Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 19
Eine Konvention mit der Reichsregierung: Delbrueck, Watzl und Pacelli
ОглавлениеBis zum ins Auge gefassten Termin des Festaktes, dem 24. Juni, waren es nur noch knapp zwei Monate. Daher bat Watzl den Nuntius, er möge in Rom auf eine beschleunigte Entscheidung dringen.201 Er bemerkte außerdem, dass das Kapitel entschieden habe, die Feierlichkeiten um zwei Tage zu verschieben, damit sie auf das Fest der Apostel Johannes und Paulus fielen und so das Problem, dass nicht genügend grüne Paramente für die Festliturgie vorhanden waren, umgangen werden konnte. Der Redemptorist schlug vor, erst am Festtag selbst den Namen des neuen Oberhirten öffentlich zu verkündigen, um vorangehende Diskussionen in dieser Richtung zu vermeiden. Auch zum Vorstoß der Regierung äußerte sich Watzl und verdächtigte diese, sich einen letzten Strohhalm im Einfluss auf die Kirche sichern zu wollen.202 Weder mit dem Kapitel in Bautzen noch dem Konsistorium in Dresden habe der sächsische Staat bisher Kontakt aufgenommen. Um Rom aus der Pflicht zu nehmen, hielt Watzl es für opportun, zwei Tage vor dem Jubiläum von Seiten eines Dresdener Vikariatsrats eine amtliche Mitteilung an die Regierung zu richten.
Auf die letzte Überlegung ging der Nuntius zunächst nicht ein, sondern bat Gasparri lediglich um die Genehmigung, das Zentenar am 26. Juni feiern zu dürfen.203 Auch auf eine Beschleunigung des römischen Verfahrens drang er nicht, weil er – wie er am 8. Mai gegenüber Watzl betonte – in seiner kürzlichen, ausführlichen Berichterstattung ausdrücklich darum gebeten habe, die Feierlichkeiten Ende Juni zu ermöglichen.204 Ob alles Notwendige bis dahin geregelt sei, konnte er Watzl allerdings nicht versprechen.205 Immerhin gestattete Gasparri mit Schreiben vom 26. Mai sowohl die Verlegung der Feierlichkeiten als auch die Anträge für die Ehrenbezeigungen, was Pacelli unverzüglich an Watzl weiter kommunizierte.206
Ende des Monats Mai nahmen nun doch die Regierungen Sachsens und des Reichs mit der Bautzener Kirchenleitung Kontakt auf und wandten sich dabei unmittelbar an Pater Watzl, wie dieser am 2. Juni an Pacelli schrieb.207 In Regierungskreisen merkte man also zunehmend, dass die Kirche in Sachsen vor gravierenden Veränderungen stand. Deshalb sprach am 30. Mai nach Darstellung des Redemptoristen der Regierungspräsident der Lausitz, Kreishauptmann Karl von Nostitz-Wallwitz, als inoffizieller Gesandter der Landesregierung bei ihm vor. Laut Watzl debattierten sie über die Errichtung des Bistums, die Wendenfrage208 und die Verlegung des Prager Priesterseminars. Ohne Interna zu verraten, habe er – so Watzl – Zusagen gemacht, „wenn der Staat sich entschließen wolle, die Angelegenheit nicht nur nicht zu hindern, sondern auch materiell kräftig zu fördern, da durch die beabsichtigte Maßnahme eine Stärkung des Deutschtums, mithin eine Absicht der sächs[ischen] Regierung durch den heil[igen] Stuhl verwirklicht werde“209. Der lutherische Beamte habe die Hinweise – vor allem die geplante Installation eines Deutschen als Diözesanbischof – positiv aufgenommen, Förderung versprochen und sogar darum gebeten, den Nuntius bei den Feierlichkeiten begrüßen zu dürfen.
Weniger harmonisch verlief nach Watzls Beschreibung die Unterredung mit dem Vertreter der Reichsregierung, die sich am 1. Juni in der Person des Vatikanreferenten im Auswärtigen Amt, Richard Delbrueck, zu Wort gemeldet habe. Dass das Reich in die innersächsische Materie in dieser Form eingriff, habe seinen Grund darin – so rekapitulierte der Pater den Staatsbeamten –, dass die sächsische Regierung „sich für desinteressiert [erkläre]“210 und die außenpolitischen Gegenstände der Reichsregierung überlasse.211 Die Gesprächsthemen waren denjenigen ähnlich, die er mit Nostitz-Wallwitz erörtert hatte, wobei die gesamtnationale Perspektive für den Regierungsgesandten verständlicherweise die zentrale Rolle spielte. In diese Kategorie gehörte beispielsweise die Überlegung, das neue Bistum Meißen in den Metropolitanbezirk von Bamberg einzugliedern, was wohl der Furcht geschuldet war, dass es einem ausländischen Erzbistum unterstellt werden könnte. Diesen Vorschlag habe Watzl sofort abgelehnt. Als weitere Postulate habe Delbrueck veranschlagt: „Verlegung des Seminars in 3 Jahren (wenn der Staat die Kosten bezahlt!!), Garantie der deutschen Majorität im Kapitel212 (was er aber fallen ließ) und Erteilung des Rechtes der Bischofswahl auch für Sachsen im Reichskonkordate.“213 Letzteres Thema qualifizierte Watzl als derzeit „kaum aktuell“214, womit es aus der Diskussion ausschied. Sobald der Vatikanreferent für diese Forderungen die Zustimmung Pacellis habe, werde – so gab Watzl Delbrueck wieder – das Reichsaußenministerium die Bistumsgründung befürworten. Auf seinen Hinweis, dass die Wünsche des Staates einen Übergriff in die innerkirchlichen Belange darstellen würden, was durch die Reichsverfassung nicht gedeckt sei, habe Delbrueck erwidert, dass dennoch ein Einvernehmen zwischen beiden Gewalten erzielt werden müsse.
Gegenüber dieser umfangreicheren Darstellung des Redemptoristen notierte sich Delbrueck selbst nur knapp, was er als Forderungen aufgestellt hatte, um „auch für eine fernere Zukunft eine übermäßige Einflussnahme der Wenden zu verhüten und die tschechische Propaganda bei den wendischen Katholiken zu erschweren“215: 1) die deutsche Majorität im Bautzener Domkapitel (was Delbrueck also offensichtlich nicht „fallen gelassen hatte“), 2) die Auflösung des wendischen Seminars innerhalb von fünf Jahren (Watzl hatte von drei gesprochen) und 3. die Eingliederung Meißens in die deutschen Diözesanstrukturen. Das Bischofswahlrecht des Bautzener Kapitels nahm neben diesen „nationalen“ Postulaten für die Reichsregierung also eine untergeordnete Rolle ein.
Für Pacelli waren diese Neuigkeiten Anlass, Watzl wieder nach München zu zitieren.216 Dieser musste jedoch am 6. Juni ablehnen, zu groß sei die Arbeitslast und der Andrang, seitdem die Kunde des bevorstehenden Besuchs des päpstlichen Vertreters in Sachsen die Runde mache.217 Die Besprechung über die Wünsche der Reichsregierung musste also zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden, vermutlich geschah das kurz darauf in der Reichshauptstadt.218 Zu welchem Ergebnis die beiden Geistlichen im Einzelnen auch gekommen sein mochten, Pacelli war den Forderungen Delbruecks gegenüber nicht grundsätzlich abgeneigt. In Meißen ein eigenes Priesterseminar einzurichten, war vom kirchlichen Recht her ohnehin anzustreben219 und die Diözese entweder exemt zu lassen oder allenfalls einer deutschen Kirchenprovinz zuzuordnen, stand außer Frage. Der Nuntius bat die Vertretung der Reichsregierung in München Mitte Juni lediglich, dass sie seine Zustimmung geheim halte.220 In der Regierung sah man den Grund für diese Intention Pacellis darin, eine Beunruhigung der Wenden zu vermeiden, eine Spekulation, die naheliegt. Jedenfalls war nun die zustimmende Haltung der Reichsregierung zur Bistumserrichtung gesichert. Wenige Tage zuvor hatten auch Papst und Staatssekretär ihr Urteil zu Pacellis Plänen gefällt.