Читать книгу Das Post Mortem Phänomen - Peter M. Sauer - Страница 11

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Philipps Großmutter Tina Bergers hatte nach dem Tod ihres Mannes vor zehn Jahren das große Haus am Venusberg verkauft und war damals zu Carolin und Hans in eine kleine Einliegerwohnung im Gartentrakt gezogen. Dort hatte sie sich behaglich eingerichtet und stand nach der Geburt der Enkelkinder trotz ihrer gelegentlichen Herzprobleme immer als Babysitterin zur Verfügung und vertrat die Eltern gern in mancherlei Hinsicht. Das bereitete ihr immer sehr viel Freude und die Enkelkinder liebten ihre selbstbewusste Gelassenheit und großherzige Toleranz, wenn es mal Probleme gab. Seit einem halben Jahr hatten Oma Tinas Herzbeschwerden jedoch stark zugenommen, und sie war nicht mehr belastbar. Sofort nach ihrem Einzug hatten Carolin und Hans damals einen separaten Durchgang über den Keller direkt in Omas Bungalow brechen lassen, um eine problemlose Verbindung der beiden Häuser zu schaffen, und so konnte jetzt auch Philipp jederzeit zu ihr gehen.

Als er eines Abends wieder zur Oma ging, um mit ihr Rommee zu spielen, fand er sie schwer atmend und mit blassem Gesicht auf ihrem Sofa vor. Sie wirkte sogar etwas verwirrt. Solche Herzattacken hatte Philipp bei ihr schon oft erlebt. Aber heute erschien ihm die Situation vollkommen anders. Er spürte wieder dieses seltsame Herzklopfen, noch schwach, aber er verstand es als unverkennbare Warnung. Philipp rannte zurück ins Haus und rief seine Mutter. Carolin war gerade dabei, die letzte Klassenarbeit zu korrigieren und schlug vor, dass er seiner Oma ein Glas Wasser und ihre üblichen Herztropfen geben sollte. Das war schon des Öfteren vorgekommen, und die Großmutter hatte sich bisher immer wieder schnell erholt. Philipp wurde böse und warf seiner Mutter vor, die Situation nicht ernst genug zu nehmen, der Oma gehe es wirklich sehr schlecht. Carolin entschied schließlich seufzend, ihm in die Wohnung ihrer Mutter zu folgen.

Als sie Oma Tina sah, schien ihr jetzt nichts anders zu sein als sonst, wenn ihre Mutter einen Anfall hatte. Deshalb tat sie das, was sie immer tat und um was sie Philipp gebeten hatte. Sie zählte die bereit liegenden Herztropfen ab und gab sie ihrer Mutter. Philipp begann energisch zu protestieren. Er schrie sie an und tobte: „Die Oma stirbt, glaube mir. Ich spüre das! Tu doch was. Hol einen Arzt!“

Oma Tina zog ihn zu sich heran und streichelte ihm über die Wange. Sie waren heiß und stark gerötet.

„Das ist lieb von dir, mein Junge, aber lass uns mal abwarten. Gleich wirken die Medikamente, und mir geht es dann wieder besser. Ich werde schon nicht daran sterben.“

„Doch Oma, bitte. Hört doch auf mich. Mama, ich will, dass du einen Arzt rufst, bitte! Wenn du das nicht tust, dann gehe ich selber zum Telefon und rufe die Frau Dr. Basch an.“

„Philipp, das wirst du jetzt nicht tun. Ich bin es immer noch, die bestimmt, wann es soweit ist.“

Carolin blieb bei ihrer Meinung. Tatsächlich legten sich die Schmerzen bei Oma Tina etwas, und sie schlief ein. Philipp ließ das aber nicht gelten. Er forderte immer wieder energisch Hilfe für seine Oma und drohte seiner Mutter erneut verzweifelt damit, die Ärztin selbst anzurufen.

Als Oma Tinas Atemzüge plötzlich bedrohlich langsamer und schwerer wurden, ließ Carolin sich schließlich überreden und rief die Hausärztin Frau Dr. Basch an. Noch bevor diese eintraf, begann Oma Tinas Körper sich aufzubäumen, und sie rang nach Luft. Erst hustete sie so stark, dass sie fast erstickte, dann ging das Husten in ein qualvolles Röcheln über. Philipp warf sich auf die geliebte Oma und hielt ihren zitternden Körper fest, so gut er konnte. Carolin erkannte nun ebenfalls den Ernst der Lage und versuchte zu helfen. Aber jede Hilfe kam zu spät, und für Tochter und Enkel war es grausam, hilflos mit ansehen zu müssen, wie die tapfere alte Dame ihr Leben unter Schmerzen aushauchte. Sie starb in den Armen ihrer Tochter, ihre kalten, nassen Hände fest in die von Philipp gepresst.

Frau Dr. Basch konnte nur noch den Tod der Großmutter feststellen und kondolierte. Philipp sprang auf und schrie:

„Du bist schuld, Mama. Du wolltest mir nicht glauben, dabei habe ich dir immer wieder gesagt, dass die Oma stirbt. Hättest du früher Hilfe geholt, wäre sie noch am Leben.“

Philipp war nicht zu beruhigen, er schrie und weinte und weißer Schaum bildete sich vor seinem Mund.

„Ihr seid alle Mörder, denn ihr habt einfach nichts getan. Ihr habt die Oma umgebracht.“

Die Ärztin versuchte ihn zu beruhigen und sagte ihm, dass seine Oma auch mit ihrer Hilfe oder der eines Notarztes ganz sicher heute Abend gestorben wäre.

„Sie war alt und ihr Herz war so schwach geworden, dass auch kleinste Anfälle zum sofortigen Tod führen mussten. Dies ist halt eben so geschehen und niemand trägt Schuld an diesem Tod. Ihr habt alle über so lange Zeit alles richtig gemacht, glaub mir. Deine Oma hat nun ihren Frieden gefunden und darüber dürft ihr zwar trauern, aber ihr solltet ihr diesen Frieden auch gönnen. Sie hat nun keine Schmerzen mehr, und vielleicht ist sie jetzt schon auf ihrem Weg ins Licht.“ Carolin bedankte sich bei Frau Dr. Basch, entschuldigte sich für Philipps Anschuldigungen und führte sie hinaus.

„Beruhigen Sie Ihren Sohn! Es wühlt Kinder enorm auf, wenn sie so etwas miterleben. Philipp scheint da besonders sensibel zu sein. Sie kennen Ihr Kind am besten, das klappt schon. Und glauben Sie mir, bei Kindern geht das oft sehr schnell und sie können mühelos wieder neu durchstarten.“

„Bei Philipp bin ich mir da nicht so sicher. Aber trotzdem vielen Dank.“

Philipp saß, gefangen in seiner Not, im Lehnstuhl seiner Oma und schaute sie unentwegt an. Sie lag friedlich in ihrem Bett und auf ihren Gesichtszügen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab.

„Philipp, niemand kann den vorbestimmten Tod erahnen oder verhindern.“

„Ich schon, Mama. Und ich habe es dir auch gesagt. In mir gibt es etwas, dass es mich spüren lässt. Glaub mir doch einfach.“

„Oma hat ihren Lebenskreis beendet und sie ist sicherlich niemandem böse. Auch dir nicht, obwohl du es offensichtlich gefühlt hast. Sie hat gewusst, dass es zu Ende ging und sie hat es zugelassen, auch wenn es für uns schrecklich war. Komm, wir setzen uns nebeneinander.“

Sie begann zu beten. Er kannte dieses monotone Rosenkranzgebet mit dem sich wiederholenden „Gegrüßet seist du, Maria“. Es kehrte Ruhe ein und Philipp konnte sich fangen. Später, als Mäc und Melanie dazu gekommen waren und alle voller tiefer Trauer schweigend im Raum verharrten, verließ Philipp den seltsam stillen Raum und zog sich in sein Zimmer zurück.

Das Post Mortem Phänomen

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