Читать книгу Berlin liegt in Frankreich - Philipp Skoeries - Страница 11

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Nur weg von hier!

Stopp! Stoooooooooooooopp!!“, schrie Rico. „Ich, ähm, es tut mir leid“, stammelte er.

Einer der größten und erfahrensten Gorillas, ein muskulöser Silberrücken, der auf einer Sänfte getragen wurde, stoppte den Mob mit einer Handgeste.

„Stolze Feieraffen“, sagte er, „ihr wisst, wir sind in diesem Quartal schon leicht über der geplanten Totschlagsrate. Wir kriegen Probleme mit der Landesüberwachung, wenn wir so weitermachen. Es muss sich schon lohnen, wenn wir den hier“, er deutete auf Rico, „plattmachen wollen. Nicht, dass ich das nicht gerne wollte, versteht mich an dieser Stelle nicht falsch. Aber es muss schon richtig Spaß machen und damit es Spaß macht, muss auch eine gute Geschichte darüber her, warum es dieser fremde, seltsame dicke Affe verdient hat, von uns zerlegt und aufgefressen zu werden, okay, Alter, ey?“

Das „Alter, ey“ klang ein wenig aufgesetzt, denn ansonsten konnte sich der erfahrene Anführer höchst gewählt ausdrücken. Zumindest im Gegensatz zu seinen anscheinend Untergebenen. Trotzdem: Spätestens bei dem Wort „auffressen“ wurde es Rico schlecht. Er war immer sehr aufbrausend gewesen und dadurch auch manchmal das eine oder andere Risiko eingegangen. Aber er war noch nie in eine so große und gleichzeitig fremde Affenhorde geraten, wie das nun der Fall war. Das Risiko, schlicht und ergreifend aufgefressen zu werden, erschien ihm außerordentlich realistisch, denn es war dieser aufgepeitschten Meute allemal zuzutrauen.

„Also“, sagte der Oberaffe und deutete mit dem Finger auf Rico, „wer kann eine tolle Geschichte zu diesem hässlichen Typen erzählen?“

„Ich“, sprang der geprügelte Gorilla, der Rico angegriffen hatte, auf und reckte dabei die Hand in die Höhe. „Das war so“, sagte er, „dieser krasse vollbehinderte Typ – ey, Alter, ey. Der hat misch erst mal voll so beknackt angeschaut.“ Dabei demonstrierte er einen wirklich selten bescheuerten Gesichtsausdruck, der sich mit Worten kaum beschreiben ließ. Er zog dabei die Unterlippe über seine Oberlippe und schielte mit seinen Augen so weit nach oben, dass nur noch das Weiße darin zu sehen war.

„Laaaaangweilig“, brüllte ein dicker Affe nach vorne.

„Iiiiiih, voll so eklig, ey, Alter, ey“, meinte ein Gorillamädchen.

Der Geprügelte fuhr unbeirrt fort: „So, und dann hab isch ihm halt so voll krass in sein hässlisches Gesischt geschlagen, so boom“, dabei demonstrierte er seine Heldentat mit einem weit ausholenden Schlag nach vorne und traf damit (wahrscheinlich, weil er immer noch mit den Augen schielte) einen kleineren Gorilla, der dadurch nach hinten flog und sich unfreiwilligerweise auf eine Gruppe junger, kräftiger Affendamen legte, die dadurch kreischend zu Boden fielen.

„Der hat so krass meine Freundin angemacht, ey, Alter, ey!“, brüllten die jeweiligen Freunde im Dreiklang und stürzten sich auf den nicht besonders begabten Geschichtenerzähler.

Gleichzeitig schien sich der Affe, der vorher durch Ricos Schlag auf dem Baumwipfel gelandet war, davon zu lösen, um schließlich krachend auf drei andere Damen zu fallen. Wieder hörte man kurz einen Satz von der anderen Seite, der irgendwie mit „ey, Alter, ey“ endete und mit „voll krass“ begann. Es startete eine wilde Prügelei, die schließlich die ganze Affenhorde erfasste, inklusive des gebildeten Anführers, der anscheinend versuchte, die Situation zu entschärfen, indem er von seiner Sänfte aus rief: „Bitte haltet die quartalsweise Regulierung der Totschlagszahlen im – äh – Auge … ey, Alter, ey.“

Rico nutzte die Chance und kletterte einfach über die sich prügelnden Streithähne, um so schnell wie möglich diesen Ort zu verlassen.

Das „ey, Alter, ey“ wurde langsam immer leiser und auch die kreischenden Gorillamädchenstimmen, die Wetten darüber abschlossen, wer welchen Affen besiegen würde.

Rico verspürte große Erleichterung, dieser Situation noch mal entkommen zu sein. Er lief und lief und irgendwann wusste er gar nicht mehr, wo er war und wie er überhaupt wieder nach Hause zurückkommen würde. Aber eigentlich war ihm das nicht mehr wichtig. Wo war überhaupt sein Zuhause?

Rico beschloss an diesem Tag, dass es nicht mehr der Wald sein sollte. Sein Zuhause musste ein anderer Ort sein. Er musste weg. Er musste weit weg. Es musste einen Ort auf dieser Erde geben, der ihm etwas Neues versprechen könnte. Etwas Größeres. Etwas, das seinem Leben Sinn verleihen könnte.

Es war schon dunkel geworden und Rico konnte kaum noch erkennen, wo er eigentlich war, der Weg war schlecht zu sehen. Er musste irgendwo ein Nachtlager errichten. Oder einfach an einem Baum ausruhen und ein wenig schlafen, schließlich hatte er genug erlebt. Er lehnte sich an einen gemütlich wirkenden Baumstamm und schloss die Augen.

Doch zur Ruhe kommen sollte er nicht.

Berlin liegt in Frankreich

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