Читать книгу Berlin liegt in Frankreich - Philipp Skoeries - Страница 16
ОглавлениеTickets nach Frankreich
Nachdem die beiden sich etwas ausgeruht und ihr Nachtlager an einem gemütlichen Baum aufgeschlagen hatten, fing George an, ein Lagerfeuer zu entzünden. Sie hielten etwas mitgebrachten Käse darüber und George kümmerte sich vorbildlich um das Befeuern ihres kleinen Grills.
Rico saß nachdenklich davor, das Knistern der Flammen ließ seine Gedanken schweifen. Normalweise war er immer dann besonders nachdenklich, wenn er zuvor einen Wutanfall gehabt hatte. Aber dieses Mal war er fast ein wenig stolz, denn obwohl George noch nicht mal wusste, was ein Rehlein war, hatte er ihn nicht einfach links liegen gelassen. Er war auch nicht ausgeflippt. Er hatte nur ein wenig geknurrt und den Rest des Abends eine böse Miene aufgesetzt. Es gab Zeiten, da hätte er dieses arme dumme Eichhörnchen mit einem Schlag in die Weiten des Waldes befördert, um es loszuwerden, und sich nicht darum gekümmert, was danach passierte.
Aber dieses Mal hatte er ja ein Ziel. Er wollte nach Frankreich und gleichzeitig wollte er unbedingt dieses wunderschöne Rehlein finden, oder noch besser: es auf seinem Weg in seine Heimat begleiten. Es war, als hätte das Rehlein eine tief in ihm liegende Sehnsucht geweckt. Ähnlich dem Gefühl, das er immer hatte, wenn er allein durch den Wald streifte. Es war der Wunsch, über sich selbst hinauszuwachsen. Etwas zu erkennen, das sonst vor ihm verborgen gewesen war. Als gäbe es etwas hinter dem Wald, außerhalb davon, einen blinden Fleck in seinem Bewusstsein.
Rico war entschlossen, diesen blinden Fleck zu finden. Wie lange würde es wohl dauern, um Frankreich zu erreichen? „George, wie lange brauchen wir noch zum Flughafen?“, fragte er prompt.
„Nun, öhm, wir brauchen sicher noch ein paar Tage. Je nachdem, ob wir dein Rehlein finden oder ob es in eine andere Richtung läuft und wir ihm dann wiederum nachlaufen.“
„Hmmmmm …“, grummelte Rico. „Und wenn du davon ausgehst, dass wir den kürzesten Weg nehmen?“
„Nun“, sagte das Eichhörnchen etwas selbstbewusster, „wir müssen auf alle Fälle durch zwei ziemlich gefährliche Städte. Der Weg an sich ist nicht länger als zwei Tage, aber nur, wenn wir uns nicht zu lange an diesen beiden Orten aufhalten werden.“
„Was wollen wir denn in diesen zwei Städten?!“, erwiderte Rico, schon wieder etwas emotionaler.
George sah ihn mit großen Augen an, offensichtlich irritiert über Ricos Unverständnis von grundsätzlichen Dingen. „Na, wir müssen doch Tickets kaufen!“
„Tickets?“, erwiderte Rico, der dieses Wort zum ersten Mal hörte und es vor George nur ungern zugeben wollte.
„Ja, Tickets. Tickets für das Flugzeug – die kosten Geld. Wir müssen in die eine Stadt, um Geld zu verdienen, und in die andere Stadt, um damit das Ticket zu kaufen. Wenn dein Rehlein von hier aus irgendwohin möchte, muss es das übrigens auch tun.“
„Sicher“, grummelte Rico, „Geld … braucht man.“ Er hatte davon gehört, aber wie man an Geld kam und wie das genau aussah, war ihm reichlich unklar. Auf eine gewisse Art und Weise war er doch froh, dass George bei ihm war. Wenn das Reh auch durch diese zwei Städte musste, um nach Hause zu kommen, hätte er eine echte Chance, es wiederzufinden.
Offenbar war das Eichhörnchen also tatsächlich von großem Nutzen. Zwar wusste es noch nicht einmal, was ein Rehlein war, und schien ein gänzlich willenloser Soldat zu sein, hatte aber zumindest eine klare Vorstellung davon, was zu tun wäre, um Rico endlich nach Frankreich zu bringen.
George aber hatte in Wirklichkeit ganz eigene Vorstellungen davon, wie er Ricos Weg begleiten würde. Und dumm, das war er keineswegs.