Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 16
Pater Watzl CSsR: Ein geeigneter Bischof?
ОглавлениеSicherlich wusste Watzl sehr genau, dass er mit der wendischen Sprache eine ihn persönlich auszeichnende Fertigkeit als notwendiges Element der Eignung des Bischofskandidaten definierte. Ob er damit seine eigene Kandidatur steuern wollte, ist nicht endgültig zu beantworten, aber doch wahrscheinlich.141 Sollte das der Fall gewesen sein, wäre er neben Interimsadministrator Skala und dem Präses des Dresdener Konsistoriums Hartmann bereits der dritte Geistliche, der sich selbst als Kandidat ins Gespräch gebracht hätte. Neben den beiden vorhin genannten Qualitäten Watzls zeichnete ihn noch aus, dass er kein in Sachsen inkardinierter Priester, sondern im Redemptoristenkolleg im nordböhmischen Philippsdorf zu Hause war. Indem Pacelli ihn in Erwägung zog, blieb er also seiner Intention, keinen sächsischen Priester zu wählen, treu.
Bevor der Breslauer Fürstbischof antwortete, erhielt der Nuntius unter dem Datum des 8. März scheinbar zusammenhanglos ein Schreiben vom Ordinariatsangestellten in Bautzen, Nikolaus Halke, das ihn in der Eignung Watzls für den Posten des künftigen Diözesanbischofs von Meißen bestärken sollte.142 Halke bewertete Watzls „reiche Erfahrung auf allen Gebieten der kirchlichen Verwaltung, seine gründlichen Kenntnisse des kirchlichen und profanen Rechts, kurz seine überragende Gelehrsamkeit“143 für die Neuaufstellung der sächsischen Kirche als unabdingbar. Nun war aber der Pater für Ende des Monats nach Philippsdorf in sein Kolleg zurückbeordert worden. Angesichts des nahenden Verlusts des so wichtigen Mannes ersuchte Halke den Nuntius, sich dafür einzusetzen, dass der Redemptorist eine dauerhafte Rolle in der kirchlichen Hierarchie Meißens spielen möge, sei es als Bischof oder wenigstens als Generalvikar. Interessanterweise führte auch der Bautzener Beamte die Sprachkompetenz Watzls an, womöglich ein Indiz dafür, dass sein Schreiben im Sinne oder sogar auf Geheiß des Redemptoristen abgefasst worden sein könnte.144
Was dachte Kardinal Bertram über diese Personalie? Zunächst einmal hatte er nach dem Eintreffen des Briefes aus München vom 3. März, in dem Pacelli Watzl als eventuell geeigneten Bischofsanwärter einführte, sofort den Oberen des Kollegs in Philippsdorf, Augustin Rössler CSsR, kontaktiert. Damit verstand er als Aufforderung, was Pacelli im besagten Schreiben anmerkte, nämlich dass die nötigen geheimen Auskünfte über Watzl von den Ordensautoritäten eingeholt werden müssten, bevor der Vorschlag nach Rom gesandt werden könnte. Zwar fand der Informationsaustausch mündlich statt, doch brachte Rössler seine Gedanken in einem Manuskript vom 12. März für Bertram noch einmal geordnet ins Wort.145 Dabei führte er eine Bewertung Watzls unter vier – vielleicht von Bertram selbst angelegten – Gesichtspunkten durch:
1) Hinsichtlich der Verteidigung der kirchlichen Freiheiten und Rechte: Rössler war überzeugt, dass Watzl „den Mut eines sel[igen] Klemens August“146 aufbringe, wenn es darauf ankäme. Damit spielte er auf Clemens August Freiherr Droste zu Vischering an, der als Erzbischof von Köln 1837 von der preußischen Regierung inhaftiert wurde, weil er die sogenannte Berliner Konvention, einen Kompromissbeschluss in der Mischehenproblematik, nur anwenden wollte, insoweit sie mit den römischen Anordnungen konform ging.147 Nach Rösslers Ansicht war Watzl demnach bis zum äußersten Konflikt mit dem Staat bereit.
2) Im Hinblick auf die persönliche Eignung: Der erste Teil des Sinnspruchs fortiter in re, suaviter in modo, komme dem Genannten eher zu als der zweite. Obwohl also die Strenge überwiege, würde ihm auch das jesuanische misereor super turbam (Mk 8,2) am Herzen liegen.
3) Unter dem Gesichtspunkt der Sorbenfrage: Watzl sei alles andere als ein Nationalist. Als Deutsch-Böhme kein deutscher Staatsangehöriger, aber deutsch gesinnt, sei es sein Anliegen, „anderen Nationalitäten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“148. Auch könne Watzl die „verwickelte Angelegenheit des wendischen Seminars in Prag“149 einer günstigen Lösung zuführen, weil er die tschechische Sprache beherrsche.
4) Bezüglich des Verhältnisses zum Redemptoristenorden: Rössler hielt es für auffällig, dass Watzl vielfach außerhalb der Ordensangelegenheiten eingesetzt wurde, konnte aber nicht leugnen, dass „er zumeist guten Erfolg hatte“150.
Der Philippsdorfer Superior stellte seinem Untergebenen also ein wohlgefälliges Zeugnis aus. Bertram sandte es am folgenden Tag zum Nuntius nach München.151 Dabei bekannte er, auch selbst schon über eine Kandidatur Watzls nachgedacht zu haben.152 Diesen Gedanken habe er jedoch nicht weiterverfolgt, weil er bislang mit einem Weltgeistlichen gerechnet habe. Sicherlich sei das Sprachenargument nicht zu vernachlässigen, doch könnten „in der öffentlichen Meinung“153 andere Probleme auftreten. Diese resultierten für Bertram zum einen aus der fehlenden Reichszugehörigkeit, was weder in Berlin noch in Sachsen gerne gesehen würde, und zum anderen aus der in der deutschen Kulturkampfgesetzgebung beheimateten Einschätzung der Redemptoristen als Verwandte des Jesuitenordens.154 Damit würden sie unweigerlich am „odium contra jesuitas“155 partizipieren. Daher empfahl der Breslauer Kardinal dem Nuntius, falls dieser sich für Watzl entscheiden sollte, Reichskanzler Constantin Fehrenbach zu bitten, „durch Verständigung mit dem sächsischen Ministerpräsidenten außeramtlich einer Entstehung von Vorurteilen vorzubeugen, ohne dem sächsischen Staate Einfluss auf die Wahl zu geben“156. Das hielt er nicht nur hinsichtlich der Ordenszugehörigkeit für sinnvoll, sondern auch für die Frage der Staatszugehörigkeit. Diese bildete für Bertram eine grundsätzliche Grenze des päpstlichen Nominationsrechts: „Wenn auch der h[eilige] Stuhl Freiheit in Ernennung der Bischöfe hat, wird er doch nicht so ohne Weiteres einen Ausländer (Nicht-Deutschen) einschieben können.“157 Damit zog Bertram die Konklusion, dass Watzl zwar eine gute Wahl sei, diese jedoch politische Schwierigkeiten und negative öffentliche Stimmungen nationalistischer Natur erzeugen würde, wenn ihnen nicht präventiv begegnet werden sollte.
Pacelli dachte über diese ambivalente Einschätzung zunächst einige Zeit nach und ließ die Personenfrage für ungefähr vier Wochen ruhen. Dass er sich mit einer Entscheidung über die Eignung Watzls schwer tat, zeigt ein Briefentwurf an Pater Rössler vom 22. März.158 Darin bat er den Superior um vertrauliche Informationen über Watzl, weil „dieser eventuell als Bischof von Sachsen in Frage kommen könnte“159. Doch schickte er dieses Schreiben nicht ab – ein erstes Indiz dafür, dass die Gegenargumente für Pacelli so schwer wogen, um von dieser Kandidatenüberlegung abzurücken.