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a) Überlagerung mitgliedstaatlicher Konzepte durch europarechtliche Systementscheidungen

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Der Überlagerungsaspekt ist am Beispiel der Einführung von Verbandsklageelementen in das deutsche Verwaltungsprozessrecht besonders intensiv diskutiert worden.[341]

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Nach § 42 Abs. 2 VwGO setzt die Klagebefugnis die Behauptung der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts voraus. Mithin muss sich der Kläger nach der Schutznormtheorie auf eine Rechtsnorm berufen können, die nicht nur öffentlichen, sondern – zumindest auch – Individualinteressen dienen soll. Für die deutschen Verwaltungsgerichte wird beschrieben, wie noch in den 1990er-Jahren die Anforderungen des Effektivitätsgebots ausgeblendet und die Schutznormtheorie auch auf gemeinschaftsrechtlich begründetes Recht unbesehen angewandt wurde.[342] Dem steht in jüngerer Zeit eine stärkere Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben gegenüber, wenn auch nicht ohne Einschränkungen.[343] Dem BVerwG wird eine sorgfältige und zutreffende Würdigung unionsrechtlicher Vorgaben attestiert.[344]

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Jedenfalls ist in den dem deutschen Verwaltungsprozessrecht zu Grunde liegenden subjektiven Rechtsschutz durch Entwicklungen auf der internationalen und europäischen Ebene Bewegung gekommen.

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Aus dem Europarecht können sich individuelle Rechte teils direkt als auch teils indirekt durch Richtlinien ergeben, ohne dass hierbei die deutsche Schutznormtheorie zur Anwendung kommt:[345] Da es sich bei dem Unionsrecht um autonomes Recht handelt, ergibt sich nämlich aus ihm selbst, ob der Einzelne aus einer Norm Rechte herleiten kann.[346] Ergeben sich Rechte des Einzelnen unmittelbar aus unionsrechtlichen Bestimmungen, so wirkt deren Auslegung durch den EuGH objektivierend auf die Klagebefugnis und den Rechtswidrigkeitszusammenhang im deutschen Verwaltungsprozess ein.[347]

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In diesem Kontext sind auch verfahrensunabhängige Akteneinsichtsrechte nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes[348] und einiger Bundesländer zu erwähnen, die auf europäische Einflüsse zurückzuführen sind; diese dienen nicht primär der Durchsetzung privater Interessen im Sinne der Schutznormtheorie.

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Den Ausgangspunkt für eine jüngere Entwicklung in Richtung einer teilweisen Objektivierung des deutschen Verwaltungsprozessrechts bildet die Aarhus-Konvention als völkerrechtliches Abkommen über internationale Standards im Umweltschutzrecht.[349] Parteien dieses Abkommens sind sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU. Ziel der Aarhus-Konvention ist ein verbesserter allgemeiner Zugang zu gerichtlichen Verfahren, beispielsweise auch für Umweltverbände, um Verletzungen des Umweltrechts beanstanden zu können.[350] Auf Ebene der EU wurde die Aarhus-Konvention u.a. mit der Richtlinie 2003/35/EG und durch Änderungen der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG umgesetzt. Deutschland setzte diese Richtlinie wiederum im UmwRG a.F. in nationales Recht um. Danach müssen Umweltverbände in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zwar nicht die Verletzung eigener Rechte geltend machen, jedoch müssen sie sich auf Rechte berufen, die Individualrechte schützen.[351]

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Diese „schutznormakzessorische Umweltverbandsklage“[352] nach § 2 UmwRG a.F. wurde von zahlreichen Stimmen als unionsrechtswidrig beanstandet, da damit sowohl gegen Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention als auch Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG und Art. 15a Abs. 1 der Richtlinie 96/61/EG verstoßen werde.[353] In einem vom Umweltverband BUND initiierten Rechtsstreit um die Errichtung eines Steinkohlekraftwerks in NRW legte das OVG Münster dem EuGH Fragen nach der Reichweite des Zugangs von Umweltverbänden nach der Richtlinie 85/337/EWG vor. Der EuGH weitete darauf mit dem Trianel-Urteil 2011 die Klagebefugnis von Umweltverbänden im Sinne eines möglichst effektiven Rechtsschutzes aus. Im Kern sprach der EuGH Umweltverbänden das Recht zu, einen Verstoß gegen Umweltschutzrechte, die auf Unionsrecht basieren, auch dann gerichtlich geltend machen zu können, wenn dieses Umweltrecht nur Interessen der Allgemeinheit – und nicht auch Individualinteressen – dient.[354]

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Auf dieses Urteil hin wurde Anfang 2013 § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG geändert. Umweltverbände können nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich Rechtsbehelfe einlegen, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten behaupten zu müssen, wenn sie geltend machen, dass eine Entscheidung im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung Rechtsvorschriften widerspricht, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können.[355]

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Neben diesen auf das Trianel-Urteil des EuGH zurückgehenden Änderungen hin zur Statuierung eines objektiven Rechtsschutzes im deutschen Verwaltungsprozessrecht durch Änderung des UmwRG, hat die Aarhus-Konvention in Verbindung mit dem sog. Braunbären-Urteil des EuGH[356] aber auch zu einer Neuinterpretation des § 42 Abs. 2 VwGO geführt. So hat das BVerwG in einem Urteil vom 5. September 2013 das Klagerecht von Umweltverbänden erweitert, indem es den Begriff des subjektiven Rechts in § 42 Abs. 2 VwGO umfassender ausgelegt hat.[357] Konsequenz dieses Urteils ist, dass Umweltverbände die Befugnis haben, mit einer Klage die Änderung eines Luftreinhalteplans zu erzwingen.[358]

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