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ОглавлениеAristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.)
384–322 v. Chr.
Nikomachische EthikNikomachische Ethik (Aristoteles)
(Ēthiká Nikomácheia)
Entst. zwischen 335 und 323 v. Chr.
Wir sind gewohnt, die Ethik, die sich mit den Grundsätzen unserer Lebensführung und unseres Handelns beschäftigt, als eigenständige Disziplin der Philosophie zu betrachten. Der erste uns bekannte Philosoph, der diese Abgrenzung bewusst vollzogen hat, ist AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.). Die Nikomachische EthikNikomachische Ethik (Aristoteles) ist seine bekannteste und wichtigste Schrift zum Thema. Wie im Falle aller uns überlieferten Bücher des Aristoteles handelt es sich aber auch hier nicht um einen Text, der für die Veröffentlichung, sondern um einen, der für die Lehrtätigkeit bestimmt war und von späteren Herausgebern erst in eine bestimmte Ordnung gebracht wurde. Die Aufzeichnungen der Nikomachischen Ethik sind mit großer Wahrscheinlichkeit in der letzten Lebensphase des Aristoteles entstanden, als er in Athen seine eigenen Schüler um sich versammelte.
Auch in seiner Ethik geht AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) von seiner Grundüberzeugung aus, dass alles in der Natur dazu da ist, seine Wesensanlagen zur endgültigen, ausgereiften Form zu entwickeln. Dies gilt auch für den Menschen. Diese »teleologische«, d.h. zweckorientierte, auf ein Ende hin ausgerichtete Interpretation der menschlichen Existenz bedeutet, dass alle Menschen »von Natur aus« einem Ziel ihrer Selbstverwirklichung zustreben. Dieses Ziel ist das Glück. Moral- und Glückslehre, tugendhaftes und glückinspiriertes Handeln sind für Aristoteles, wie für die meisten Philosophen der Antike, gleichbedeutend. Das Glück ist das höchste Gut, auf das alles Handeln ausgerichtet ist und das die Menschen nicht als Mittel zum Zweck, sondern um seiner selbst willen anstreben.
Während für seinen Lehrer PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) Glück ausschließlich in der Versenkung oder Kontemplation in die ewige und geistige Idee des Guten besteht, gibt es in der Nikomachischen Ethik drei unterschiedliche Formen des Glücks, die mit drei ganz unterschiedlichen Lebensformen verbunden werden. Die erste und niedrigste Form des Glücks ist die Lust. Dem entspricht eine ausschließlich auf Lustgewinn orientierte Lebensform, der nach AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) die Mehrheit der Menschen anhängt, die er aber als »sklavenhafte Art des Lebens des Viehs« bezeichnet. Es sind dann die beiden anderen Formen des Glücks, die er positiv wertet und die der Verwirklichung des Menschen als Vernunftwesen entsprechen. Im Umgang mit anderen Menschen ist eine weltliche und soziale Form des Glücks möglich. Sie wird durch eine bestimmte Art von Vernunft erreicht, die Aristoteles Phrónesis, d.h. Klugheit, nennt. Sie leitet uns an, sogenannte Charaktertugenden wie Freigiebigkeit oder Tapferkeit auszuprägen. Nach der berühmten »Mesótes-Lehre« des Aristoteles, d.h. der Lehre von der richtigen Mitte, handelt es sich hierbei um soziale Verhaltensdispositionen, die unseren Affekten und Leidenschaften eine sozial verträgliche Form geben und immer in der Mitte zwischen extremen Verhaltensweisen wie Verschwendung und Geiz oder Tollkühnheit und Feigheit liegen.
Diese Form des Glücks ist jedoch erst die Grundlage für die höchste Form des Glücks. Wie bei seinem Lehrer PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) handelt es sich um ein Glück der Kontemplation, das durch die Ausbildung der höchsten rationalen Fähigkeiten und die Ausprägung kontemplativer, d.h. rein geistiger Tugenden erreicht wird. Das Glück der »betrachtenden Tätigkeit«, der autarken selbstbezogenen Kontemplation, ist ein Produkt der »sophía«, der Weisheit, eine Form der Vernunft, die über die Klugheit hinausgeht. In der kontemplativen Lebensform, in der Betrachtung des ewig Seienden, nähert sich der Mensch den Göttern an.
Die Nikomachische EthikNikomachische Ethik (Aristoteles) hat für die gesamte antike Philosophie schulbildend gewirkt. Dass Glück das Ziel des tugendhaften Handelns ist und zu diesem Zwecke die Leidenschaften mit Hilfe der Vernunft kontrolliert werden müssen, wurde auch über die Antike hinaus zu einer allgemein akzeptierten Ansicht. Die grundsätzliche Ablehnung einer Glücks- und Klugheitsethik zugunsten einer Pflichtethik hat erst Immanuel KantKant, Immanuel (1724–1804) im 18. Jahrhundert formuliert. Die aristotelischeAristoteles Lehre von den Charaktertugenden hat als Theorie des klugen Sozialverhaltens, zusammen mit den CharakterenCharaktere (Theophrast) seines Schülers TheophrastTheophrast (um 371 – 287 v. Chr.), auch die neuzeitliche Moralistik beeinflusst.
MetaphysikMetaphysik (Aristoteles)
(Ta metá ta physiká)
Entst. zwischen 367 und 322 v. Chr.
AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) hat nie ein Buch mit dem Titel »Metaphysik« geschrieben. Was uns vorliegt, ist eine Sammlung von Vorlesungsaufzeichnungen, die der in Alexandria lebende Bibliothekar und Philosoph Andronikos von Rhodos im ersten nachchristlichen Jahrhundert zusammengestellt und in der Werkliste »hinter« (griech. »metá«) die Physik eingeordnet hat. Sie kreisen um ein gemeinsames Thema, nämlich das, was Aristoteles »Erste Philosophie« nennt. Es geht dabei um die Grundlagen unserer Wirklichkeitsauffassung, um ein Verständnis dessen, was wir meinen, wenn wir sagen, etwas »ist«. Die Erste Philosophie hat es, in den Worten des Aristoteles, mit den »Prinzipien und Ursachen des Seienden, und zwar insofern es Seiendes ist«, zu tun und liegt deshalb allen anderen philosophischen Disziplinen zugrunde.
AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) war 20 Jahre lang Student der Akademie seines Lehrers PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) in Athen und nahm dort aktiv Anteil an den Diskussionen um PlatonsPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) Ideenlehre. Für Platon lag die wahre Wirklichkeit in der Welt der ewigen, unveränderlichen und idealen Formen, der »Ideen«, nach deren Muster unsere sinnlich wahrnehmbare Welt geordnet ist und zu der sie sich verhält wie ein Abbild zum Urbild. Diese »Schattenwelt« der sinnlich wahrnehmbaren, vergänglichen Dinge ist nur dadurch »wirklich«, dass sie an den Ideen »teilhat«.
Von dieser Trennung zwischen Ideenwelt und sinnlich wahrnehmbarer Welt wandte sich AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) ebenso ab wie von der Vorstellung einer »Teilhabe« der sinnlichen an einer jenseitigen geistigen Welt. Grundlage seiner Ersten Philosophie ist vielmehr die Beobachtung von Wachstums- und Entwicklungsprozessen in der Natur. Entstehung und Veränderung ist für ihn ein Prozess, der bestimmten Gesetzen folgt, die in den Dingen und nicht außerhalb der Dinge angelegt sind. Zu beobachten ist ein ständiges Übergehen von Möglichkeit in Wirklichkeit, von Stoff in Form. Auf die Frage, warum etwas so ist, wie es ist, antwortet Aristoteles: Weil es aus einem bestimmten Stoff gemacht wurde, eine bestimmte Form hat, durch einen bestimmten Vorgang herbeigeführt wurde und die Verwirklichung eines bestimmten Zwecks ist. Entsprechend unterscheidet er zwischen vier verschiedenen Ursachen: der Stoffursache, der Formursache, der Wirkursache und der Zweckursache. Während für die heutige Wissenschaft nur noch die Wirk-, d.h. Kausalursache eine Rolle spielt, hatten für Aristoteles die Formursache und die Zweckursache eine größere Bedeutung. So wie ein Baum aus einem Samen entsteht, in dem die gesamte Entwicklung zum ausgewachsenen Baum schon angelegt ist, so können alle Dinge in ihrer Form, d.h. in ihrer vollendeten Gestalt, als Verwirklichung eines in ihnen angelegten Zwecks begriffen werden. Aristoteles nennt die Formursache deshalb auch »Wesensursache«, weil in der entwickelten Gestalt das eigentlich Charakteristische eines Dings sichtbar wird, nämlich seine Unveränderlichkeit und selbständige Existenz, Merkmale, für die er den Begriff »Substanz« einführt. Substanz ist der Wesenskern eines Gegenstands im Gegensatz zu den Akzidenzien, den wechselnden Eigenschaften. Ein Baum ist eine Substanz, weil er immer ein Baum bleibt, auch wenn seine Eigenschaften sich ändern können. Mit dem Begriff Substanz wird das wichtigste Verständnis von »Sein« bezeichnet. Etwas »ist« im eigentlichen Sinn erst, wenn es Substanz ist.
Die Welt ist für AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) eine ewige Bewegung, eine unendliche Entstehung von Substanzen, die in ihrer Gesamtheit selbst wieder auf einen großen Endzweck zuläuft, auf den sogenannten »unbewegten Beweger«. Er ist der aristotelische Gott, ein geistiges kosmisches Prinzip, das die Entwicklung des Universums steuert, ihr selbst aber nicht unterworfen ist.
Die in der MetaphysikMetaphysik (Aristoteles) zusammengefassten Aufzeichnungen erfordern wegen ihrer Argumentationsdichte eine konzentrierte und genaue Lektüre, die sich aber lohnt. Die Wirkung der Schrift war epochal: Der Begriff der Substanz sowie die Deutung des Universums als einer zweckgerichteten Ordnung haben viele Jahrhunderte Wissenschafts- und Philosophiegeschichte bestimmt. Der Name »Metaphysik« hat seither den der »Ersten Philosophie« als Bezeichnung der philosophischen Grundlagendisziplin abgelöst.