maße, in dem mitgliedstaatliche Verkehrsbeschränkungen durch zwingende Allgemeininteressen wie etwa den Umweltschutz, Verbraucherschutz oder Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden können, bleibt der Binnenmarkt unvollkommen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es vielfältige Hindernisse für den zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr aufgrund der bloßen Unterschiedlichkeit mitgliedstaatlicher Regelungen gibt, die sich auf grenzüberschreitend gehandelte Produkte oder Leistungen beziehen bzw. auf Personen, die grenzüberschreitend beruflich oder gewerblich tätig werden wollen. Solche Regelungen können – ohne mit den wirtschaftlichen Freiheiten des AEUV zu kollidieren – die Marktteilnehmer möglicherweise davon abhalten, von ihren Freiheiten Gebrauch zu machen. Im Übrigen können unterschiedliche nationale Regulierungen auch die Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen im Binnenmarkt verzerren. Aufgrund nationaler Regelungsunterschiede ist es möglich, dass Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Startchancen im Binnenmarkt haben. Es fehlt insoweit ein „level playing field“.
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Ein wichtiges Beispiel für die handelshemmende Wirkung von Rechtsunterschieden sind die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Produktstandards, deren Beachtung Voraussetzung für die Vermarktung von Waren ist. Das Phänomen der Standardisierung erfasst praktisch die gesamte industrielle Produktion. Dabei geht es zum einen um technische Spezifizierungen, die im Falle nationaler Divergenzen die Inkompatibilität bzw. die fehlende Interoperabilität von Produkten zur Folge haben können, deren Gebrauch nur in Kombination mit anderen Produkten sinnvoll ist. (Beispielsweise ist der Stecker eines importierten elektrischen Geräts ohne Adapter unbrauchbar, wenn er nicht die inländischen Steckdosen passt). Zum anderen geht es aber auch um qualitative Schutzstandards, denen Produkte genügen müssen, damit sie nicht die Gesundheit, die Umwelt oder die technische Sicherheit gefährden. Wenn die Mitgliedstaaten der Union jeweils unterschiedliche Schutzstandards anwenden, so müssen die Hersteller, um ihre Waren exportieren zu können, ihre Produkte jeweils diesen unterschiedlichen Schutzstandards anpassen. In all diesen Fällen entstehen Transaktionskosten, die den zwischenstaatlichen Handel u.U. zum Erliegen bringen können.
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Ein anderes Beispiel für die möglicherweise negativen Auswirkungen von Regelungsunterschieden ist der Bereich des Gesellschaftsrechts. Die mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen enthielten traditionell sehr unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Grenzen der Vertretungsmacht der geschäftsführenden Organe von Kapitalgesellschaften gegenüber Dritten. Diese Unterschiede führten für die ausländischen Geschäftspartner solcher Gesellschaften zu erheblichen Rechtsunsicherheiten. Sie konnten nicht mehr ohne weiteres sicher sein, dass Verträge, die sie mit den geschäftsführenden Organen ausländischer Gesellschaften vereinbarten, auch tatsächlich die jeweilige Gesellschaft wirksam verpflichteten. Obwohl gesellschaftsrechtliche Vertretungsregelungen nicht als Beschränkungen einer der wirtschaftlichen Freiheiten gewertet werden können, kann die aus ihrer Unterschiedlichkeit resultierende Rechtsunsicherheit sich dennoch als Hemmnis für den zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr auswirken. Es ist nicht auszuschließen, dass Rechtsunsicherheit bezüglich der Vertretungsbefugnis der Organe ausländischer Gesellschaften dazu führt, dass sich Inländer in ihren Handelsbeziehungen tendenziell auf inländische Handelspartner beschränken. – Ein weiteres Beispiel sind etwa die unterschiedlichen Mindestkapitalanforderungen, die an Kapitalgesellschaften gestellt werden. Sie führen zu ungleichen Finanzierungskosten der Gesellschaften und damit tendenziell zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen.
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Die Lösung solcher Probleme sieht das Unionsrecht in der Rechtsangleichung bzw. Rechtsvereinheitlichung durch unionsrechtliche Sekundärgesetzgebung. Dafür enthält der AEUV diverse Ermächtigungen. Dabei verwendet der AEUV die Begriffe „Rechtsangleichung“, „Harmonisierung“, „Koordinierung“ oder „Vereinheitlichung“ durchweg synonym. Die umfassendsten allgemeinen Ermächtigungsgrundlagen sind in Art. 114–117 AEUV enthalten. Es handelt sich um allgemeine legislatorische Querschnittskompetenzen. Danach kann die Union im Prinzip auf allen Rechtsgebieten bestimmte Regelungen zum Gegenstand der Rechtsangleichung bzw. Rechtsvereinheitlichung machen, sofern sie in einem Funktionszusammenhang mit dem Binnenmarkt stehen. Das ist nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen der Fall, wenn die Rechtsangleichung „erforderlich“ erscheint, um mitgliedstaatliche Beschränkungen der wirtschaftlichen Freiheiten oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt aufzuheben. Im Übrigen sieht der AEUV eine Reihe weiterer spezieller Rechtsangleichungskompetenzen vor, die aber ebenfalls im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Binnenmarkts stehen. Hervorzuheben sind vor allem die im Rahmen der Niederlassungsfreiheit relevanten Art. 50 und 53 AEUV. Schließlich kann die Union in diesem Zusammenhang erforderlichenfalls auch auf die „Vertragsabrundungskompetenz“ gem. Art. 351 AEUV zurückgreifen, die ein Tätigwerden, falls erforderlich, auch dann ermöglicht, wenn es dafür an einer vertraglichen Kompetenz fehlt. Der Vertrag von Lissabon hat insoweit allerdings die bisherige Bindung an den Funktionszusammenhang des Binnenmarktes gelöst und die Inanspruchnahme dieser Kompetenz auch für andere Unionsziele ermöglicht. Die Union hat aber auch hier die weiter oben erörterte wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundentscheidung der Unionsverträge zugunsten offener Märkte mit freiem Wettbewerb zu beachten. Sie verfügt zwar über ein gesetzgeberisches Ermessen, darf aber diese Grundentscheidung nicht durch Sekundärgesetzgebung unterlaufen, wobei auch die Korrektur von Marktversagen als marktkonform zu betrachten ist (siehe dazu Rn. 55 ff.).
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Die legislatorischen Instrumente, die der AEUV für die Sekundärgesetzgebung der Union zum Zweck der Rechtsangleichung bzw. Rechtvereinheitlichung bereit hält, sind die Richtlinie und die Verordnung (Art. 288 Abs. 2 und 3 AEUV). Richtlinien eignen sich vor allem für die Rechtsangleichung, dh für die Anpassung mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften an einen gemeinsamen Standard. Sie haben den Vorteil, dass sie durch innerstaatliche Gesetze in die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten transformiert werden können und müssen (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Dadurch lässt sich gewährleisten, dass die in einer Angleichungsrichtlinie geregelte Materie jeweils in den systematischen Zusammenhang einer mitgliedstaatlichen Kodifikation integriert werden kann und nicht davon isoliert bleibt. So lässt sich beispielsweise eine Richtlinienregelung betreffend die Vertretungsmacht der geschäftsführenden Organe von Kapitalgesellschaften mühelos in die mitgliedstaatlichen GmbH- bzw. Aktiengesetze einfügen.[92] Der Preis der Rechtsangleichung durch Richtlinie ist die aus der Verbindlichkeit nur ihres Regelungsziels und nicht ihres Wortlauts folgende Unterschiedlichkeit mitgliedstaatlicher Formulierungen in den jeweiligen nationalen Transformationsnormen. Verordnungen haben andererseits den Vorteil, dass sie in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gelten (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Ihre Bestimmungen haben also einen für die gesamte Union verbindlichen Wortlaut. Sie schaffen Einheitsrecht und nicht bloß angeglichenes mitgliedstaatliches Recht. Verordnungen stehen aber zwangsläufig außerhalb der mitgliedstaatlichen Regelungszusammenhänge, in die sie naturgemäß nicht integriert werden können. Das Ergebnis ist ein Pluralismus an Rechtsquellen, wobei allerdings Verordnungen die mitgliedstaatlichen Regelungen im Konfliktsfall verdrängen.
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Mit der Wahrnehmung der Rechtsangleichungskompetenz durch die Union verlieren die Mitgliedstaaten in gleichem Umfang die Kompetenz zur autonomen Rechtsetzung. Damit übernimmt die Union auch die Verantwortung für eine inhaltlich angemessene Regelung der anzugleichenden bzw. angeglichenen Rechtsmaterien. Es geht somit nicht um die bloß formale Beseitigung von Rechtsunterschieden, sondern zugleich um eine Optimierung rechtlicher Problemlösungen. Aus dem Funktionszusammenhang des Binnenmarkts folgt, dass davon insbesondere diejenigen Rechtsmaterien betroffen sind, die dem Schutz „zwingender Allgemeininteressen“ dienen, wie etwa Umweltschutz, Verbraucherschutz oder Gesundheitsschutz. Der Schutz dieser Rechtsgüter gehört zu den zentralen Aufgaben staatlicher Regulierung. Wenn diese Aufgabe in Zuge der Rechtsangleichung auf die Unionsebene verlagert wird, so muss die Union auch darum bemüht sein, eine dieser Aufgabe gerecht werdende Gesetzgebungspolitik zu entwickeln. Die Rechtsangleichung ist daher unvermeidlich ein Instrument der Union zur positiven Gestaltung der Rechtsetzung im Sinne der Unionsziele. Und Art. 114 Abs. 3 AEUV hebt ausdrücklich hervor, dass die Kommission bei ihren Regelungsvorschlägen in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz „von einem hohen Schutzniveau“ ausgehen und dabei insbesondere „alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen“ berücksichtigen soll.
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Zur Überwindung der beschriebenen Unvollkommenheiten des Binnenmarkts bzw. von Wettbewerbsverzerrungen aufgrund nationaler Regelungsunterschiede ist nun nicht in allen Fällen erforderlich, dass alle Mitgliedstaaten gleichlautende rechtliche Vorschriften einführen oder die Union Einheitsrecht setzt. Es kann häufig genügen, dass die Mitgliedstaaten die Einhaltung ihrer jeweils unterschiedlichen Vorschriften im Sinne des jeweiligen Regelungszwecks als gleichwertig anerkennen (Anerkennungsprinzip). Ein Beispiel ist die gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen, die für den Zugang zu bestimmten beruflichen Tätigkeiten erforderlich sind (Art. 53 AEUV).[93] Es ist ferner üblich geworden, dass die Union in bestimmten Bereichen nur Mindestvorschriften einführt, die es den Mitgliedstaaten erlauben, im Sinne des jeweiligen Regelungsziels weitergehende Regelungen zu treffen.[94] Ein Beispiel hierfür ist die Regelung des Mindestkapitals von Aktiengesellschaften in Höhe von 25.000 Euro.[95]
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Bezogen auf den Funktionszusammenhang der Rechtsangleichung bzw. -vereinheitlichung mit dem Binnenmarkt hat die Union inzwischen einen umfangreichen Katalog sekundärrechtlicher Rechtsakte (Richtlinien und Verordnungen) aufzuweisen:
– | Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit steht vor allem die Abschaffung von Einfuhrbeschränkungen im Vordergrund (instruktiv insoweit immer noch die Richtlinie 70/50/EWG über die Beseitigung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen).[96] Dabei geht es nicht mehr nur um die Aufhebung hinderlicher Grenzkontrollen, sondern um die Angleichung von technischen Spezifikationen (bezüglich Form, Größe, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, Etikettierung und Verpackung) oder von Produktstandards, die dem Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz oder der technischen Sicherheit dienen. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Schutzstandards des Herkunftslands, dessen Anwendung allerdings eine entsprechende Gleichwertigkeitsprüfung voraussetzt. Zur Lösung der damit verbundenen komplexen Probleme hat die Union Verordnungen erlassen, die für effektive Verfahren zur Feststellung der gegenseitigen Anerkennungsfähigkeit von Produkten durch die nationalen Behörden sorgen.[97] Sie werden flankiert durch ein von der Kommission kontrolliertes System gegenseitiger Notifizierung neuer potentiell handelsbeschränkender Produktstandards, die insbesondere durch die Aktivitäten nationaler Normungsorganisationen (wie beispielsweise in Deutschland des DIN)[98] entstehen, sowie einen komplexen Mechanismus der Standardisierung auf europäischer Ebene im Rahmen des CEN (Comité Européen de Normalisation) bzw. des CENELEC (Comité Européen de Normalisation Electrotechnique). Dem Zweck der Marktöffnung dient schließlich auch die Angleichung bzw. Vereinheitlichung des öffentlichen Vergabewesens sowie die Harmonisierung und Koordinierung im Bereich der gewerblichen Schutzrechte. |
– | Im Bereich der Dienstleistungsfreiheit geht es um die Harmonisierung wesentlicher Schutzstandards einschließlich der gegenseitigen Anerkennung aufsichtsrechtlicher Kontrollen etwa im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (Verwirklichung des Herkunftslandprinzips) sowie um die Beseitigung administrativer Hindernisse für die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung (etwa in Gestalt von Genehmigungserfordernissen und Zulassungsvoraussetzungen). Im Hinblick auf mitgliedstaatliche Bestimmungen über die Aufnahme und die Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten von besonderer Bedeutung ist die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG.[99] Sie schränkt die möglichen Rechtfertigungsgründe für die Anwendung von Regelungen des Bestimmungslandes über die Aufnahme oder Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten auf Dienstleistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten drastisch ein (Art. 16 Abs. 1). Geltend gemacht werden können nicht mehr generell „zwingende Gründe des Allgemeinwohls“, sondern nur noch Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit sowie des Umweltschutzes. Ferner müssen die nationalen Regelungen den Grundsätzen der Nicht-Diskriminierung und der Verhältnismäßigkeit genügen. Bestimmte Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind gem. Art. 16 Abs. 2 überhaupt unzulässig, dh sie lassen sich auch durch die genannten Gründe nicht rechtfertigen. Ausnahmsweise sind jedoch im Einzelfall Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit von Dienstleistungen zulässig (Art. 18). Zahlreiche Dienstleistungsbereiche sind allerdings von der Richtlinienregelung ausgenommen (insoweit bleibt es daher bei den vom EuGH entwickelten primärrechtlichen Rechtfertigungsgründen). Im Übrigen widmet sich die Richtlinie vor allem der Verwaltungsvereinfachung (Schaffung einheitlicher Ansprechpartner, elektronische Abwicklung, Informationsrechte, Kriterien für Genehmigungsregelungen, Wegfall von Pflichtmitgliedschaften) und der Verwaltungszusammenarbeit (insbesondere Amtshilfe). Darüber hinaus widmet die Dienstleistungsrichtlinie eine Reihe von Bestimmungen der Qualität von Dienstleistungen und der Schaffung von Verhaltenskodizes durch Berufsverbände und -organisationen. |
– | Im Bereich der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit ging es zunächst insbesondere um die sekundärrechtliche Liberalisierung des Kapital- und Zahlungsverkehrs durch die Beseitigung von Kontrollen (siehe dazu die insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Arten von Kapital- und Zahlungsverkehrstransaktionen sowie deren mögliche Beschränkungen immer noch instruktive Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG);[100] dieser Liberalisierungsschritt ist durch den Vertrag von Maastricht in das Primärrecht der Union übernommen worden (Art. 63 AEUV). |
– | Im Bereich der Freizügigkeit von Personen (Arbeitnehmer, Selbstständige einschließlich Gesellschaften) geht es um die Angleichung und gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen für den Zugang zu beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeiten (siehe dazu insbesondere die Richtlinie 2005/36/EG),[101] um die Angleichung wesentlicher Teile des Kapitalgesellschaftsrechts[102] sowie die Schaffung supranationaler Gesellschaftsformen auf der Grundlage von Einheitsrecht (insbesondere durch die SE-Verordnung 2157/2001/EG)[103] sowie um eine gewisse Harmonisierung im Bereich der Verbrauchssteuern (siehe dazu vor allem die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie 2006/112/EG).[104] |
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Die Kehrseite der Rechtsangleichung ist eine entsprechende Zentralisierung der Gesetzgebung. Eine Änderung des angeglichenen Rechts ist nur noch auf Unionsebene möglich. Aus diesem Grunde lassen sich gegen die Rechtsangleichung auch Bedenken geltend machen. Sie gründen sich vor allem auf dem Gedanken des Systemwettbewerbs. Sofern die Unionsbürger bzw. die Unternehmen die Möglichkeit haben, sich durch Wanderungsbewegungen einer bestimmten mitgliedstaatlichen Regelung zu entziehen und sich stattdessen der Regelung eines anderen Mitgliedstaates zu unterstellen, kann man von einem Regulierungswettbewerb unter den Mitgliedstaaten sprechen:[105] Solche Wanderungsbewegungen können etwa in Gestalt von Produktionsverlagerungen, von grenzüberschreitender Migration oder von grenzüberschreitendem Ex- und Import von Gütern bzw. Leistungen auftreten. In all diesen Fällen bringen die Beteiligten ihre Präferenz für ein bestimmtes nationales Regelungssystem zum Ausdruck. Der Gedanke des Systemwettbewerbs besagt, dass sich aufgrund solcher grenzüberschreitenden Wanderungsbewegungen im Laufe der Zeit herausstellen wird, welches das aus Sicht der Beteiligten „beste“ Regelungssystem ist. Sofern die nationalen Gesetzgeber auf diesen Wettbewerb durch entsprechende Anpassungen ihrer Gesetze reagieren, kann es tendenziell zu einer Rechtsangleichung „von unten“ kommen. Manche halten diesen Weg gegenüber der im AEUV vorgesehenen Rechtsangleichung „von oben“ (durch Unionsgesetzgebung) für überlegen. Allerdings ist die Funktionsfähigkeit eines solchen Systemwettbewerbs an eine ganze Reihe von Voraussetzungen gebunden, die nur in sehr begrenztem Maße erfüllt sind. Sie betreffen insbesondere die Mobilität der Normadressaten und die Reaktionsbereitschaft und -fähigkeit der Gesetzgeber. Immerhin mahnt der Gedanke des Systemwettbewerbs zur Behutsamkeit bei der Rechtsangleichung durch den Unionsgesetzgeber. Sie beseitigt diesen Wettbewerb schon im Ansatz und damit auch die entsprechende Flexibilität künftiger Gesetzgebung.