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Kapitel 8

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14:00 Uhr

Farrells Wohnung, Midtown

Er zitterte leicht, als er auf sein Zuhause zuschritt.

Entgegen seinem Vorhaben, nochmal ins NYPD zurückzukehren, hatte er sich entschlossen, dass es genug für diesen Tag war. Neben der Vielzahl an Aufgaben und der einen speziellen Sache an diesem Morgen, war es vor allen Dingen der Besuch des Bürgermeisters gewesen, der heftige Kopfschmerzen bei ihm ausgelöst hatte. Havemeyer hatte ihm mitgeteilt, dass er das vom Sicherheitskomitee geforderte Bauvorhaben, dotiert mit 100.000 Dollar, ablehnen würde. Im Zusammenschluss mit Tammany Hall, William Tweed und den Stadträten sei die Entscheidung gefallen. Peter McGuire vom Sicherheitskomitee würde die Nachricht Anfang der Woche erhalten. Weil er befürchtete, dass diese Entscheidung heftige Reaktionen auslösen würde, hatte Havemeyer von ihm Unterstützung verlangt. Er solle die einschlägigen Viertel im Auge behalten und nach größeren Zusammenkünften Ausschau halten. Eine Eskalation sei nicht ausgeschlossen. Er hatte Havemeyer wissen lassen, dass sie bereits die Entwicklung im Komitee verfolgten, einen ihrer Männer eingeschleust hätten. Weil es keine zweiten Draft Riots in New York brauche. Dass er wisse, dass die Arbeiterbewegung unter den Händen Peter McGuires wüchse und der militante Flügel unter der Führung von Patrick Dunn ein weiteres Pulverfass sei. »Es ist nicht die erste politische Entscheidung mit Gefahrenpotenzial. Wir bereiten uns vor. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.« Die Worte hatten Havemeyer beruhigt. Für den Bürgermeister war die Sache damit vom Tisch. Aber für ihn war sie es keineswegs. Möglicherweise stand ein Aufstand bevor, der größte, den New York je gesehen hatte.

Sein Kopf fühlte sich an, als würde er zerspringen. Er ließ den Schlüssel in das Schloss seiner Haustür gleiten und öffnete die Tür.

Angus Farrell vernahm die Stimme seiner Mutter, als er eintrat. Er schritt in den Salon. Seine Schwester Agnes, die mit ihm das Haus bewohnte, und seine Mutter saßen am Esstisch beim Kaffee.

»Du bist schon da?«, ließ seine Mutter verlauten. »Wir hatten dich gar nicht erwartet.«

»Ja. Ich bin schon da.« Er schritt auf den Tisch zu. Agnes sah ihn durchdringend an.

»Wie war dein Tag?«, fragte sie.

»Wie üblich.« Er griff nach einem Stuhl und setzte sich.

Agnes erhob sich und holte ein Gedeck. Sie schenkte ihm Kaffee ein und fragte, ob er vom Gebäck etwas wolle, was er verneinte.

»Nächsten Samstag findet die von mir organisierte Wohltätigkeitsveranstaltung der Woman’s Christian Temperance Union statt. Sie wird eingeleitet mit einem Orgelkonzert in der Grace Church. Agnes und ich sprachen gerade hierüber. Ich hoffe, du wirst kommen.«

Sein Blick wanderte zu seiner Mutter. »Ich denke, ja. Das dürfte machbar sein.«

»Schön«, erklärte diese. »Dann wäre das geklärt. Vielleicht könntest du in der Woche noch deine Haare wieder in Form bringen lassen, Angus. Du solltest dein Äußeres nicht vernachlässigen, erst recht nicht in deiner Position.« Sie lächelte leichthin und wandte sich an Agnes. »Männer vergessen so etwas sehr leicht. Es ist unsere Aufgabe, ein Auge hierauf zu haben.«

Agnes senkte den Blick und erwiderte nichts.

»Ich glaube, ich habe anderes zu tun, Mutter. Mein Arbeitstag liegt bei 10 bis 12 Stunden täglich.«

»Heute aber nicht«, gab Edyth unmittelbar zurück. »Wie auch immer, du würdest mir einen Gefallen tun, wenn du diese Woche den Friseur aufsuchen würdest. Ein Mensch, der sich tadellos zeigt, muss sich keinen Tadel gefallen lassen.«

Aus dem Flur drang plötzlich lautes Geschrei zu ihnen. Agnes stand sofort auf, doch er hielt sie am Arm fest. »Lass, ich gehe«, sprach er in strengem Ton.

»Herrgott!«, stieß seine Mutter ungehalten aus. »Ich dachte, ihr hättet die Sache langsam im Griff. Ihr hättet ihn längst abgeben sollen. Längst!«

Angus stand auf und schritt in den Flur. Octavia, das Dienstmädchen, versuchte mit aller Kraft, Jonathan, seinen Sohn, der wild um sich schlug und trat, festzuhalten. Er ging dazwischen und schlang die Arme um seinen dreizehnjährigen Sohn.

»Wie oft habe ich schon gesagt, dass ihr ihm nicht die Maske anlegen sollt?«, schrie er zornig Octavia an.

»Er hat heute Morgen wieder gebissen!«, platzte es aus ihr heraus. Sie hielt ihm ihren Unterarm hin. Tiefrote Zahnspuren waren auf diesem zu erkennen. »Er ist wahnsinnig, warum will das keiner begreifen? Man weiß nie, wann er durchdreht – und wenn er es tut, ist niemand vor ihm sicher …«

Er hielt Jonathan fest in seinen Armen. Der Junge wandte und wehrte sich.

»Still, Jonathan, still. Ich bin da. Beruhige dich.« Es dauerte eine Weile, dann hörte Jonathan auf, sich zu winden. »Ich nehme dir jetzt die Maske ab. Und glaube mir, ich habe genauso viel Angst wie du.«

Die Augen seines Sohnes glänzten, er atmete schnell. Jonathan hielt still, als er ihm die Maske abnahm. »So ist es gut, Jonathan«, sprach er in ruhigem Ton. Der Junge verengte die Augen zu Schlitzen. In der nächsten Sekunde grub er seine Zähne in die Hand seines Vaters. Ein unterdrückter Schrei entrang sich seiner Brust.

»Da sehen Sie es doch selbst, wie es ist mit ihm!«, stieß Octavia aus.

Mit Mühe gelang es ihm, den Kiefer seines Sohnes zu öffnen und ihn von sich zu lösen. Jonathan schnaubte und spuckte, trat um sich.

Sein Blick fiel kurz auf die Hand, die blutete.

»Wir gehen hoch, Jonathan«, sagte er, den Schmerz, der von seiner Hand ausging, ignorierend. Er sah seinen Sohn intensiv an. »Komm jetzt«, sprach er in strengem Ton. Er griff nach der auf dem Boden liegenden Maske und wandte sich der Treppe zu. Erst jetzt registrierte er seine Mutter und Agnes, die im Türrahmen standen und das Geschehen verfolgten. Er wandte augenblicklich den Blick ab und sah wieder zu seinem Sohn. Jonathan schien unschlüssig, folgte ihm jedoch.

Wie sein Vater ihn geheißen hatte, legte Jonathan sich auf das Bett. Er setzte sich neben ihn. Das Fenster stand offen und ein leichter Windhauch strich durchs Zimmer.

»Warum lässt du es immer so weit kommen, Jonathan? Ich habe dir gesagt, du sollst tun, was Doctor Scutt gesagt hat, wenn du das Gefühl hast, durchzudrehen: Nimm den Stock und schlage auf das Brett. Wofür haben wir dir das sonst alles in dein Zimmer gestellt?« Er schüttelte den Kopf. Jonathan sah ihn aus großen, reglosen Augen an. Er legte seine linke, unversehrte Hand auf dessen Schulter. Die Berührung löste ein kurzes Augenzwinkern bei seinem Sohn aus.

»Wenn du hierbleiben willst, musst du tun, was Doctor Scutt gesagt hat. Wir können nicht jeden Monat ein neues Dienstmädchen einstellen. Verstehst du das?«

Jonathan zeigte keine Reaktion.

»Ich gehe jetzt, um meine Hand zu versorgen. Du bleibst hier und ruhst dich aus. Ich komme nachher wieder.«

Er nahm die Maske mit. Im Badezimmer hielt er die Hand unter fließendes Wasser. Sie blutete stark und wie er mit einem Seitenblick feststellte, hatte er eine Spur von Blutstropfen auf dem Boden hinterlassen. Im Schrank neben der Spüle fand er Verbandszeug. Nachdem er die Hand verbunden hatte, griff er nach der Maske. Sie war aus Leder, zwei große Löcher waren für die Augen ausgeschnitten worden, das Mundstück hatte eine trichterartige Form und war mit kleinen Löchern an den Seiten versehen. Kurz entschlossen band er sie sich um.

Er blickte sich im Spiegel an und atmete die heiße Luft ein, die sich sogleich unter der Maske bildete. Wie sollte er den Wahnsinn, der ihn umgab, nur aushalten?

Gegen jedes Gebot

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