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CiceroCicero (106–43 v. Chr.)

106–43 v. Chr.

Tuskulanische GesprächeTuskulanische Gespräche (Cicero)

(Tusculanae disputationes)

Entst. 45 v. Chr.

Tusculum, das Landgut des römischen Staatsmanns und Philosophen CiceroCicero (106–43 v. Chr.), ist heute fast zu einem Synonym für ein Bildungsrefugium geworden, in dem man, abgeschottet von der Welt, sich mit den wichtigen Fragen des Lebens philosophisch auseinandersetzen kann. Als Cäsar die römische Republik zugunsten einer Alleinherrschaft beseitigte und CiceroCicero (106–43 v. Chr.) ins politische Abseits schob, zog sich dieser nach Tusculum zurück und schrieb eine Reihe von Werken, von denen die Tuskulanischen Gespräche bis heute das bekannteste sind. Wie mit seiner kurz zuvor verfassten Schrift HortensiusHortensius (Cicero) wollte CiceroCicero (106–43 v. Chr.) mit den Gesprächen der Philosophie in der römischen Kultur die Geltung verschaffen, die sie in der griechischen Kultur traditionell hatte – nicht nur als Hilfswissenschaft für Redner und Politiker, sondern als grundlegende und eigenständige Erkenntnisbemühung.

Die Tuskulanischen Gespräche widmen sich dem in der antiken Ethik wichtigsten Thema überhaupt: der Weisheit, einer Lebenshaltung, die es dem Menschen ermöglicht, mit Hilfe der Vernunft Konflikte, Krisen und Unglücke des Lebens souverän zu bewältigen. In der Zeit nach den drei großen klassischen Philosophen SokratesSokrates (469–399 v. Chr.), PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) und AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) hatten alle großen griechischen Philosophenschulen dieses Thema ins Zentrum gestellt – so die Anhänger der Akademie PlatonsPlaton (428/427–348/347 v. Chr.), die als »Peripatetiker« (die, die beim Diskutieren herumwandeln) bekannten Anhänger des Aristoteles, die Epikureer und die Stoiker. CiceroCicero (106–43 v. Chr.) galt als Anhänger der Platonischen Akademie, doch in seiner Ethik bediente er sich bei den verschiedensten Schulen und teilte auch deren gemeinsamen Grundsatz: dass eine auf vernünftiger Einsicht beruhende Tugend zu einem glücklichen Leben führt. Lediglich die These EpikursEpikur (um 341 – 271 oder 270 v. Chr.), Tugend bestehe in Freude und Lust, lehnte er durchgehend ab.

Das Buch ist an CicerosCicero (106–43 v. Chr.) Freund Brutus, den späteren Mörder Cäsars, adressiert und in der Tradition der philosophischen Dialoge PlatonsPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) als Streitgespräch verfasst. Gesprächslenker ist CiceroCicero (106–43 v. Chr.) selbst, der sich mit einigen Bekannten fünf Tage lang in Tusculum versammelt hat. An jedem Tag steht ein gesonderter Aspekt des weisen Lebens im Mittelpunkt. Dem entspricht jeweils ein Kapitel im Buch: im ersten wird die Haltung zum Tod, im zweiten der Umgang mit Schmerz, im dritten der Umgang mit seelischem Leid, im vierten die Beherrschung der Leidenschaften und im fünften die Frage diskutiert, ob die Tugend als Kern eines weisen Lebens wirklich ein Garant für ein glückliches Leben ist.

Gegen die These, dass der Tod ein Unglück sei, bringt CiceroCicero (106–43 v. Chr.) zunächst zwei Argumente vor: Entweder haben wir eine unsterbliche Seele – wofür die Tatsache spricht, dass die seelischen und rationalen Vermögen auf eine höhere Welt gerichtet sind und sich nicht auf materielle Ursachen zurückführen lassen –, oder der Tod ist gleichgültig, weil wir ins Nichtsein eingehen und ewige Ruhe finden. Im fünften und letzten Buch stützt sich CiceroCicero (106–43 v. Chr.) auf einen Konsens aller Philosophenschulen: Nur in der Tugend erreicht der Mensch jene »Autarkie« (jenes »sich selbst Gesetze geben«) der Vernunft, die sich gegenüber den Einflüssen der Triebe und der äußeren Geschehnisse unabhängig gemacht hat und in der gesamten Antike mit dem Glück identifiziert wird.

Es ist dieser Bezug zur Vernunft, der auch den Schlüssel zur Beantwortung der Fragen in den Kapiteln zwei bis vier liefert. CiceroCicero (106–43 v. Chr.) schlägt durchweg eine Therapie der rationalen Durchdringung und Bewältigung vor, die sich eng an die Lehrmeinung der Stoiker anlehnt: Schmerz, Kummer und der Drang der Leidenschaften verlieren ihre Wirkung auf uns, wenn wir uns von einer falschen Einschätzung ihrer Bedeutung lösen und verstehen lernen, dass sie den Kern unserer Person nicht berühren.

Zwar ist über die Originalität CicerosCicero (106–43 v. Chr.) viel gestritten worden. Doch die auch für Laien problemlos lesbaren Tuskulanischen Gespräche galten im gesamten Mittelalter und in der Renaissance als spiritueller Führer und können wie kein anderes Werk als klassisches Handbuch antiker Weisheitslehre gelesen werden.

Über die PflichtenÜber die Pflichten (Cicero)

(De officiis)

Entst. 44 v. Chr.

CicerosCicero (106–43 v. Chr.) Über die PflichtenÜber die Pflichten (Cicero) oder Vom pflichtgemäßen Handeln, wie die deutsche Übersetzung des Titels auch lautet, ist sein letztes Werk, entstanden in einer politisch turbulenten Zeit und ein Jahr vor seinem gewaltsamen Tod. In den drei großen Kapiteln des Buches legt CiceroCicero (106–43 v. Chr.) eine umfangreiche Diskussion ethischer Probleme vor. Es geht um die Werte und Maßstäbe, die für das menschliche Handeln bestimmend sein sollen. Vorlage war die gleichnamige Schrift des im zweiten vorchristlichen Jahrhundert lebenden griechischen Stoikers PanaitiosPanaitios (um 180 – um 110 v. Chr.). Dessen Schlüsselbegriffe, »kalokagathón« (= das Gute und Schöne) als Ziel und »kathēkonta« (= das, was sich gebührt) als Richtschnur des Handelns, werden in CicerosCicero (106–43 v. Chr.) lateinischer Übersetzung zu »honestum« (= wörtl. das Ehrenhafte) und »officii« (= Pflichten), wobei mit der Übersetzung auch die Bedeutung präzisiert und letztlich neu bestimmt wird.

Mit dem »Ehrenhaften« meint CiceroCicero (106–43 v. Chr.) das übergeordnete Ziel des gesamten menschlichen Handelns. Es umfasst das, was PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.) mit den vier Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit umschrieben hatte. Es geht um unsere moralischen Verpflichtungen gegenüber anderen, um unsere Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft und dem Staat, aber auch um Regeln des Anstands und der Schicklichkeit, die der Persönlichkeitsbildung dienen und die Cicero mit der Tugend der Besonnenheit verbindet.

Zwischen dem moralischen Handeln und dem »schönen«, d.h. sozial angemessenen Verhalten zieht CiceroCicero (106–43 v. Chr.) eine schärfere Trennlinie als PanaitiosPanaitios (um 180 – um 110 v. Chr.). Während es im moralischen Handeln um die Verpflichtung gegenüber anderen und die Rücksichtnahme auf ihre Rechte geht, zielen die Regeln des Anstands auf das Ideal der »harmonischen Persönlichkeit«, ein Erziehungsideal, das sich z.B. in der ästhetischen und rhetorischen Bildung, in der Entwicklung der eigenen Natur- und Charakteranlagen, aber auch der Fähigkeit äußert, seine persönlichen Verhältnisse klug zu regeln. Ziel ist es hier, seinem Leben eine Struktur, eine Ordnung zu geben, oder, wie Cicero sagt, »in der Lebensführung alles zueinander passend und in ausgewogenem Verhältnis« zu gestalten.

Auch das »Ehrenwerte« im Sinne der Moral und Sittlichkeit erfährt bei CiceroCicero (106–43 v. Chr.) eine genauere Fassung. Schon PanaitiosPanaitios (um 180 – um 110 v. Chr.) hatte zwischen dem Sittlichen und dem Nützlichen unterschieden, aber, nach CicerosCicero (106–43 v. Chr.) Ansicht, das Verhältnis zwischen beiden nicht endgültig geklärt. Cicero widmet sich diesem für die Moralphilosophie so wichtigen Thema im 3. Kapitel seiner Schrift.

In der antiken Philosophie war es eine von fast allen Philosophen geäußerte Ansicht, dass moralisches Handeln Selbstverwirklichung im Sinne einer Einfügung in die ewige, unveränderliche Naturordnung bedeutet und von daher immer auch nützlich ist. Auch CiceroCicero (106–43 v. Chr.) bestreitet nicht, dass Sittlichkeit und Nützlichkeit sich auf dieser sehr allgemeinen Ebene treffen. Nützlichkeit im Sinne von persönlichem Vorteil kommt jedoch mit Sittlichkeit immer wieder in Konflikt. Denn die Naturordnung ist für Cicero gleichzeitig eine Rechts- und Gesetzesordnung, die von mir verlangt, dass ich im Konfliktfall eigene Interessen gegenüber den Interessen der Gemeinschaft zurückstelle. Das gilt auch, wenn ich mir durch Verfolgung der eigenen Interessen soziale Achtung und Anerkennung verschaffen könnte. Nur wenn wir eine für alle geltende Verpflichtung annehmen, die Rechte des anderen grundsätzlich zu achten, ist ein Zusammenleben der Menschen im Sinne der Naturordnung möglich.

CicerosCicero (106–43 v. Chr.) Über die PflichtenÜber die Pflichten (Cicero) gehört zu den meistgelesenen Schriften in der Geschichte der Moralphilosophie und bereitete jenen Begriff der moralischen Pflicht vor, den KantKant, Immanuel (1724–1804) in seinem berühmten kategorischen Imperativ formulieren sollte. Mit ihrem Erziehungsideal der harmonischen Persönlichkeit wirkte sie in der Renaissance auf Petrarca und Erasmus von Rotterdam, aber auch auf die französischen Moralisten und die Aufklärung.

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