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Kapitel 1

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Freitag, 18. September 1874, 9:09 Uhr

Hell Gate Brewery, Hell’s Kitchen

Die Morgensonne ließ die roten Backsteine der siebenstöckigen Fabrik in der 94th Street, nahe dem Hudson River, feurig aufleuchten. Aus einer Vielzahl von Schornsteinen drang weißer Rauch, der den Uhrenturm, im Zentrum der Fabrik stehend, einhüllte.

Sein Pferd im Trab führend, näherte sich Inspector Cochrane mit wachsamen Augen der Fabrik. Er passierte die lange Frontseite, um sich einen Gesamteindruck zu verschaffen. Die 94th Street war abschüssig. Die Fenster befanden sich in Bodennähe, doch in der Straße, die von dieser abbog, trennte eine braune Backsteinmauer von etwa vier Metern Höhe die Fenster der Fabrik vom Grund. Alles in allem wirkte die Fabrik wie eine Festung.

Inspector Cochrane zog die Zügel an, als eine der Hochbahnen vorbeifuhr, und lenkte sein Pferd retour auf den Haupteingang zu. Dort angekommen, sprang er aus dem Sattel und übergab dem Wachhabenden die Zügel.

»Inspector Cochrane vom New York City Police Department«, stellte er sich knapp vor. »Es kann ein wenig dauern«, schob er nach.

Der Wachhabende nickte. »In Ordnung.«

Er passierte das rechte der drei in Rundbögen eingefassten Portale. Durch eine Drehtür gelangte er ins Innere des Gebäudes, wo er sich sogleich bei der Anmeldung auswies. Ein Bediensteter wurde gerufen, um ihn zum Geschäftsführer zu bringen.

Aufmerksam blickte er sich um, während er neben dem Bediensteten lief. Gaslampen erhellten den marmornen Boden, Gemälde und Tafeln zierten die Wände.

Sie erreichten einen Personenaufzug und der Bedienstete hieß ihn einzutreten. Bereits mehrfach schon war er mit einem solchen gefahren, im Haughwout-Gebäude, einem Kaufhaus am Broadway. Die Erfindung Elisha Graves Otis’ faszinierte ihn über alle Maßen. Im vierten Stockwerk stiegen sie aus. Cochranes Blick fiel auf ein Gemälde, welches einen wohlsituierten, kräftig gebauten Mann zeigte, der dem aus dem Fahrstuhl steigenden Besucher mit einem Bierkrug zuprostete. Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Nach wenigen Schritten hielt sein Begleiter inne, um an eine Tür zu klopfen. Diese wurde kurz darauf geöffnet und Cochrane blickte in die Augen eines etwa 50-jährigen Mannes, der ihn aufgelöst ansah.

»Inspector Cochrane, New York City Police Department, guten Tag«, stellte er sich vor.

Der Mann musterte ihn eingehend. »William Barrow«, erwiderte dieser und hieß ihn mit einer Geste einzutreten. Cochranes Blick fiel sogleich auf den Mann hinter dem Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Anders als auf dem Gemälde im Flur blickte er keineswegs zuversichtlich und erheitert auf sein Gegenüber, sondern äußerst angespannt. Die langen glänzenden schwarzen Haare waren sorgsam nach hinten gekämmt und gaben Geheimratsecken frei. Das kräftige Gesicht war von einer großen, breiten Nase geziert, unter der sich ein dunkler Schnurrbart befand. Als er zu ihm trat, erhob sich dieser und streckte ihm die Hand entgegen.

»George Ehret. Wir haben Sie schon erwartet, Inspector.« Mit einem Nicken zu Barrow ergänzte er: »William Barrow ist der stellvertretende Geschäftsführer. Bitte nehmen Sie Platz. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Bier steht auch zur Auswahl. Noch.« Er räusperte sich. Cochrane schüttelte verneinend den Kopf, setzte sich und schlug ein Bein über das andere. »Vielen Dank. Ich benötige nichts. Am besten, wir beginnen gleich die Fakten zu sammeln. Ihr Bote sagte, in Ihre Fabrik sei eingebrochen worden.«

Ehret ließ sich auf seinen Sessel sinken, Barrow nahm neben ihm auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch Platz. In die Stirn des Geschäftsführers der Hell Gate Brewery gruben sich tiefe Falten. »Ja, allerdings. Der gesamte Bierbestand wurde gestohlen. Die Schrot- wie auch die Hammermühle, mit welchen das Malz zerkleinert wird, wurden zerstört.«

»Von wie vielen Fässern sprechen wir?«

»Von 200 Fässern.«

»Und auf welche Weise wurden die Mühlen zerstört?«

»Die Mechaniken wurden zerschmettert.«

»Sie sind also nicht mehr in der Lage zu brauen?«

»Genauso ist es.«

Barrow schnaubte laut auf. »Der finanzielle Verlust ist noch gar nicht absehbar! 200 Fässer, die gestohlen wurden! Und ab wann wir die Mühlen wieder in Betrieb nehmen können, ist fraglich. Das Brauen, Inspector, ist ein Prozess, der über Wochen geht. Wir werden auf absehbare Zeit kein Bier herstellen können – es ist ein Desaster!«

Ehret verschränkte die Arme vor der Brust und wechselte den Blick von Barrow zu Cochrane.

»Der Schaden ist also erheblich. Wann sind Sie von den Vorkommnissen in Kenntnis gesetzt worden?«, fragte Cochrane ruhig.

»Die Wachhabenden der Frühschicht haben um sieben Uhr den Einbruch festgestellt und uns umgehend informiert«, antwortete Ehret sachlich.

»Ist die Fabrik nachts nicht bewacht?«

»Natürlich ist sie das. Doch die Nachtwachen sind allesamt verschwunden. Genauso wie die Fässer.« Ehret sah den Inspector durchdringend an.

»Ich würde gern die Personalakten der Männer einsehen.«

Ehret schob ihm einen Stapel Papiere über den Schreibtisch zu. »Hier sind sie.«

Inspector Cochrane nahm sie an sich und las. »Haben Sie nähere Kenntnisse über diese Männer?«

»Nein. Derjenige, der sie eingestellt hat, arbeitet nicht mehr bei uns. Wir haben dementsprechend nur, was in der Akte steht. Unser Personal arbeitet schichtweise zusammen in festen Gruppen. Insofern hatten die anderen Wachhabenden keine Kontakte mit diesen dreien, außer bei der Übergabe. Wir haben schon mit ihnen gesprochen, sie wissen aber nichts Wesentliches über die Männer zu sagen.«

»Gut«, erklärte Cochrane und richtete den Blick erneut auf die oberste Akte.

»Was soll daran gut sein?«, stieß Barrow prompt aus.

Cochrane zog die Brauen hoch. »Gut daran ist, dass Sie die Belegschaft bereits auf Besonderheiten der drei Nachtwächter befragt haben. Ich werde die angegebenen Adressen heute noch prüfen. Eine Personenbeschreibung der drei wäre aus meiner Sicht hilfreich. Hierfür würde ich gern mit den Wächtern sprechen, die mit diesen bei der Übergabe Kontakt hatten. Sind sie noch im Haus?«

»Ja, ich bat sie zu bleiben, falls Sie noch Fragen an sie haben, Inspector.«

Cochrane legte die Papiere zurück auf den Schreibtisch. »Sehr gut.« Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. »Auf welche Weise wurde eingebrochen?«

Ehret lehnte sich vor. »Wir haben keine Einbruchsspuren feststellen können. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Wachhabenden den Einbrechern die Tür geöffnet haben.«

»Mag sein. Vielleicht wurden sie auch überwältigt und man hat ihnen die Schlüssel abgenommen.«

»Es gibt aber keine Toten«, entgegnete Ehret.

»Das wissen wir nicht. Vielleicht wurden sie in Gewahrsam genommen und an einem anderen Ort getötet«, gab Cochrane zurück.

George Ehret beugte sich vor und legte die Unterarme auf den Tisch. »Diese Annahme halte ich für äußerst unwahrscheinlich, Inspector.«

»Es handelt sich hierbei keineswegs um eine Annahme, Mr. Ehret. Ich schließe bloß die Möglichkeit nicht aus, dass es so gewesen sein könnte. Tote hinterlassen Spuren, lässt man sie verschwinden, sind auch die Spuren verschwunden. Zunächst jedenfalls.«

»Das ist wohl wahr«, grummelte Ehret. »Wollen Sie sich die Lagerhallen ansehen, in denen die Fässer standen? Die Brauereimühlen? Vielleicht können Sie etwas feststellen, was uns bislang entgangen ist.«

Cochrane nickte. »Ja, ich möchte mir die Lagerhallen ansehen, wie auch die Mühlen. Doch zuvor habe ich noch weitere Fragen an Sie. Ihre Brauerei ist bekannt. Welchen Stellenwert hat sie unter allen Brauereien New Yorks?«

Ehret wechselte einen Blick mit Barrow. »Unser Firmenvermögen ist nicht unbeträchtlich. Wir sind die umsatzstärkste Brauerei New Yorks.«

»Wer sind Ihre Konkurrenten?«

»Die Hubert Fischer & Leonhard Eppig Brewery«, meldete sich Barrow zu Wort. »Allerdings sind sie mit ziemlich großem Abstand eine Konkurrenz. Wie auch Jacob Ruppert.«

»Gibt es zwischen Ihnen und diesen Geschäftsführern Beziehungen auf Geschäftsebene – oder persönliche?«

»Nein, man kennt sich nur geläufig«, sprach Ehret kurz angebunden. »Jeder braut und trinkt sein Bier allein.«

»Sie werden die nächste Zeit kein Bier brauen, Mr. Ehret, mit Verlaub. Fischer & Eppig wie auch Ruppert schon. Diese werden auch über volle Lagerbestände verfügen, möchte ich annehmen. Das heißt nicht, dass ich die Herren verdächtige. Ich stelle lediglich Tatsachen fest.«

Ehret zog die Brauen zusammen. »Bei Fischer & Eppig ist Leonhard Eppig der Macher. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass er hinter dieser Sache steckt. Für ein solches Unternehmen braucht es Cleverness und Mumm. Würde er über das eine oder das andere verfügen, würde sein Geschäft besser laufen. Das tut es aber nicht. Und Jacob Ruppert sehe ich nicht als wirklichen Konkurrenten an, denn er produziert Knickerbocker und Pale Ale, also eine andere Sorte Bier. Im Übrigen: Wenn einer der beiden uns hätte schaden wollen, hätte dieser die Fässer aufgeschlagen und im Keller einfach auslaufen lassen, um das eigene Bier an den Mann zu bringen, denke ich.« Ehret lehnte sich zurück. »Wir sind hier in Hell’s Kitchen. Eine Menge Halunken treiben sich hier herum. Taschendiebe, Halsabschneider, Betrüger, Mörder, Gangster, die sich in Banden zusammenrotten. Wenn bekannt wird, dass wir auf unbestimmte Zeit unser Bier nicht liefern können, werden diese 200 Fässer gefragt sein – und gutes Geld einbringen. Wenn Sie mich fragen: Ich bin mir sicher, dass der Wind irgendwo aus dieser Richtung kommt!«

Cochrane nickte. »Das kann gut sein.«

»Was gedenken Sie zu unternehmen?«

»Was ist das für ein Bier, das Sie brauen, Mr. Ehret? Welche Sorte oder Sorten stellen Sie hier her?«, fragte Cochrane, ohne auf seine Frage einzugehen.

Sowohl Ehret als auch Barrow sahen verblüfft auf. »Sie kennen unser Bier nicht?«, stieß Barrow fassungslos neben ihm aus.

»Nein. Ich kenne Ihr Bier nicht.«

Stille spannte sich wie ein unsichtbares Netz über die drei Männer in dem Büroraum. Cochrane lachte schließlich leise auf. »Es ist kein entscheidendes Kriterium für die Ermittlung, dass man die Materie von Ermittlungsgegenständen kennt. Oder in diesem Fall trinkt.«

Ehret räusperte sich. »Sicherlich nicht. Es ist allerdings erstaunlich, dass Sie New Yorks beliebtestes Bier nicht kennen. Und zu Ihrer Frage: Wir brauen ein Kellerbier, wie die Münchner in Deutschland es brauen. Ein Dunkelbier.«

»Welche anderen Brauereien stellen ein ebensolches Bier her außer Fischer & Eppig?«

»Es gibt einige kleinere Brauereien, die sich darin versuchen. Aber ihre Umsätze sind äußerst gering.«

Cochrane strich sich mit dem Zeigefinger über die Braue. »Bitte erstellen Sie mir eine Liste dieser Brauereien, egal, wie klein sie sind. Und unabhängig vom Geschäftswesen, Mr. Ehret, möchte ich Sie fragen, ob Sie in einem persönlichen Konflikt mit einer Person stehen. Jemand, der vielleicht nichts mit dem Brauereigeschäft zu tun hat.«

»Wer gutes Bier braut, hat nur Freunde«, versetzte Ehret rasch. »Die New Yorker lieben mich. Das Produkt stimmt und der Preis auch.«

»Nicht alle trinken Bier, Mr. Ehret. Soweit waren wir schon.«

»Inspector Cochrane, ich kann Ihnen besten Gewissens sagen, dass ich keine Feinde habe. Jedenfalls keine, von denen ich weiß.«

»Nun, wenn das so ist, habe ich keine weiteren Fragen im Moment. Lassen Sie uns die Lagerhallen wie auch die zerstörten Mühlen ins Auge fassen. Die Personalakten der Nachtwachen würde ich gern mitnehmen, wenn Sie erlauben.«

»Natürlich können Sie diese mitnehmen«, sagte Ehret und stand auf. »Gehen wir zum Ort des Geschehens, hinab in die Keller der Hell Gate Brewery. Lassen Sie uns den Teufel finden, der hier gewütet hat.«

Gegen jedes Gebot

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