Читать книгу Berlin liegt in Frankreich - Philipp Skoeries - Страница 13
ОглавлениеGeorge Hampelton
Waaaaaaaaaaaahhhhhhhh!“, schrie Rico lauthals.
Ein kleines Eichhörnchen war direkt auf ihn gekrochen und stand mehr oder weniger auf seinem Gesicht.
„Sie haben schlecht geschlafen, Sir, yes, Sir!“, brüllte es ihm mit leicht englischem Akzent entgegen.
„Was?“, fragte Rico. „Was zum Geier machst du auf meinem Gesicht und warum brüllst du mich an?!“
„52. Kompanie, melde mich zum Dienst!“, brüllte es und fügte etwas schüchtern hinzu: „Habe meine Einheit verloren.“
„O Mann … wieso muss mir so etwas immer passieren“, dachte sich Rico. „Wie lange habe ich denn geschlafen?“, fragte er sich eigentlich selbst, bekam aber prompt eine Antwort des militärischen Tierchens, das ihm entgegenbrüllte: „Sechs Stunden und zweiunddreißig Minuten, Sir, yes, Sir!“
Rico klatschte das Eichhörnchen aus seinem Gesicht und es plumpste vor ihm auf den Boden. „Rühren“, fügte er hinzu.
Es stellte sich – kaum verändert – beeindruckend beherrscht und diszipliniert vor ihm auf und entgegnete wieder ein halb gebrülltes „Sir, yes, Sir!“.
„O Mann, was willst du denn eigentlich von mir? Warum und seit wann sind eigentlich ausgerechnet Eichhörnchen im Krieg?“
„Das ist eine lange Geschichte“, entgegnete das Eichhörnchen traurig.
„Ist ja auch egal“, meinte Rico, „ich brauche ehrlich gesagt keine Begleitung.“
Das Eichhörnchen blickte entmutigt zu Boden. „Noch nicht mal eine kleine Begleitung? Also ein klein wenig, meine ich“, sagte es schüchtern.
Rico ächzte genervt. „Nein! Brauche ich nicht!“
Beide saßen nun stumm nebeneinander. Rico wendete seinen Kopf ärgerlich dem Eichhörnchen entgegen und räusperte sich deutlich wahrnehmbar.
„Sir, ich sitze hier einfach nur!“, erwiderte es beleidigt. „Darf ich das nicht?“
Rico dachte nach. Brauchte er wirklich keine Hilfe? Er wusste nicht einmal, wo er war.
„Wie geht es hier raus aus dem Wald?“, sagte er etwas leiser, als wäre es ihm peinlich, wenn jemand mithören könnte, dass er ausgerechnet ein Eichhörnchen nach dem Weg aus dem Wald fragte.
Es kramte eine Karte hervor und entgegnete selbstbewusst: „Sir, yes, Sir! Wir befinden uns aktuell im Südosten an genau diesem Punkt. Ein strammer Fußmarsch in Richtung Nordwesten und wir könnten es bereits heute Abend aus dem Wald herausschaffen, Sir! Danach möchte ich nach England zurück, es gibt einen Flughafen nicht weit von hier.“
Rico beäugte das kleine Tier argwöhnisch. Wenigstens wusste es, wo es hinwollte. Und immerhin wollte es auch weg von hier. Außerdem wusste er nicht einmal, wo „nordwestlich“ war, also mochte dieser kleine Wicht ja doch noch hilfreich sein.
„Wie heißt du überhaupt?“, fragte er skeptisch.
„George Hampelton“, antwortete das Eichhörnchen prompt und fügte ein überstürztes „Sir, yes, Sir!“ hinzu.
„Soso …“, knurrte Rico.
„Wie ist Ihr Name, mit Verlaub, Sir?“, guckte es Rico fragend an.
Er dachte einen Moment nach, ehe er antwortete. „Ähm, Jean-Pierre Gargouille“, meinte er schließlich zögerlich und fügte hinzu: „Ach, sag einfach Rico!“
„Jean-Pierre?“, fragte Hampelton. „Das ist doch ein exzellent klingender Name! Ich gehe davon aus, Sir, Sie wollen – wie ich – in Ihre Heimat, Frankreich, zurück. Es wäre mir eine Ehre, Sie dabei zu unterstützen!“
„Hm …“, meinte Rico, „ja, also, Frankreich, ja, natürlich möchte ich dahin. Also, ich möchte da wieder hin. Ist ja schließlich meine Heimat und ich war deswegen ja auch schon mal dort. Also eigentlich komme ich ja von dort. Und jetzt möchte ich da wieder hin. Das ist schon richtig. Wobei ich ehrlicherweise sagen muss, das ich mich ähm – kaum erinnern kann. Alles, was ich über Frankreich weiß, kenne ich nur vom Hörensagen.“
George Hampelton hatte Ricos Gestopsel nicht wirklich verstanden und sah ihn ein wenig fragend an.
„Frankreich ist weit weg und fliegen ist nicht unbedingt meine Leidenschaft. Ich muss mir das also noch genauer überlegen“, ergänzte Rico nun erklärend.
„Sir, yes, Sir“, rief George ihm gehorsam entgegen.
„Sei mal nicht so formal“, sagte Rico. „Du kannst Du zu mir sagen.“
„Sir, yes, du, äh, Sir!“, presste ihm George wieder entgegen, sichtlich verunsichert, einen so großen Gorilla einfach mit Du anreden zu dürfen.
Aber Rico hatte ein gutes Gefühl. George war wohl das erste Wesen, das seinen selbst gewählten Namen gut fand. Das war doch kein schlechtes Zeichen! Kaum hatte er sich entschlossen, den Wald zu verlassen, hatte er auch schon den ersten Unterstützer. Zugegeben, ein etwas mickriger, aber immerhin anscheinend mit einem gewissen Orientierungssinn.
„Wo geht es denn nun genau hin?!“, fragte Rico bestimmend.
George kramte wieder seine alte Karte hervor und glich sie umständlich mit ihrer aktuellen Position ab. „Die Sonne steht nun hier, also muss hier Süden sein und dort Norden.“ Er fuchtelte dabei erklärend mit seinen Armen umher. „Folge mir nach, Jean-Pierre, es geht genau hier entlang“, ergänzte er und deutete auf den Weg vor sich.
„Gut“, sagte Rico zögerlich, „lass es uns versuchen – umkehren können wir immer noch.“
So stapften die zwei ungleichen Tiere durch den Wald, ihr Ziel vor Augen. Sie ahnten nicht, dass ihnen etwas folgte.