Читать книгу Das Post Mortem Phänomen - Peter M. Sauer - Страница 12
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Dieser Abend blieb dem Jungen in beklemmender Erinnerung. Nach der Beerdigung wurde er zunehmend introvertierter und wortkarger. Er erledigte zu Hause und in der Schule nur das Notwendigste und zog sich mehr und mehr in sein Zimmer zurück. Philipp versuchte, die Nähe von Menschen zu meiden, wann immer es ging. Die seltsamen Attacken blieben. Er hasste sie, konnte sich aber nicht dagegen wehren. Immer, wenn sie auftraten, spürte er, wie ein unheimlicher Druck von seinem Körper Besitz ergriff, der sich so weit steigerte, dass er das Gefühl hatte, sein Kopf drohe zu platzen. Hinzu kamen körperliche Veränderungen wie Herzklopfen, Kältegefühl und Zittern. Ein salziger, eisenartiger Geschmack legte sich auf seine Zunge, ein beißender Geruch stieg ihm zuerst in die Nase, dann in den Hals und er bekam eine starke Erektion. Das alles war ihm zuwider und besonders wegen des erektionsbedingten Anschwellens der Hose äußerst peinlich. Er wusste, dass dieser Ablauf immer dann auftrat, wenn er sich in der Nähe von alten oder kranken Menschen befand oder während seiner Besuche bei Onkel Chris im Krankenhaus.
Anlässlich einer Weihnachts-Benefizveranstaltung seiner Schule im benachbarten Altersheim litt er mehrmals unter so starken Beschwerden, dass er hinausrennen musste, um sich zu befreien. Philipp war das unheimlich, so etwas konnte nicht normal sein. Er kam sich krank und verrückt vor. Nur zwei Menschen hatte er sich anvertraut: seiner Mutter und Onkel Chris. Seine Mutter reagierte einfach nur hilflos. Da Philipp bei ihr das Gefühl hatte, dass ihre Sprachlosigkeit eher einer verzweifelten Verschwiegenheit glich, fragte er nicht weiter. Onkel Chris bot ihm eine erneute gründliche, internistische Untersuchung an, aber Philipp lehnte das ab, worauf sein Onkel nicht weiter drängte. Chris schien kein Interesse daran zu haben, Philipps Phänomen anders als mit Tabletten, die er ihm für den Fall des Anfalls verschrieben hatte, auf den Grund zu gehen. Die kleinen Pillen hatten dem Jungen aber so gut wie nicht geholfen.
In Wahrheit jedoch machte Chris sich größte Sorgen um sein Patenkind. Er hatte Carolin vor einiger Zeit zu einem Spaziergang am Rheinufer eingeladen, um mit ihr darüber zu reden. Dabei hatten sie beide über ihre völlige Hilflosigkeit im Hinblick auf Philipps Verhalten geklagt. Als Carolin den Verdacht einer eventuellen Epilepsie-Erkrankung äußerte, wies Chris dies klar zurück.
„Der Junge hat noch nie einen typischen Anfall gehabt und bleibt immer klar im Kopf.“
„Aber er hat doch immer kurz vorher diese typische Aura, dieses unbestimmte Vorgefühl, wie kann man das erklären?“
„Es gibt zwar kindliche Formen der Epilepsie, die aber in der Pubertät ausheilen. Da spielen jedoch immer krampfartige Anfälle vor allem im Schlaf eine Rolle oder es fallen Sprechstörungen auf oder man ist wenigstens kurzzeitig bewusstlos. Nein, das hat Philipp nie gehabt und in der Familie gibt es auch niemanden mit einer solchen Erkrankung.“
„Vielleicht gab es eine Schädigung bei der Geburt?“
„Auch das kann ich ausschließen, denn ich war dabei. Da muss etwas anderes dahinter stecken. Vielleicht könnte die Erklärung doch in der künstlichen Befruchtung liegen.“
Er dachte an die sogenannte „intrauterine Insemination“, die er damals bei Carolin vorgenommen hatte. Diese direkte Befruchtung von Samen und Eizelle in der Gebärmutter war heimlich kurz nach dem Unfall von Hans durchgeführt worden. Chris machte sich Vorwürfe, dass er damals vielleicht einen entscheidenden Fehler begangen haben könnte.
„Hatte der Samen möglicherweise doch einen Schaden? Es ist damals alles so schnell gegangen. Dagegen spricht, dass sowohl die Schwangerschaft wie auch Philipps Kindheit und Jugend bis jetzt ganz normal verlaufen sind, bis auf diese Attacken eben. Der Junge ist gesund und aufgeweckt.“
„Bisher ja. Vielleicht merkt man das erst später“, gab Carolin zu bedenken.
„Aber derartige Spätfolgen hat, soweit ich weiß, noch nie jemand mit einer solchen Befruchtung in Verbindung gebracht.“
Sie verabredeten beide, vorerst nichts zu unternehmen. Es bestand ja auch die Möglichkeit, dass die Attacken mit der Pubertät zusammenhingen, dann brauchten sie nur abzuwarten, bis alles sich zum Guten wenden würde. Auf keinen Fall sollte Philipp vorerst etwas von der ungewöhnlichen Befruchtung erfahren.