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1. Grundlagen

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Naturgemäß wollen beide potenziellen Vertragspartner vor Vertragsabschluss so viel wie möglich an Informationen über den anderen erlangen, um so auf möglichst breiter Tatsachenbasis über den Vertragsschluss entscheiden zu können. Überdies folgt aus der Vertragsfreiheit, dass jeder selbst bestimmen kann, von was er den Abschluss eines Vertrages abhängig macht, so dass er den Vertragspartner grundsätzlich nach allen Umständen fragen kann, die für ihn vor Eingehung des Vertrages wesentlich sind. Bei Anbahnung von Arbeitsverhältnissen wird dieses Fragerecht des Arbeitgebers aber zum Schutz des Bewerbers und seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschränkt. Ließe man nämlich ein unbeschränktes Fragerecht zu, so stünde der Bewerber oftmals vor einem unlösbaren Dilemma: Fragt bspw. der Arbeitgeber eine (nicht erkennbar schwangere) Bewerberin nach bestehenden Schwangerschaften, so bliebe der Bewerberin nur eine der drei, jeweils unerquicklichen Alternativen:

Sie antwortet wahrheitsgemäß. Dann dürfte das Risiko, nicht eingestellt zu werden, hoch sein, denn warum sonst sollte der Arbeitgeber nach diesem Umstand gefragt haben?
Sie verweigert eine Antwort. Das kommt aber faktisch einem „Eingeständnis“ gleich, schwanger zu sein, so dass auch hier wiederum die Nichteinstellung droht.
Sie lügt, verneint also wahrheitswidrig ihre Schwangerschaft. Dann wird sie zwar (vielleicht) zunächst eingestellt, sollte aber – was im konkreten Beispiel sehr wahrscheinlich ist – der Arbeitgeber eines Tages die Wahrheit erfahren, könnte er im Grundsatz den zustande gekommenen Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten, § 123 I Alt. 1 BGB.

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Um den Bewerber vor diesem unentrinnbaren Dilemma zu schützen, bleibt nur, beim Fragerecht des Arbeitgebers anzusetzen und dieses mit der Folge zu beschränken, dass bei der Lüge auf eine unzulässige Frage kein Anfechtungsrecht des Arbeitgebers aus § 123 I Alt. 1 BGB besteht. Dogmatisch begründen lässt sich dies damit, dass eine Anfechtung nach § 123 I Alt. 1 BGB in Erweiterung des Wortlauts ebenso wie diejenige nach § 123 I Alt. 2 BGB (wo dies aber klar normiert ist: „widerrechtlich durch Drohung“) nur möglich ist, wenn die Täuschung widerrechtlich war.[19] Daran fehlt es aber gerade, wenn die Frage des Arbeitgebers unzulässig war, besteht dann doch keine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Beantwortung.[20]

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Ein Fragerecht des Arbeitgebers besteht nur insoweit, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung der Frage für das angestrebte Arbeitsverhältnis hat, hinter dem die Belange des Bewerbers zurücktreten müssen; anderenfalls hat der Bewerber ein „Recht zur Lüge“.[21] Entscheidend ist eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des Arbeitgebers und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerbers (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG), welches das Recht auf informationelle Selbstbestimmung[22] und damit die Befugnis umfasst, zu entscheiden, welche persönlichen Daten er offenlegt.[23] Die Frage ist umso eher unzulässig, je (objektiv) weniger relevant der abgefragte Umstand für den angestrebten Arbeitsplatz ist und je weiter sie die Privatsphäre des Bewerbers berührt.

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Das ohnehin schon durch diese Grundsätze beschränkte Fragerecht des Arbeitgebers wird seit 2006 ferner durch die Regelungen des AGG eingeengt: Eine auf ein nach § 1 AGG verbotenes Differenzierungsmerkmal gerichtete Frage wird verbreitet bereits als Benachteiligung i.S.v. § 7 AGG gesehen mit der Folge, dass sie nur dann zulässig ist, wenn sie nach §§ 5, 8-10 AGG gerechtfertigt ist.[24]

Klausurhinweis:

Das Fragerecht des Arbeitgebers und seine Beschränkungen werden fast ausschließlich im Kontext der Anfechtung von Arbeitsverträgen wegen arglistiger Täuschung relevant (s. Rn. 176). Zulässig ist sie über den Wortlaut von § 123 I Alt. 1 BGB hinaus nur bei einer widerrechtlichen Täuschung. Deshalb ist zunächst abstrakt kurz zu begründen, warum das Fragerecht zu beschränken ist und bei einer unzulässigen Frage eine widerrechtliche Täuschung ausscheidet.

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