Читать книгу Das Post Mortem Phänomen - Peter M. Sauer - Страница 8

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Nach einer schwierigen Zeit lernte Philipp allmählich mit der Anwesenheit seiner neuen kleinen Schwester zurechtzukommen. Zwischen ihnen herrschte keine geschwisterliche Liebe, ihr Miteinander beruhte eher auf Toleranz, aber sie spielten miteinander, soweit dies bei einem Altersunterschied von mehr als drei Jahren möglich war.

Mit Philipps Einschulung im Sommer 2003 änderte sich sein Leben. Er wollte jetzt vor allem selbstständig sein, lehnte fremde Hilfe bei den Schulaufgaben ab und wollte alles alleine machen. Carolin ließ ihn gewähren, beschloss aber, dem Jungen als Ausgleich die Welt der Musik zu erschließen und meldete ihn zum Klavierunterricht an. Aber genau wie seinem Vater fehlte auch ihm jegliches Talent für ein Instrument und schon bald musste Carolin einsehen, dass dies keinen Zweck hatte. Andere Versuche, wie der Mitgliedschaft in einer Theatergruppe oder dem örtlichen Fußballverein scheiterten an Philipps Unfähigkeit, mit anderen unverkrampft und offen kommunizieren zu können. Er war sehr verschlossen und ging, wo und wann immer er konnte, Streitigkeiten aus dem Wege. Er besaß ein sanftes Wesen und blieb ein guter, aufgeweckter Schüler. Es gab keine Probleme, sodass Philipp die Grundschule mit der nötigen Empfehlung zum Gymnasium abschloss. Carolin entschied sich für ein naturwissenschaftlich orientiertes Gymnasium, welches außerdem nur einen Steinwurf von ihrem Haus entfernt lag. Die Veranlagung des Vaters zur Naturwissenschaft schien auch in Philipp zu stecken, wie sie glaubte.

In den kommenden Jahren kam Philipp manchmal unverhofft nach Hause, weil ihn starke Kopfschmerzen quälten. Bei diesen Gelegenheiten war er meistens nach dem Unterricht mit Freunden in der Fußgängerzone herumspaziert, wo ihn plötzlich beklemmende Hitzewallungen und Herzklopfen überwältigten. Carolin sorgte sich natürlich um ihren Sohn und veranlasste eine gründliche ärztliche Untersuchung, die aber zu keinem Ergebnis führte. Angeblich war Philipp kerngesund. Immer dann, wenn ihn die Attacken von neuem überfielen, ging er nun zum Alten Friedhof ans Grab seines Vaters und redete mit ihm. Das beruhigte ihn.

Eines Tages, als Philipp wieder einmal vom Friedhof nach Hause kam, weil er heute unter einer besonders schweren Attacke zu leiden hatte und überdies die ganze Zeit an seinen besten Freund Andreas denken musste, überbrachte ihm am Abend seine Mutter Carolin die schreckliche Nachricht, dass Andreas am Mittag auf dem Rückweg von der Schule überfahren worden war. Ein Lastwagen hatte ihn beim Abbiegen übersehen. Andreas war sofort tot gewesen. Während sie noch darüber sprachen, erinnerten sie sich daran, dass Philipp am Morgen seltsam aggressiv und verstört gewesen war.

„Siehst du Mama, als ich heute Morgen aufgestanden bin, habe ich gewusst, dass etwas Schlimmes passiert. Und ich musste dabei an Andreas denken. Ich hab das gespürt. Ich hätte dir das sagen müssen. Dann hätten wir ihn noch warnen können.“ Philipp war vollkommen durcheinander.

„Kind, das war doch bestimmt nur so eine komische Ahnung, die wir alle schon mal haben. Das geht mir manchmal genauso. Aber erst, wenn wirklich etwas passiert, denkt man: Das habe ich doch geahnt.“

„Nein, Mama, ich habe das wirklich gewusst! Das ist etwas ganz anderes, als du sagst, ganz schlimm. Ich hätte Andreas anrufen müssen. Ich bin schuld, dass er jetzt tot ist.“

„Philipp, nein, natürlich bist du nicht schuld! Andreas hätte besser aufpassen müssen. Es war seine Entscheidung, über die Kreuzung zu fahren. Er war eben im falschen Moment an der falschen Stelle. Komm, jetzt verscheuchen wir die schlechten Gedanken und du gehst ins Bett. Ich komme gleich zu dir und wir kuscheln noch ein bisschen, O.K.?“

Andreas war wie Philipp ohne seinen leiblichen Vater groß geworden, hatte ähnliche Vorlieben wie er, und beide waren so etwas wie Brüder. Sie besuchten zwar verschiedene Jahrgangsstufen, pflegten aber eine enge Freundschaft. Nachdem Philipp sich wieder etwas beruhigt hatte, ging er in sein Zimmer. Als er am nächsten Morgen allerdings völlig entspannt zum Frühstück erschien, so tat, als ob mit Andreas überhaupt nichts passiert wäre und ganz normal zur Schule ging, konnte Carolin sich nur wundern. Die Zeit verging, und sie vergaßen dieses Unglück oder besser gesagt, sie redeten nicht mehr darüber.

Philipp litt nach wie vor unter den Schmerzattacken und oft überfiel ihn dabei große Angst. Das passierte an vielen Orten: im Bus, auf dem Marktplatz, in größeren Menschenansammlungen. Da er keine Erklärung dafür fand, begann er sich irgendwann damit abzufinden.

Mit seinem Stiefvater Mäc konnte er nicht reden, weil er ihn mittlerweile verachtete. Sein Großkotzgetue, die Prahlerei über seine glänzenden Prozesserfolge, das viele Geld, sowie dessen Hang zum Alkohol mochte er nicht. Philipp fand Alkohol furchtbar. Und seine Schwester Melanie ärgerte ihn nur. Manchmal legte sie ihm sogar eine tote Maus ins Bett, worüber er entsetzlich wütend werden konnte.

Das Post Mortem Phänomen

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