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Weitere Bischofskandidaten

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Die vordergründige Übereinstimmung Bertrams hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise in Meißen nahm Pacelli mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis, wie er am 2. Januar des neuen Jahres dem Breslauer Kardinal eröffnete.65 Bedenken bewegten den Nuntius jedoch, wie das Kapitel einen Kandidaten aufnehmen werde, der nicht von ihm gewählt, sondern vom Papst ernannt worden war. Die für diesen Fall zu erwartenden Schwierigkeiten hatte Bertram selbst prophezeit. Um die Kapitulare gezielt auf eine solche Eventualität vorzubereiten und so „jegliche Unzufriedenheit möglichst zu vermeiden“66, dachte Pacelli daran, sie durch Pater Watzl im Voraus darüber verständigen zu lassen. Vermutlich hoffte er, die Domherren so zu einem freiwilligen Verzicht auf die Wahl des Dekans bewegen zu können. Er hatte für diese Aufgabe Watzl in Aussicht genommen, weil dieser ihm – ebenso wie Bertram – von seiner guten Beziehung zum Kapitel berichtet hatte. Dass das Verhältnis des Redemptoristen zu den Kapitularen tatsächlich jedoch belastet war, wurde schon angesprochen. Weitere Überlegungen drängten sich dem Nuntius auch bezüglich der Kandidatenfrage auf. Den Anstoß dazu erhielt er in einem Gespräch mit einer „Mittelsperson“67 – wie er sie gegenüber Bertram bezeichnete –, die der sächsische Zentrumsabgeordnete Paul Hesslein zu ihm geschickt hatte. Der Gesandte, dessen Namen Bertram nicht erfuhr, war Franz von Stockhammern, ein bayerischer Diplomat und seit 1919 Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium.68 Die genannte Unterredung fand vermutlich am gleichen Tag statt, an dem Pacelli den Fürstbischof von diesen Neuigkeiten unterrichtete. Laut Darstellung des Nuntius schlug Stockhammern für die Nachfolge Löbmanns zwei Geistliche vor: zum einen den Breslauer Domherrn Heinrich Freiherr von Miltitz, „der mehr den aristokratischen Kreisen genehm wäre“ und zum anderen den Bautzener Ehrenkanoniker Franz Müller, „der mehr dem Volke persona grata sein würde“69. Allerdings sei dieser auch in gehobeneren Kreisen beliebt, sodass der König ihn zu seinem Beichtvater und Hausgeistlichen erwählt habe. Müller schien Pacelli mehr zuzusagen, denn gegenüber Bertram qualifizierte er ihn als einen „eifrigen Geistlichen“ und „guten Redner“70, den nach Stockhammers Informationen auch der Breslauer Oberhirte zu schätzen wisse. Von diesem erhoffte sich Pacelli zu beiden Punkten, sowohl zur präventiven Beeinflussung des Kapitels durch Watzl als auch zur Kandidatenfrage, weitere Auskünfte.

Bertram antwortete drei Tage später, diesmal aber nicht zustimmend.71 Zunächst schien es ihm zwecklos, das Bautzener Kapitel schonend auf die Aussetzung des Wahlrechts vorbereiten zu wollen: „Das Kapitel wird mit einem Übergehen seines Rechts freier Wahl des Dekans immer sehr unzufrieden sein, einerlei ob man ihm vorher etwas andeutet oder nicht. Einen Widerspruch des Kapitels schon vorher gleichsam provozieren, bevor der Heilige Vater sich entschlossen hat, bereitet nur unnötige Hindernisse.“72 Er habe – so Bertram weiter – eigentlich angenommen, dass Pacelli mit Hilfrich über die Ernennung zum Apostolischen Administrator für Sachsen sprechen und anschließend „in tunlichst liebenswürdiger Weise nach Dresden und Bautzen Nachricht geben“73 wolle. Ob dann alles zu einem guten Ende komme, könne er zwar nicht versprechen, doch hege er die Überzeugung, dass die Autorität des Heiligen Stuhls respektiert werde. Es sei eben nicht zu vermeiden, dass der ernannte Bischof „in stiller Geduld und stets gleich liebevoller Freundlichkeit unter Ignorierung von Unarten Boden fassen“74 müsse.

Die Nennung des bislang favorisierten Hilfrich zeigt bereits, dass Bertram die zwei Kandidaten, die dem Nuntius als tauglich beschrieben worden waren, nicht empfehlen wollte. Freiherr von Miltitz aus Breslau, der aus einem alten sächsischen Adelsgeschlecht stamme, könne im mittlerweile demokratisch verfassten sächsischen Staat unmöglich auf gute Resonanz stoßen. Sicherlich sei er rhetorisch versiert und könne mit einem „frischen Auftreten“75 glänzen – weshalb er ihn auch zu seinem Domprediger erkoren habe –, gelte vielen jedoch nicht als episkopabel. Zudem kultiviere er adelige Umgangsformen, die in Sachsen, wo es „nur das schlichte, einfache Volk in seiner Armut und Diasporanot“76 gebe, fehl am Platze seien. Ob er die „fromme, stille Innerlichkeit“ besitze, „jenes Fühlen mit der Volksseele der ärmsten Kreise“77, müsse bezweifelt werden. Die gebildete Königsschwester Mathilde sei der gleichen Meinung. Damit schied Miltitz für Bertram aus. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam er hinsichtlich des zweiten Geistlichen. Zwei Fragen habe er verschiedenen Personen vorgelegt, die mit Müller bekannt seien: ob er die geistige Begabung besitze, die Herausforderungen der sächsischen Kirche zu bewältigen und ob er in den letzten zwei Jahren im Umfeld des Königs ein tüchtiges Arbeitspensum geleistet habe. Niemand habe diese Fragen mit Bestimmtheit bejahen können. Deshalb fügte Bertram nichts mehr hinzu.78

Bertram hatte die von ihm als Autorität herangezogene Herzogin Mathilde aufgefordert, sich persönlich an den Nuntius zu wenden, um ihrem großen Erfahrungsschatz über die Lage der sächsischen Kirche Gehör zu verschaffen. Diesem Vorschlag folgte sie am 11. Januar, indem sie Pacelli ihren Herzenswunsch offenbarte: Die Kirche Sachsens möge nach der Befreiung von den Kulturkampfgesetzen einen Bischof bekommen, „der alle diese Verhältnisse mit weitem Blick übersieht“ und „sie mit fester Hand leitet“79. Obwohl sich ihrer Meinung nach viele fromme und eifrige Kleriker in Sachsen finden ließen, könne sie nicht beurteilen, ob eine Persönlichkeit darunter sei, „die führen kann und in der Lage ist zu instruere, defendere et pacifice gubernare“80, wie die Herzogin die Aufgaben eines Bischofs im offensichtlichen Anschluss an den heiligen Thomas von Aquin formulierte.81 Da aber der CIC eindeutig davon spreche, dass der Papst die Bischöfe frei ernenne, sei es alternativ denkbar, dass der Heilige Stuhl einen auswärtigen Priester nach Sachsen promoviere. Mathilde hielt einen Ordensmann für geeignet, weil es in Sachsen zum einen darum gehe, das kirchliche Leben auf die neu erworbene Freiheit einzustellen. Zum anderen müsse für die Auseinandersetzungen mit dem Staat ein „geschickter und unerschrockener“82 Bischof her. Damit positionierte sich Mathilde sowohl hinsichtlich des Prozederes als auch des Kandidatenprofils in ähnlicher Weise wie der Nuntius selbst.

Dieser übermittelte ihr zwei Tage später seinen Dank für die Einschätzungen und versicherte, die Tragweite der Angelegenheit erkannt zu haben.83 Nur an einem Punkt wurde er konkret: „Ich werde auch den von Ihnen vorgelegten Gedanken wohl überlegen, dass – trotzdem der sächsische Klerus viele fromme, würdige und verdiente Priester aufweist – es doch besser erschiene, wenn eine geeignete Persönlichkeit aus einer anderen Diözese als Oberhirte nach Sachsen gesandt würde.“84 Streng genommen hatte der Nuntius schon längst einen nicht-sächsischen Kleriker als Diözesanbischof ins Auge gefasst. Oder war er hinsichtlich Hilfrichs Kandidatur mittlerweile ins Wanken geraten, da er die neuen Kandidatenvorschläge Hessleins nicht sofort beiseite geschoben hatte? Jedenfalls suggerierte er mit dieser Formulierung gegenüber Mathilde, dass die Kandidatenfrage noch offen war und konnte sich damit im Bedarfsfall auf ihre sächsische Stimme für einen Nicht-Sachsen berufen, um eventuelle Einwände aus Dresden oder Bautzen besser entkräften zu können.

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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