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Vorbemerkung
ОглавлениеDass kein bedeutendes Werk der Philosophie in einem zwei- oder dreiseitigen Kurzessay auch nur annähernd befriedigend dargestellt werden kann, bedarf kaum einer Erläuterung. Ein philosophisches Werk lässt sich nicht kurz zusammenfassen und es lässt sich auch nicht einfach so durchlesen. Für eine gründliche Lektüre benötigt man Zeit, zuweilen Monate. Akademische Philosophen widmen zuweilen sogar ihr gesamtes Forscherleben einem einzigen Werk.
Dies darf jedoch kein Grund sein, die philosophische Tradition vor denjenigen abzuschotten, die zwar Interesse an der Philosophie, nicht aber die Zeit haben, ein akademisches Fachstudium zu absolvieren. Auch sie haben Anspruch darauf, sich eine Überblickskenntnis über jene Werke verschaffen zu können, die seit 2500 Jahren die Weltsicht der westlichen Kulturen maßgeblich geprägt haben. Es muss Brücken geben, über die auch der philosophisch interessierte Nicht-Profi gehen kann, um im komplexen und umfangreichen Erbe der Philosophiegeschichte eine erste Orientierung zu erhalten.
Solche Brücken will das vorliegende Buch bauen. Es will die Lektüre philosophischer Werke damit natürlich nicht ersetzen, sondern Grundinformationen liefern und Entscheidungshilfen für eine solche Lektüre geben. Es stellt einhundert ausgewählte Werke vor, die in ihrem Anliegen, ihrer historischen Einbettung und in ihren wichtigsten Thesen skizziert werden sollen. Einbezogen werden auch Hinweise auf die philosophiegeschichtliche Diskussion, in der das Werk steht, und auf die Rezeption, die es in der Nachwelt erfahren hat. Die Philosophiegeschichte wird auf diese Weise als Problemgeschichte sichtbar: Jedes Werk greift Probleme auf, die von historisch gesehen früheren Werken entweder nicht gelöst oder erst aufgeworfen wurden. Der Leser kann sich individuell ein Netz oder Mosaik dieser Problemgeschichte zusammenstellen.
Jede Auswahl dieser Art ist anfechtbar. Neben unverzichtbaren, epochemachenden Klassikern wie PlatonsPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) Staat, René Descartes’Descartes, René (1596–1650) Abhandlung über die MethodeAbhandlung über die Methode (Descartes) oder KantsKant, Immanuel (1724–1804) Kritik der reinen VernunftKritik der reinen Vernunft (Kant), die in keiner Auswahl fehlen dürfen, gibt es eine Vielzahl von Werken, über deren Aufnahme man, je nach Standpunkt und Herkunft, wohl endlos diskutieren kann. Zweifelsfrei lassen sich aber alle hier ausgewählten Werke als Klassiker bezeichnen, als Werke also, die ihren zeitgenössischen Kontext überlebt haben und die philosophische Diskussion bis heute mitbestimmen.
Für die vorliegende Auswahl war entscheidend, dass ein national gefärbter Blickwinkel vermieden wird und Werke einbezogen werden, die, wie PascalsPascal, Blaise (1623–1662) GedankenGedanken (Pascal) oder SpencersSpencer, Herbert (1820–1903) System der synthetischen PhilosophieSystem der synthetischen Philosophie (Spencer), im westlichen Denken insgesamt einflussreich waren, auch wenn ihnen in einzelnen Ländern weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Auch fiel die Entscheidung zwischen Werken, die zwar in akademischen Diskussionen eine große Rolle spielen, aber aufgrund ihrer sprachlichen und argumentativen Komplexität nur wenigen Spezialisten zugänglich sind, und solchen, die eine Breitenwirkung über die Philosophie hinaus erzielt haben, regelmäßig zugunsten der letzteren aus. So wurde auf RussellsRussell, Bertrand (1872–1970) und WhiteheadsWhitehead, Alfred North (1861–1947) Principia Mathematica verzichtet, CamusCamus, Albert (1913–1960)’ Mythos von Sisyphos aber einbezogen; statt auf AdornosAdorno, Theodor W. (1903–1969) Negative Dialektik fiel die Wahl auf Peter SingersSinger, Peter (geb. 1946) Praktische EthikPraktische Ethik (Singer) oder Simone de BeauvoirsBeauvoir Das andere GeschlechtDas andere Geschlecht.
Der jüngste der im Band aufgenommenen Titel, Jürgen HabermasHabermas, Jürgen (geb. 1929)’ Theorie des kommunikativen HandelnsTheorie des kommunikativen Handelns, datiert von 1981. Auf Werke der neuesten Philosophiegeschichte wurde mit Absicht verzichtet. Dabei spielte die Überlegung eine Rolle, dass ein philosophisches Werk etwa eine Generation braucht, um seinen Status als Klassiker in der öffentlichen Diskussion durchzusetzen.
Die aufgenommenen Werke erscheinen chronologisch nach ihren bislang bekannten Erscheinungsdaten. Dort, wo, wie in der Antike und im Mittelalter, das Erscheinungsjahr entweder unbekannt ist oder Entstehungs- und Erscheinungsjahr weit auseinanderklaffen, wurden die Werke nach der uns bekannten Entstehungszeit angeordnet. Aber auch dies ist zuweilen (wie im Falle PlatonsPlaton (428/427–348/347 v. Chr.), Aristoteles’Aristoteles (384–322 v. Chr.) oder PlotinsPlotin (um 205 – um 270)) nicht präzise möglich.
Im Inhaltsverzeichnis werden die Werke in Zeitclustern zusammengefasst, die sich nicht immer an dem konventionellen Einteilungsschema Antike – Mittelalter – Neuzeit orientieren. So wurde zunächst die frühe Phase der griechischen Philosophie im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. zusammengefasst. Sie schließt sowohl die sogenannten Vorsokratiker als auch die klassischen Werke des PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) und AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) ein.
Die hier aufgenommenen Werke der spätantiken Philosophie entstanden erst mehrere Jahrhunderte später. Eine eindeutige Grenze zwischen spätantikem und frühchristlichem bzw. frühmittelalterlichem Denken zu ziehen erschien aus mehreren Gründen problematisch, wenn man nämlich in Rechnung stellt, dass ein frühmittelalterlicher Kirchenvater wie AugustinusAugustinus (354–430) noch ganz im Umkreis der stoischen und neuplatonischen Philosophie erzogen wurde und dass das letzte bedeutende Werk der Antike, Der Trost der PhilosophieTrost der Philosophie (Boëthius) von BoëthiusBoëthius (zwischen 475 und 480 – zwischen 524 und 526), erst einhundert Jahre nach Augustinus erschien. In der Philosophie des 1. bis 6. Jahrhunderts n.Chr. durchdringen sich hellenistische und orientalisch-religiöse Motive gegenseitig.
Andererseits beginnt im 10. Jahrhundert mit der hochmittelalterlichen Scholastik, nach einer langen Phase der Völkerwanderung und der politischen und kulturellen Neuorientierung, erkennbar eine neue Phase der Philosophie, in der die rationale Erkenntnisbemühung sich Schritt für Schritt der Glaubensinhalte bemächtigt, ein Prozess, der bis zur Aufklärung des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus andauert.
Auch die Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Renaissance, zwischen christlicher Exegese und wissenschaftlicher Weltzugewandtheit, ist in der Philosophie keineswegs eindeutig markiert. Es fällt schwer, zwischen dem spätmittelalterlichen Kardinal Nikolaus von KuesNikolaus von Kues (1401–1464) und dem mehr als einhundert Jahre später von der Kirche als Häretiker verbrannten Dominikanermönch Giordano BrunoBruno, Giordano (1548–1600) einen Epochenbruch auszumachen. Mit größerem Recht lässt sich behaupten, dass BrunosBruno, Giordano (1548–1600) Philosophie ohne die Denkansätze des Kardinals gar nicht denkbar ist. Die Übergangszeit des 15. und 16. Jahrhunderts, aus der ohnehin nur vier Werke aufgenommen wurden, wurde deshalb in einem eigenen Cluster zusammengefasst.
Ab dem 17. Jahrhundert steigt die Anzahl der aufgenommenen Werke kontinuierlich an – nicht nur deshalb, weil uns ab jetzt eine größere Zahl von Texten überliefert ist, sondern auch, weil die in den letzten vierhundert Jahren geführten Diskussionen sich besonders intensiv bis in die Gegenwartsphilosophie hinein abbilden.
Nun entsteht neben der zunehmenden Schwierigkeit, Periodisierungen (Aufklärung, Moderne usw.) vorzunehmen, auch das Problem der Zugehörigkeit eines Werks zu einer bestimmten Denkrichtung und Tradition (Rationalismus, Empirismus, Deutscher Idealismus). Um unvermeidliche, komplizierte Zuordnungsdiskussionen zu vermeiden, wurden ab dem 17. Jahrhundert die Zeitcluster mit den Jahrhunderten zusammengelegt.
Der Band schließt mit einem Personen- und einem Werkregister, damit der Leser das Buch auch wie ein Lexikon benutzen kann.
Basis-Bibliothek Philosophie ist damit ein Pocket-Reiseführer in die Welt der philosophischen Klassiker. Er soll helfen, diese Welt zu betreten, die ersten Wegweiser und Inschriften zu entziffern und sich einen Eindruck von einigen der größten Sehenswürdigkeiten zu verschaffen. Wird man durch ihn in dem Vorsatz bestärkt, diese Welt auf einer längeren Reise näher kennenzulernen, so ist sein Zweck erfüllt. Als Handbuch im wörtlichen Sinne kann er aber auch zu einem dauerhaften Begleiter werden.