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Ein Einflussversuch der sächsischen Regierung und die Endphase von Pacellis Kandidatensondierung

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Die politische Dimension spielte in der Kandidatenthematik eine ebenso wichtige Rolle wie in der Rahmenfrage der Neuordnung der diözesanen Verhältnisse. Darüber hatte Pacelli mit Watzl Anfang März in München gesprochen. Die damals mündlich zum weiteren Vorgehen vereinbarten Details legte der Redemptorist auf Geheiß des Nuntius dem Breslauer Fürstbischof vor, der ihnen – wie Watzl der Nuntiatur meldete – zugestimmt habe.160 Zu diesen Vereinbarungen gehörte, dass Pacelli an den Wiedererrichtungsfeierlichkeiten am 24. Juni des Jahres – dem 800-jährigen Jubiläumstag des Bautzener Kapitels – teilnehmen und sogar die sächsischen Gemeinden besuchen sollte. Es war offensichtlich eine geschlossene und wirkungsvolle Demonstration der katholischen Kirche in Sachsen intendiert. Die nächsten Schritte auf dem Weg zur Errichtung des Bistums sprach Watzl mit dem Kapitel ab, das nunmehr in die genaue Planung eingeweiht wurde. Ihm legte er auch eine gemeinsam mit Pacelli verfasste Verpflichtungserklärung zur Dotation des neuen Oberhirten vor. Die Domherren sollten darüber hinaus die offiziellen Dokumente anfertigen, wie beispielsweise die Einladung des Nuntius, das Programm für die Feier und die Anträge zur Erhebung Skalas zum Domdekan und Apostolischen Protonotar. Damit befürwortete Pacelli nicht nur die von Watzl vorgeschlagenen Kompensationsleistungen, sondern der Kapitelssenior erfuhr gleichzeitig, für das Bischofsamt nicht infrage zu kommen.161 Diese Gewissheit führte dazu, dass sich die Beziehung zwischen ihm und Watzl noch weiter verschlechterte.162 Noch weitere Titel zu vergeben, erschien dem Redemptoristen sinnvoll und Bertram empfahl, anlässlich der Bistumsrestauration ein päpstliches Almosen für die ärmeren Sachsen zu verteilen.163

Mit dem Zentrumsabgeordneten Hesslein, der Ende März zu einer Audienz nach München kam, diskutierte Pacelli über die Probleme der sächsischen Kirche und ihr Verhältnis zum Staat.164 Am 9. April fasste der Politiker die wichtigsten Punkte seiner Darlegungen für den Nuntius noch einmal zusammen.165 Wie schon Anfang des Jahres, als er sich der Vermittlung Stockhammers bedient hatte, kam er auf das Thema der Bischofseinsetzung zu sprechen. Er wies auf die fortwährenden Versuche der Regierung hin, Einfluss auf die Besetzung des bischöflichen Stuhls zu erlangen. Nur die Reichsverfassung könne man „den Kulturkampfgelüsten der sächsischen Regierung“166 entgegenhalten. Gespräche und Konzessionen seien erst möglich, wenn sie ihre Haltung grundsätzlich ändere:

„Wenn daher die sächsische Regierung Einfluss auf die Besetzung des bischöflichen Stuhles haben will, dann müsste man doch mindestens verlangen, dass sie sich auf den Standpunkt der Loyalität stellt, dass sie eine freundliche Haltung der Kirche gegenüber einnimmt. Die sächsische Regierung steht aber mit der Kirche auf Kriegsfuß und kann daher nicht verlangen, dass man ihr auch noch einräumt, in der bewussten Frage gehört zu werden.“167

Voraussetzung für auch nur eine offizielle Anzeige an die Regierung in dieser Angelegenheit sei ihre öffentliche Erklärung – so Hesslein –, sich in den Fragen der Trennung von Kirche und Staat sowie der Konfessionsschule an die WRV und die nachfolgenden Gesetze halten zu wollen.168 Über den Besetzungsmodus oder die Kandidatenfrage äußerte er sich an dieser Stelle nicht mehr. Pacelli nahm die Überlegungen des Zentrumsabgeordneten mit Interesse zur Kenntnis und bat, ihn auch künftig über die politischen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.169

Wie zeigten sich eigentlich die behaupteten Einflussbemühungen der Regierung? Bislang nur darin, dass der sächsische Gesandte in München, Maximilian von Dziembowski, am 30. März bei Pacelli vorsprach, um das Interesse seiner Regierung an der Wiederbesetzung des Apostolischen Vikariats zu bekunden:

„Der Sächsischen Regierung wäre eine baldgefällige Auskunft des Heiligen Stuhles darüber erwünscht, ob bereits Entschließung über die Wiederbesetzung des Apostolischen Vikariats in Sachsen gefasst worden ist, und ob eine Änderung in den bisherigen Verhältnissen beabsichtigt wird. In diesem Falle würde es die Sächsische Regierung für erwünscht halten, wenn ihr Gelegenheit zur Meinungsäußerung in der Sache gegeben würde.“170

Dziembowski erklärte, worauf es der Regierung vornehmlich ankam: Der neue Bischof sollte deutscher Reichsangehöriger sein. So mündete die Frage nach dem Besetzungsmodus und der an ihm Beteiligten doch letztlich wieder in die Kandidatenfrage ein. Wie der Diplomat später in seinem Bericht an das sächsische Außenministerium schilderte, habe Pacelli auf das Anliegen der Regierung folgendermaßen reagiert:

„Monsignore Pacelli zeigte für unsere Wünsche volles Verständnis, gab aber seinem Erstaunen mir darüber Ausdruck, dass, wie er erklärte, die sonst so kirchenfeindliche Sächsische Regierung in dieser Richtung Wünsche hege, die unter Umständen zu Verhandlungen führen könnten. Die bisherige Stellungnahme der Sächsischen Regierung in den kirchlichen Fragen würde ihn jedoch nicht davon abhalten, die Angelegenheit der Kurie in wohlwollendster Form zu unterbreiten, da er, wie er besonders betonte, stets für eine friedliche Auseinandersetzung sei, wenn es irgendwie ginge.“171

Trotz seiner offensichtlichen Kritik an der Haltung der Regierung sah Pacelli Ansatzpunkte, um mit ihr einen friedlicheren Kontakt aufzubauen und die Spannungen zu entschärfen, was für die Diasporakirche sicherlich von Vorteil war. Deshalb gewichtete er die staatlicherseits nachdrücklich gewünschte Nationalitätenzugehörigkeit des künftigen Oberhirten noch stärker als zuvor: Bislang hatte er es nicht als unüberwindliches Problem betrachtet, dass Watzl kein Reichsbürger war. Das änderte sich jetzt, wie aus einem vertraulichen und Rat suchenden Schreiben an Bertram vom 17. April deutlich wird: „Der Umstand indes, dass genannter H[ochwürden] Herr Pater [sc. Watzl, R.H.] nicht Reichsangehöriger ist, scheint es nach reiflicher Überlegung leider nicht zu gestatten, weiter an ihn zu denken.“172 Im Gedankenaustausch zwischen Nuntius und Breslauer Kardinal waren ansonsten nur noch die Namen Hilfrich und Schreiber gefallen. Pacelli erklärte, mittlerweile jedoch erfahren zu haben, dass die gesundheitliche Verfassung Hilfrichs Anlass zu Bedenken gebe und der Pfarrer für den arbeitsreichen Posten in Sachsen daher wohl nicht infrage komme. Es blieb also nur noch Schreiber übrig, über den sich Pacelli von Bertram Auskunft erbat, „ob derselbe die für die praktische Verwaltung erforderten Eigenschaften besitzt, die auch den Verkehr mit ihm leicht und ersprießlich machen würden“173.

Pacelli ging es hier also besonders um das administrative Geschick, das für den Aufbau eines neuen Bistums von herausragender Relevanz war und daher auch von verschiedener Seite für die Leitung Sachsens als besonders wichtig herausgestellt wurde. Dabei dachte der Nuntius aber nicht nur an die dortigen innerdiözesanen Verhältnisse, sondern dezidiert an seinen persönlichen Umgang mit dem neuen Bischof. Verdeutlichen kann das ein Blick in die ursprüngliche Fassung des Textes, den Pacelli dann zu dem eben zitierten veränderte: „Da möchte ich mich nun aber erst durch Eure Eminenz versichern, ob unser Kandidat die für die praktische Verwaltung erforderten Eigenschaften besitzt, die auch mir den Verkehr mit ihm ersprießlich und angenehm machen würden.“174 Zu einem guten Oberhirten gehörte für Pacelli also auch ein guter und „angenehmer“ Umgang mit dem päpstlichen Repräsentanten:

„Wenn ich auch selbstverständlich nicht erwarten kann, dass alle kirchlichen Stellen in der so raschen wie genauen und aufmerksamen Art die Korrespondenzen erledigen, wie ich es von Euerer Eminenz überaus großer Zuvorkommenheit gewohnt bin, so muss ich doch im Interesse eines geordneten Verkehrs auch auf obige Eigenschaften achten.“175

Es liegt auf der Hand, dass Pacelli wiederum durch die kürzlich erfolgte Einsetzung des Koadjutors in Mainz und die Schwierigkeiten im Umgang mit dem dortigen Generalvikar Bendix sensibilisiert war.176

Neben Schreiber konnte sich Pacelli noch einen weiteren Kandidaten für den Meißener Bischofsstuhl vorstellen, nämlich den Breslauer Domkapitular Johannes Steinmann, der auf ihn bei einer persönlichen Begegnung „einen recht guten Eindruck gemacht“177 habe. Bertram jedoch, der Steinmann logischerweise gut kannte, befürwortete dessen Kandidatur nicht.178 Von seinen Fertigkeiten her – ein fleißiger, in der Verwaltung begabter Arbeiter – sei er grundsätzlich zwar geeignet, aber für Sachsen käme er nicht in Betracht. Bertram glaubte, dass Steinmann mehr als andere Probleme mit den Bautzener Kapitularen haben würde. Schon in Breslau habe er „niemals warme Fühlung“179 mit dem Domkapitel aufgenommen, obwohl er ihm schon seit langem angehöre.180 Zudem gehe ihm die Herzlichkeit ab, die für die Nähe zum katholischen Volk – wichtig besonders für die sächsische Diaspora – grundlegend sei. Dagegen beantwortete Bertram die Frage nach der Umgänglichkeit Schreibers positiv. Dieser werde rasch und pünktlich die Verwaltungsangelegenheiten bearbeiten, denn er sei „ein fester Charakter voll Pflichttreue“181. Noch geeigneter aber als Schreiber könnte – so Bertram – der Paderborner Dompropst, Johannes Linneborn, sein. Der 1867 geborene und 1892 zum Priester ordinierte Linneborn sei ein renommierter Kanonist, er kenne ihn persönlich seit Jahren und betrachte ihn als „tüchtige[n] Verwaltungsmann und liebenswürdige[n] Mensch[en]“182. Pacelli wusste freilich um die Qualität des Kanonisten. Auch er hatte eine hohe Meinung von ihm und griff auf ihn regelmäßig als kanonistischen Berater zurück. Dass er ihn im Folgenden dennoch nicht als Bischofsanwärter für Meißen in Betracht zog, hing sicherlich auch damit zusammen, dass er dessen Expertise für die anstehenden Konkordatsverhandlungen in Deutschland nicht verlieren wollte.183

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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