Читать книгу Basis-Bibliothek Philosophie - Robert Zimmer - Страница 23
ОглавлениеNikolaus von KuesNikolaus von Kues (1401–1464)
1401–1464
Die belehrte UnwissenheitDie belehrte Unwissenheit (Nikolaus von Kues)
(De docta ignorantia)
Entst. 1440
Auf einer Reise zwischen zwei Welten kam ihm die Intuition: Als der junge päpstliche Gesandte Nikolaus von KuesNikolaus von Kues (1401–1464), unter seinen Glaubensbrüdern als Nicolai de Cusa bekannt, den byzantinischen Kaiser samt Gefolge auf der Überfahrt von Konstantinopel nach Venedig begleitete, fand er die Lösung eines Problems, das ihn schon lange beschäftigte: das Problem der Einheit, der Einheit Gottes in Anbetracht der widerstreitenden Meinungen, in denen unsere Verstandeslogik befangen bleibt und die sich auch in den Auseinandersetzungen zwischen Ost- und Westkirche manifestierten. In Gott, so der aus dem Moseldorf Kues stammende Nikolaus, fallen die Gegensätze zusammen, allerdings auf einer Ebene, die der Verstand nicht mehr erreicht. Er muss sich gegenüber dieser »coincidentia oppositorum«, dieser »Vereinigung der Gegensätze«, mit einem Nichtwissen bescheiden. Über dieses Nichtwissen aufzuklären ist Ziel seines frühen Hauptwerks De docta ignorantia, dt. Die belehrte UnwissenheitDie belehrte Unwissenheit (Nikolaus von Kues).
Während im frühen Mittelalter die rationale, philosophische Erkenntnis zugunsten des Glaubens abgewertet wurde, gab die hochmittelalterliche Scholastik dem »natürlichen Licht der Vernunft« als Stütze des Glaubens wieder einen höheren Stellenwert. Nikolaus knüpfte einerseits an das Frühmittelalter an. Für ihn setzte der Glaube der philosophischen Gotteserkenntnis enge Grenzen. Gott liegt jenseits aller rationalen Erkenntnismöglichkeiten. Gleichzeitig jedoch öffnet er der Welterkenntnis neue Räume. Im Geist des Humanismus und der neu entstehenden empirischen Wissenschaften weist er auf die Unerforschtheit eines Universums hin, dessen Grenzen wir noch gar nicht absehen können. Die belehrte UnwissenheitDie belehrte Unwissenheit (Nikolaus von Kues) ist ein Werk der Zeitenwende: Ihre Theologie verweist auf die mystische Tradition des im Mittelalter einflussreichen Neuplatonismus, ihre Offenheit gegenüber dem neuzeitlichen Weltbild auf die Renaissance.
Große Bedeutung für die Beweisführung der Schrift hat die Mathematik, die schon in der Platonischen Philosophie eine wichtige Rolle gespielt hatte und in der Renaissance zu einer Schlüsseldisziplin wurde. Erkenntnis der Welt bedeutete nun vor allem Messbarkeit und Quantifizierbarkeit. Aus der Sprache der Mathematik wählte Nikolaus seine Beispiele und Analogien. Sowohl Gott als auch die Welt können jeweils als ein Maximum aufgefasst werden. Die Welt ist das Maximum aller Dinge. Gegen die mittelalterliche Auffassung, das Universum sei begrenzt, behauptet Nikolaus ihre Unendlichkeit. Bereits hundert Jahre vor KopernikusKopernikus, Nikolaus (1473–1543) vertritt er die These, dass die Erde sich bewegt und Kugelgestalt hat. Sie befindet sich in einem Universum, das kein Zentrum und damit auch keine Peripherie mehr hat.
Dieses Universum ohne Zentrum und Peripherie ist Sinnbild Gottes, den Nikolaus mit einer Kugel oder einem unendlichen Kreis vergleicht. Welt und Gott sind beide unendlich, aber in unterschiedlicher Weise. Die Welt ist unendlich in dem Sinn, dass unsere Erfahrung nie über sie hinausgelangen wird. Gott aber ist in einem noch höheren, in einem absoluten Sinn unendlich: Er ist das Maximum in dem Sinne, dass er »alles ist, was sein kann«. Während wir alle Dinge dadurch erkennen, dass wir sie von anderen unterscheiden, dass wir also Gegensätze und Verschiedenheiten voneinander abheben, ist Gott alles zugleich, weil er alle Gegensätze in sich vereinigt. Auch der Satz des Widerspruchs, dass etwas nicht zugleich sein und nicht sein kann, hat in Bezug auf Gott keine Gültigkeit. Deshalb ist Nikolaus Anhänger einer »negativen Theologie«, die leugnet, dass man Gott mit Mitteln der Sprache und Logik beschreiben oder benennen kann. Wir können immer nur auf die Grenze einer Wirklichkeit hinweisen, die für uns rational nicht greifbar ist. Nur im intuitiven »Aufleuchten« als einer Form der mystischen Erkenntnis wird Gott für den Menschen zugänglich.
Die belehrte UnwissenheitDie belehrte Unwissenheit (Nikolaus von Kues) zeichnet sich nicht nur durch große sprachliche Klarheit, sondern auch, bedingt durch die zahlreichen mathematischen Analogien, durch Anschaulichkeit aus. Die These von der Unendlichkeit der Welt wurde von Giordano BrunoBruno, Giordano (1548–1600) übernommen, die Denkfigur einer Einheit als Vereinigung der Gegensätze findet sich bei KantKant, Immanuel (1724–1804) und in der dialektischen Methode HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831) und MarxMarx, Karl (1818–1883)’ wieder.