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a. Europa-Mittelmeer-Partnerschaft
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Eine besondere Gruppe aufgrund von Freihandelsabkommen assoziierter Staaten bildeten traditionell die Mittelmeeranrainer, genauer: die Staaten des Maghreb (Algerien, Marokko, Tunesien) und des Maschrek (Ägypten, Libanon, Jordanien, Syrien sowie die palästinensischen Autonomiegebiete) sowie Israel. Mit ihnen hat die EU schon vergleichsweise früh entwicklungspolitisch motivierte Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Die ersten Abkommen stammen – nach vereinzelten Vorläufern – aus den Jahren 1976/77.[25] Vertragspartner der EU waren allerdings nicht – wie im Fall der AKP-Staaten – die genannte Staatengruppe insgesamt, sondern jeder Staat für sich. Dennoch stimmten die Abkommen inhaltlich im Wesentlichen überein. Der handelspolitische Kern der Abkommen bestand in der weitgehenden Abschaffung von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung sowie von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Rohstoffen und gewerblichen Produkten mit Ursprung in den Maghreb- und Maschrek-Staaten in die EG. Diese Abkommen verlangten keine Reziprozität, sondern sahen – entsprechend ihrer entwicklungspolitischen Ausrichtung – nur eine asymmetrische Marktöffnung der EG gegenüber den Vertragsstaaten vor.
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Inzwischen hat sich ein grundlegender Wandel der handelspolitischen Beziehungen zu den Mittelmeeranrainern vollzogen. 1995 kam es aufgrund der Barcelona-Konferenz der EU-Mitgliedstaaten und der Mittelmeeranrainer zu einer Neuorientierung der gemeinschaftlichen Mittelmeerpolitik („Barcelona-Prozess“). Sie zielt nunmehr auf eine umfassende reziproke Marktöffnung durch Errichtung eines Euro-Mediterranen Wirtschaftsraums (Euro-Mediterranean Economic Area – EMEA). Er soll den Charakter einer echten Freihandelszone haben. Ausdruck dieser Strategie war zunächst eine neue Generation bilateraler Assoziierungsabkommen (Europa-Mittelmeer-Abkommen), von denen insbesondere die Abkommen mit Tunesien,[26] Marokko,[27] Israel,[28] Ägypten,[29] Algerien[30] und Libanon[31] bereits in Kraft getreten sind.
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2008 mündete diese Entwicklung in das Projekt einer „Mittelmeerunion“, die als multilateralisierte „Europa-Mittelmeer-Partnerschaft“ zu einem wesentlichen Bestandteil der seit dem Vertrag von Lissabon in Art. 8 EUV verankerten Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) geworden ist (südliche ENP-Dimension). Art. 8 Abs. 1 EUV sieht die Entwicklung „besonderer Beziehungen“ zu den Nachbarstaaten der EU vor, die gem. Art. 8 Abs. 2 EUV ihren Niederschlag in „speziellen Übereinkünften“ (dh völkerrechtlichen Abkommen) finden. Gemäß einem entsprechenden Strategiepapier der Kommission[32] geht es dabei insbesondere auch um die Handelsbeziehungen. Ziel ist es, die Nachbarschaftsstaaten so weit wie möglich an den Binnenmarkt heranzuführen, ohne ihnen aber eine Beitrittsperspektive zu eröffnen, und dabei zugleich die Integration der Mittelmeeranrainer untereinander zu fördern. Während die Europa-Mittelmeer-Abkommen bezüglich der Liberalisierung des Wirtschaftsverkehrs – abgesehen vom Verbot von Zöllen sowie von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung[33] – noch weitgehend programmatischen Charakter haben, dh erst durch entsprechende Beschlüsse der jeweiligen Assoziationsräte implementiert werden müssen, beabsichtigt die EU bereits den Übergang zu einer neuen Generation von Assoziierungsabkommen mit dem Ziel der Errichtung von „Vertieften und umfassenden Freihandelszonen“ („Deep and Comprehensive Free Trade Areas – DCFTA“). Sie sollen nicht nur den gesamten Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehr umfassen, sondern u.a. auch das Niederlassungsrecht, Investitionen, geistige Eigentumsrechte, technische Regulierungen sowie den Wettbewerb, das öffentliche Beschaffungswesen und die Angleichung an das EU-Recht. Beabsichtigt ist also die umfassende Liberalisierung des Wirtschaftsverkehrs zwischen den Mittelmeeranrainern und der EU im Sinne der vollständigen gegenseitigen Marktöffnung. Seit 2011 sind entsprechende Verhandlungen mit einer Reihe südlicher Nachbarstaaten vorbereitet und zum Teil (Marokko) bereits aufgenommen worden. Da diese Abkommen jeweils einen dem WTO-System nachgebildeten Streitbeilegungsmechanismus vorsehen, ist davon auszugehen, dass sie nicht unmittelbar anwendbar sind, Einzelne sich also auf die abkommensrechtlichen Freiheiten nicht berufen können.