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1. Inhalt der Beschwerde und sonstige Formvorgaben

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Obwohl die Konvention eine bestimmte Form der Beschwerde nicht vorschreibt, ergeben sich formale Anforderungen aus der Verfahrensordnung des Gerichtshofs (Rules of Court) v. 14.11.2016 und den auf Rule 32 beruhenden Verfahrensanordnungen (Practice Directions; PD). Die Nichteinhaltung der dort genannten formalen und inhaltlichen Vorgaben führt zwar nicht per se zur Unzulässigkeit der Beschwerde[215], kann jedoch zur Folge haben, dass die Beschwerde weder registriert noch geprüft wird (vgl. auch § 17 PD-I). Deshalb müssen die nachfolgenden Formvorschriften tunlichst beachtet werden.

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Die Beschwerde ist direkt an den Gerichtshof zu richten.[216] Sie muss schriftlich auf dem Postweg bei der Kanzlei eingereicht und vom Bf. oder seinem Vertreter unterzeichnet sein (Rule 45 Abs. 1; siehe auch §§ 9, 13 PD-I).[217]

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Das ausgefüllte Beschwerdeformular ist per Post an folgende Adresse zu senden:

Registrierungsstelle des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Europarat 67075 Strasbourg-Cedex Frankreich

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Die Erhebung der Beschwerde per Fax ist nicht mehr zulässig (§§ 1, 3 PD-I).[218] Nur ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme kann per Fax (+ 33 388 41 39 00, Mo-Fr, 8.00-16.00 Uhr) eingereicht werden (näher hierzu Rn. 356 ff.).[219]

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Die telefonische Erhebung der Beschwerde ist formwidrig (vgl. § 1 PD-I).[220] Auch eine Beschwerdeeinlegung per Email ist nicht möglich.[221] Eine elektronische Kommunikation des Bf. mit dem Gerichtshof ist erst nach Beschwerdeeinreichung und auch dann allein nach Maßgabe der PD Electronic Filing by Applicants (Stand 14.11.2016) möglich.

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Die (Individual-)Beschwerde[222] ist grundsätzlich unter Verwendung des u.a. im Internet zur Verfügung gestellten Beschwerdeformulars zu erheben (Rule 47 Abs. 1). Im Moment läuft außerdem ein Pilotprojekt für ein elektronisches Beschwerdeformular in Schweden und den Niederlanden.[223]

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Hinweis

Das Beschwerdeformular (Application form) mit entsprechenden Erläuterungen (Notes for filling in the application form) sowie diverse Merkblätter für die Einreichung von Individualbeschwerden sind auf der Homepage des EGMR (www.echr.coe.int, Applicants) in zahlreichen europäischen Sprachen, auch auf Deutsch, abrufbar.

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In der Beschwerdeschrift sind anzugeben (die Reihenfolge ergibt sich aus dem Beschwerdeformular):

der Name, das Geschlecht, die Staatsangehörigkeit, der Beruf, das Geburtsdatum und der Geburtsort und die Adresse (einschließlich der Telefonnummer) des – unmittelbar betroffenen – natürlichen Bf.; bei juristischen Personen der vollständige Name, das Datum der Errichtung oder der Eintragung im Register, soweit vorhanden die amtliche Registernummer und die offizielle Adresse (Rule 47 Abs. 1 lit. a),
ggf. der Name, der Beruf und die Adresse (einschließlich Telefon- und Faxnummer sowie Email-Adresse) seines Vertreters (Rule 47 Abs. 1 lit. b).

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Der Gerichtshof befasst sich nicht mit einer anonym erhobenen Individualbeschwerde (Art. 35 Abs. 2 lit. a EMRK). Nichtorganisierte Personengruppen, die keine vertretungsbefugten besonderen Organe haben, müssen die Personalien ihrer Mitglieder anführen, deren Rechte als verletzt geltend gemacht werden.[224] Weltanschauliche Vereinigungen und Kirchen können die Rechte ihrer Mitglieder aus Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) aus eigener Befähigung geltend machen, ohne die Namen der Mitglieder zu nennen.[225] Die Angabe der Personalien der sie vertretenden Personen und der Nachweis ihrer Vertretungsbefugnis genügen. Gleiches gilt bei Vereinen und anderen juristischen Personen.

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Rule 47 Abs. 4, § 12 PD-I sowie die PD-RfA[226] sehen jedoch vor, dass der Bf. in außergewöhnlichen, hinreichend (schriftlich) begründeten Fällen die Geheimhaltung seiner Identität (vor der Öffentlichkeit) beantragen kann. Dabei sollte der Bf. angeben, ob die Rechtssache unter seinen Initialen oder unter einem Einzelbuchstaben (z.B. X, Y, Z) geführt werden soll. Vor der Regierung des betroffenen Vertragsstaates wird die Identität des Bf. jedoch nicht geheim gehalten. Wird die Beschwerde durch die Kanzlei auch dem Vertragsstaat übermittelt, dessen Staatsangehörigkeit der Bf. besitzt (vgl. Rn. 434), so erfolgt insoweit in der Regel keine Geheimhaltung der Identität des Bf.; dies handhabt der Gerichtshof jedoch abweichend, wenn der Bf. sich gerade gegen eine Abschiebung oder Auslieferung in sein Heimatland wehrt und die Gefahr besteht, dass er auch wegen seines Parteivortrages Verletzungen von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK für den Fall seiner Rückkehr zu erwarten hat;[227] in solchen Fällen empfiehlt sich, frühzeitig zu beantragen, dass der Heimatstaat nicht verständigt wird. In der Regel führt ein Antrag auf Anonymisierung auch dazu, dass Beschwerdeakten vertraulich behandelt werden; auch dies sollte nach Rule 33 Abs. 3 frühzeitig beantragt werden.[228]

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Anzugeben sind auch:

die Vertragspartei(en), gegen die sich die Beschwerde richtet, d.h. der betroffene Staat bzw. die betroffenen Staaten (Rule 47 Abs. 1 lit. d),
eine klare, umfassende – vom Umfang her aber kurze – Darstellung des Sachverhalts (Statement of the Facts), der Gegenstand der Beschwerde ist (Rule 47 Abs. 1 lit. e, § 7 PD-I)[229],
eine kurze Darstellung der behaupteten Verletzungen der Konvention unter Bezugnahme der als verletzt behaupteten Konventionsgarantien (Statement of Alleged Violations)[230], einschließlich einer knappen Begründung (Rule 47 Abs. 1 lit. f). Die Begründungen müssen dabei so detailliert und konkret sein, dass der Gerichtshof die Art und den Gegenstand der Beschwerde bestimmen kann, ohne Einsicht in andere Unterlagen zu nehmen (Rule 47 Abs. 2 lit. a). Ist der vorgegebene Platz des Beschwerdeformulars für diese Ausführungen nicht ausreichend, so kann der Bf. ihn durch ein Schriftstück von höchstens 20 Seiten ergänzen (Rule 47 Abs. 2 lit. b; §§ 5, 7 PD-I). Nicht in den Umfang eingerechnet werden die dazugehörigen Entscheidungen und Unterlagen.[231] Im Formular selbst ist auf die separaten Ergänzungen der Beschwerdeschrift unbedingt hinzuweisen.[232]

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Sollen spezielle Aspekte des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK überprüft werden, genügt es nicht, sich allgemein auf Art. 6 EMRK zu berufen:

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„The Court observes that, although the right to a hearing within a reasonable time is a specific aspect of the right to a fair trial, complaints about the length of the proceedings cannot be considered mere substantiations of complaints about unfair proceedings but rather constitute independent complaints. Accordingly, a complaint about unfair proceedings does not automatically include a complaint about their length. The Court further has held that a citation in full of the relevant parts of Article 6 § 1 of the Convention may exceptionally qualify as an admissible length of proceedings complaint. (…) The Court finds that these submissions do not qualify as a succinct statement of an alleged violation of the applicantʼs right to a hearing within a reasonable time, as required by Rule 47 § 1(e) of the Rules of Court, and that the Court can therefore not examine the length of the proceedings before the domestic courts.[233]

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Enthalten muss die Beschwerde außerdem Angaben hinsichtlich

der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 35 Abs. 1 EMRK (Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe; Einhaltung der 6-Monats-Frist)[234], vgl. Rule 47 Abs. 1 lit. g,
nicht hingegen hinsichtlich des Ziels der Beschwerde (Statement of the Object of the Application).[235] Sinnvoll sind jedoch Angaben zu den durch die behauptete Konventionsverletzung (bereits) entstandenen Schäden in Hinblick auf einen späteren förmlichen Antrag auf Gewährung einer gerechten Entschädigung (Art. 41 EMRK; Rule 60; vgl. auch die Practice Direction – Just satisfaction claims.

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Hinweis

Da die durchschnittliche Dauer eines Verfahrens vor dem EGMR nach wie vor mehrere Jahre beträgt, sollte eine etwaige Dringlichkeit bzw. Brisanz der Beschwerde bereits in diesem frühen Stadium deutlich gemacht werden, verbunden mit der Anregung einer vorrangigen Behandlung (Rule 41), ggf. in Kombination mit dem Antrag auf Erlass einer vorläufigen Maßnahme (Rule 39).

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Der Beschwerde beigefügt werden muss außerdem

eine Mitteilung darüber, ob der Fall bereits einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Beschwerdeinstanz vorgelegen hat oder vorliegt (Rule 47 Abs. 3 Nr. 1 lit. c)[236] bzw. ob andere Beschwerden des Bf. (unter Angabe des Az.) vor dem Gerichtshof anhängig sind oder waren (§ 11 PD-I),
eine Aufstellung aller einschlägigen Unterlagen, insbesondere der gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen oder Schriftstücke, die sich auf den Gegenstand der Beschwerde beziehen bzw. vom Gerichtshof als Beweismittel berücksichtigt werden sollen und als Anlage in Kopie beigefügt sind (List of Documents); die Entscheidungen und sonstigen Unterlagen sind nach Datum durchgehend nummeriert aufzuführen und ihrer Art (z.B. Schreiben, Anordnung, Urteil etc. jeweils mit der entscheidenden Behörde bzw. Gericht) und Inhalt nach kurz zu beschreiben (vgl. Rule 47 Abs. 3.2),
Erklärung über die Richtigkeit der Angaben (Declaration),
bei Vertretung durch einen Anwalt ein im Original unterzeichnetes Vollmachtsformular (Rn. 219)[237],
Unterschrift des Bf. bzw. des Verfahrensbevollmächtigten (Signature), Rule 47 Abs. 3 Nr. 1.

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Über jede gegenüber den Angaben in der Beschwerdeschrift nachträglich eintretende Änderung sowie über jeden für die Prüfung der Beschwerde erheblichen Umstand ist der Gerichtshof zu informieren (Rule 47 Abs. 7). So sind beispielsweise Änderungen der Adresse mitzuteilen; andernfalls riskiert der Bf. eine Streichung seiner Beschwerde nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 lit. a EMRK.[238]

217

Werden Beschwerden im Namen von mehreren Beschwerdeführern erhoben, die unterschiedliche Sachverhalte betreffen, so ist ein separates Beschwerdeformular für jeden einzelnen Beschwerdeführer einzureichen (§ 14 PD-I). Bei mehr als fünf Bf. hat der Bevollmächtigte zusätzlich eine Tabelle einzureichen, die die nötigen persönlichen Informationen über die einzelnen Bf. ausweist; ein Tabellenvordruck befindet sich auf der Homepage des EGMR (§ 15 PD-I).[239]

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Der Beschwerde als Anlage beizufügen sind Kopien (§ 10 PD-I; keine Originale[240], keine CDs oder DVDs) aller einschlägigen Unterlagen, insbesondere der gerichtlichen oder sonstigen Entscheidungen, die sich auf den Gegenstand der Beschwerde beziehen (Rule 47 Abs. 3 lit. a). Der Bf. hat ferner – jeweils in Kopie – alle Unterlagen und Entscheidungen beizubringen, welche die Erfüllung der in Art. 35 Abs. 1 EMRK genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen belegen, Rule 47 Abs. 3 lit. b (d.h. Nachweise für die Erschöpfung aller zumutbaren innerstaatlichen Rechtsbehelfe[241] und die Einhaltung der Beschwerdefrist). Ebenfalls mitzuteilen sind alle Schriftstücke, die der Gerichtshof als Beweismittel berücksichtigen soll (z.B. Protokolle, Zeugenaussagen).

219

Wird die Beschwerde vom Verfahrensbevollmächtigten des Bf. unterzeichnet, so muss ihr eine vom Bf. und vom Bevollmächtigten persönlich unterzeichnete Vollmacht (authority to act) beigefügt werden (Rule 45 Abs. 3 Nr. 1 lit. d).[242] Der Bf. bevollmächtigt den Vertreter auf Seite 3 des Beschwerdeformulars und unterzeichnet die Bevollmächtigung; der Vertreter unterschreibt ebenfalls auf Seite 3 des Beschwerdeformulars.[243] Weitere Unterschriften sind auf Seite 13 des Beschwerdeformulars erforderlich.

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Hinweis

Die Kanzlei bittet darum, die Beschwerdeschrift einschließlich ihrer Anlagen weder mit Heftklammern noch mit Tesafilm oder auf sonstige Art und Weise miteinander zu verbinden. Stattdessen sollten die Seiten (einschließlich der Anlage) durchgehend nummeriert werden.[244]

221

Die Beschwerde muss lesbar geschrieben sein und sollte vorzugsweise auf einer Schreibmaschine bzw. mit Hilfe eines PC erstellt werden; dies ermöglicht eine schnellere Bearbeitung durch den Gerichtshof.[245]

222

Enthält die erhobene Beschwerde nicht sämtliche erforderlichen Angaben, so erhält der Bf. die Mitteilung, dass seine Beschwerde nicht die Voraussetzungen der Rule 47 erfüllt, die Akte nicht eröffnet und die Dokumente nicht behalten wurden.[246] Eine Fristwahrung kann danach nur erreicht werden, wenn eine vollständig neue Beschwerde mit allen erforderlichen Unterlagen eingereicht wird – und zwar auch dann, wenn vorher bereits Unterlagen an den Gerichtshof gesendet wurden.[247]

223

Solange die Beschwerde dem betroffenen Vertragsstaat noch nicht mitgeteilt worden ist[248], kann die Kommunikation des Gerichtshofs mit dem Bf. oder seinem Vertreter (und umgekehrt) entweder in einer der beiden Amtssprachen des Gerichtshofs (Englisch und Französisch; Rule 34 Abs. 1) oder in der Amtssprache eines Vertragsstaates (Rule 34 Abs. 2)[249] erfolgen. Dies gilt sowohl für die Einreichung von Schriftsätzen als auch für mündliche Erklärungen. Die Beschwerde darf also in deutscher Sprache verfasst werden. In Deutschland lebende Ausländer können die Beschwerde aber auch in ihrer Heimatsprache erheben, soweit es sich bei dieser Sprache um die Amtssprache eines Unterzeichnerstaates der EMRK handelt.

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Die (erste) Antwort des Gerichtshofs erfolgt in der Regel in der vom Bf. für seine Beschwerde gewählten Sprache durch einen mit dieser Sprache vertrauten Mitarbeiter der Kanzlei; nicht selten kommt es aber auch schon in diesem Stadium zu einer Korrespondenz auf Englisch oder Französisch, was beim Empfänger je nach sprachlicher Affinität ggf. Übersetzungskosten verursacht.[250]

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