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1. Allgemeines
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Die Einwirkung des Europarechts auf das nationale Verwaltungsrecht ist schon in einer Reihe von älteren EuGH-Entscheidungen von der Fleischkontor-Entscheidung 1971 bis zum Milchkontor-Urteil 1983 nachweisbar[290] und von den deutschen Verwaltungsgerichten bis hin zum BVerwG akzeptiert gewesen,[291] auch wenn noch zu Beginn der 1990er-Jahre ein Richter des BVerwG formulierte, dass das „an sich festgezimmerte, in vielen Stürmen bewährte Schiff mit dem Namen ‚Deutsches Verwaltungsrecht‚“ nun von allerlei europäischem Recht „umspült“ werde.[292] Über solche Vorstellungen seetauglicher Versiegelung eines abgeschlossenen Rechtskörpers ist die Zeit hinweg gegangen.[293]
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In eine zeitliche Nähe zum Alcan-Urteil 1997 fallen gleich mehrere umfassende Analysen der sich mit der europäischen Integration verbindenden Veränderungen des Verwaltungsrechts in Deutschland. Neben den Staatsrechtslehrertagungsvorträgen von Manfred Zuleeg und Hans Werner Rengeling 1993[294] sind vor allem die Mitte der 1990er-Jahre entstandenen Habilitationsschriften von Stefan Kadelbach, Armin Hatje, Michael Brenner und Thomas von Danwitz zu nennen.[295]
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Breiten Raum nehmen in diesen Abhandlungen nicht nur die Kollisionslagen zwischen dem deutschen und dem europäischen Recht ein. Schon mit der differenzierten Antwort auf die Frage nach der kompetenziellen Grundlage[296] für die europäisch induzierte Beeinflussung nationalen Verwaltungsrechts verband sich die zunehmend verbreitete Einsicht, dass das nationale Recht auf Dauer nicht vom neuen Recht unverändert bleiben würde.[297] Es wurde nämlich immer deutlicher, dass unabhängig von europäischen Kompetenztiteln für die „Regelung“ von Verwaltungsverfahren, Verwaltungsrecht u.ä. über das europarechtliche Diskriminierungsverbot und das europarechtliche Effektivitätsprinzip eine gleichsam indirekte Europäisierung erfolgte. In den genannten Arbeiten wurden in aller Regel Einzeltopoi des „Verwaltungsrechts unter europäischem Einfluss“ abgearbeitet,[298] etwa die Bestimmung des subjektiven Rechts,[299] Fragen der Haftung,[300] der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen,[301] der Einflüsse auf die Verwaltungsorganisation und auch schon Fragen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes.[302]
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Jenseits der mit dem Alcan-Fall besonders sichtbaren Einwirkungen auf das nationale Verwaltungsverfahrensrecht, sind die Einwirkungen auf das nationale Verwaltungsprozessrecht zunehmend in das Bewusstsein der Verwaltungsrechtswissenschaft gerückt.[303] Hier gilt die von Claus Dieter Classen für das Verwaltungsverfahrensrecht gemachte Beobachtung von der Europäisierung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts als zwingende Folge der Europäisierung des materiellen Verwaltungsrechts[304] entsprechend.
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Ansonsten hat sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Einwirkungen, etwa durch Dirk Ehlers,[305] zunächst eher auf die praktischen Fragen, unter weitgehender Ausblendung theoretischer Grundüberlegungen, konzentriert. Oliver Dörr hat demgegenüber die grundsätzliche Frage nach der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes unter den Bedingungen der europäischen Integration thematisiert.[306] Er kommt zu dem Ergebnis, dass einerseits der gemeinschaftsrechtlich überlagerte Art. 19 Abs. 4 GG effektiven Rechtsschutz vor deutschen Gerichten zur Geltendmachung subjektiver Rechte aus Gemeinschaftsrecht verbürgt, zugleich aber Art. 19 Abs. 4 GG dem Einzelnen auch effektiven Rechtsschutz zur Durchsetzung der Grenzen des innerstaatlichen Wirkungsanspruchs des Europarechts garantiert.[307]
§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › IV. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der europäischen Rechtsgemeinschaft › 2. Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip