Читать книгу Berlin liegt in Frankreich - Philipp Skoeries - Страница 26
ОглавлениеWo ist Rico?
FIGHT THE SYSTEM“ stand in riesigen Lettern an der Wand, vor der George stand und über Rico nachdachte. Wo war dieser Affe nur? Und wer hatte diese riesigen Buchstaben an die Wand gemalt? Alle drei Wörter waren in Rot geschrieben und man merkte ihnen an, dass sie in Wut hinterlassen worden waren.
„Jean-Pierre?“, fragte George in die Leere, aber außer einem leisen Echo tönte nichts aus den noch dunklen Bürofluren zurück.
Es war frühmorgens, George hatte im Büro geschlafen und war erst vor Kurzem aufgestanden. Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass Rico in der gleichen Nacht noch zurückkommen würde, aber er war nicht mehr aufgetaucht. „Mist!“, fluchte George. „Mist, Mist, Mist! All die Mühe umsonst!“ Er lief weiter und es zeigten sich neue Buchstaben an der Wand: „Destroy the System!“ Der Schreiber schien also im nächsten Gang bereits etwas selbstbewusster geworden zu sein. Einen Gang weiter entdeckte George erneut einen Spruch, diesmal in noch größeren Buchstaben: „Destroy what destroys you!“
„Jean-Pierre?“, fragte George sehr verunsichert in den nächsten Flur hinein, denn George konnte als einer der wenigen hier Englisch und wusste, dass die mögliche Kombination aus wütendem Gorilla und „Destroy“ keine gute sein konnte. Hatte Rico sich irgendeiner radikalen Gruppe angeschlossen?
Doch er war nicht aufzufinden. Rico war mittlerweile enorm mit seiner Revolution beschäftigt und hatte dafür sogar weitere Verbündete gefunden. Ein Schaf, ein Bock und ein Kater hatten sich ihm und dem Hasen Hannes angeschlossen. Der Name des Schafs war Harald, der Bock hieß Peter und der Kater Rudi. Alle wollten nicht mehr.
„Ich kann nicht mehr“, sagte das Schaf, als Rico ihre Aktion erklärte und ihm anbot, sich anzuschließen – es willigte sofort ein.
„Ich habe keinen Bock mehr“, sagte der Bock und der Kater sagte: „Die können mich mal!“
Sie hatten sich sogar ein Symbol zurechtgelegt. Rico malte ein großes F an die Wand – für „Freiheit“ und für „Frankreich“ – und umkreiste es mit seinem Stift. „F“ stand auch für „Fight“ und für „Frieden“ (durch Kampf).
Zugegebenermaßen hatte der kleine Künstlerhase bei der Gestaltung des Logos assistiert, aber er freute sich auch mit Rico, denn wenn ein so großer, gefährlicher Gorilla den Sinn in seiner Kunst erkannt hatte, dann würde die Welt sein Talent eines Tages sicherlich auch entdecken.
Sie bogen nun gerade um die Ecke, als Herr Sparsam plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte. Den Blick auf die Uhr gerichtet und das Gesicht in Sorgenfalten gelegt, übersah er den Kater und stolperte direkt über ihn.
Rudi fauchte, Herr Sparsam fiel und knallte mit einem überraschten Schrei direkt auf den Boden. Er stöhnte und bemerkte erst dann die herumstreunenden Tiere. „Was bitte ist das für eine Arbeitsmoral? Es ist 07: 30 Uhr und Sie finden Zeit dafür, auf dem Flur spazieren zu gehen?“ Er schien die Graffitis an der Wand noch gar nicht bemerkt zu haben.
„FIGHT THE SYSTEM“, entfuhr es Rico und die anderen Tiere stimmten sofort mit einem gemeinsamen „FIGHT THE SYSTEM“ ein.
Herr Sparsam wurde zornig. „Was fällt Ihnen überhaupt ein?! Wir bezahlen überdurchschnittlich gut. Die Südbank bezahlt viel schlechter, wollen Sie etwa versetzt werden? Glauben Sie, Sie verdienen sich hier auch nur einen Schein, wenn Sie unflätige Äußerungen von sich geben? Sie müssen doch einen Nutzen mit sich bringen. Bringen Sie mir überhaupt irgendetwas? Oder sind Sie entbehrlich? Helfen Sie mir gefälligst auf, Sie unnützes Vieh!“
Das Schaf blickte schockiert drein und sagte leise: „Also ich will auf keinen Fall wieder zur Südbank. Ich bin eigentlich ganz, ähm, zufrieden hier in der Nordbank.“
Der Bock sagte: „Na, dann geh’ ich wohl lieber mal wieder an die Arbeit.“
Der Kater sagte gar nichts und drehte sich einfach weg, um wieder in Richtung Büro zu laufen. Der Hase bibberte nur.
Doch mit einem hatte niemand gerechnet. Plötzlich stand George am Flurende, er hatte Rico tatsächlich gefunden (was eigentlich auch nicht so schwer war, denn in der Regel war niemand auf den Fluren, es war leise, es herrschte geradezu Totenstille). Die „Fight the System“-Rufe waren kaum zu überhören gewesen, außer man war so beschäftigt wie Herr Sparsam. George räusperte sich, sprang auf das Gesicht des immer noch am Boden liegenden Buchhalters und piepste so laut es ging: „FIGHT THE SYSTEM! ALLES FÜR ALLE, BIS ALLES ALLE IST!“