Читать книгу Ameisenmonarchie - Romina Pleschko - Страница 12

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DER MANN NAMENS Klaus sah immer, bevor er die Wohnung verließ, exakt fünf Minuten lang durch seinen Türspion, in der Hoffnung, Karin von gegenüber im Stiegenhaus anzutreffen. Meistens hatte er kein Glück, aber wenn doch, dann erlitt er einen kurzen Schock, bevor er schwungvoll die Tür aufriss und einen lauten, auf die Tageszeit abgestimmten Gruß aussprach. Diesen kurzen Schock konnte er etwas abmildern, indem er Karin nicht beim Nachhausekommen, sondern beim Verlassen der Wohnung erwischte. Denn das konnte man einige Sekunden vorab voraussagen anhand der durch ihre Pumps verursachten Erschütterungen, die den grünen Plastikkranz leicht zum Zittern brachten, der seit Weihnachten seine LED-Lichter an ihrer Wohnungstür absterben ließ, und konnte sich mental auf die Begegnung vorbereiten. Der Mann namens Klaus mochte alles an Karin, ihre rotblonden Haare genauso wie die starken Sommersprossen, die sich über ihren ganzen Körper verteilten, zumindest malte er sich das (in seinen Tagträumen) so aus. Sie hatte sich damals bei ihrem Einzug persönlich bei ihm vorgestellt, was ihn beeindruckt hatte, denn den Rest der Hausbewohner kannte er nur vom Sehen, da war niemand an näherer Bekanntschaft interessiert.

Leider war der Kontakt danach eingeschlafen, nur einmal hatte sie ihn noch in ihre neu eingerichtete Wohnung zum Kaffeetrinken eingeladen. Er wollte lieber Pfefferminztee, sie hatte keinen vorrätig, die Unterhaltung verlief schleppend und wurde immer wieder durch ihre vorlaute kleine Tochter Helene gestört.

»Warum hast du oben auf deinem Kopf nur mehr so wenige Haare?«, hatte Helene gefragt und ihr hinterhältiges Grinsen ließ den Mann namens Klaus davon ausgehen, dass dieses kleine Mädchen offenbar ein gesteigertes Interesse daran hatte, ihn vorzuführen.

»Geh, Helene, du weißt genau, warum. Der Salzburg-Opa hat dir das doch erklärt!«, hatte Karin lachend geantwortet. Der Mann namens Klaus lachte herzlich mit.

Er nahm zur inneren Beruhigung einen Schluck aus seinem Wasserglas, während Karin ihren Laptop öffnete und ein Zeichentrickvideo startete, um Helene ruhigzustellen. Auf ihrem Bildschirm konnte er den Namen des Familienforums erkennen, in dem er sich vor Jahren einmal aus Langeweile und anderen Gründen angemeldet hatte. Er wurde rot.

Karin erzählte vom anstrengenden Umzug nach Wien, ihrer Familie in Salzburg und ihrem ebenfalls dort ansässigen Ex-Mann, der ihren Mercedes von 50 000 auf 30 000 Euro Fahrzeugwert heruntergefahren und ihn ihr schlussendlich nach längerem Streit um 8000 Euro abgekauft hatte. In Raten. Aber sie sei so froh gewesen, diesen Versager aus ihrem Leben streichen zu können, dass sie sogar das in Kauf genommen hatte. Der Mann namens Klaus war enttäuscht von einer dermaßen durchschnittlichen Lebensgeschichte und Autowahl. Heimlich zählte er ihre Sommersprossen und stellte sich das Muster vor, das sie unter ihrer Kleidung ergeben mochten. Karin wurde langsam unruhig und gab einen Termin vor, um das Treffen zu beenden. Er kannte das, darin hatte er Übung. Leute, die einen loswerden wollten, beschleunigten ihre Bewegungen und stellten gleichzeitig den Blickkontakt fast gänzlich ein. Karin schob die Gläser auf dem Sofatisch zusammen und wischte ein paar Brösel auf den Fußboden. Egal, dachte er, ich krieg dich schon noch.

Wieder zuhause loggte er sich sofort in das Familienforum ein und begann zu recherchieren, welche der Nutzerinnen Karin sein könnte. Er sondierte nach Alter, Wohnort, Kinderanzahl. Er durchforstete das Alleinerzieherinnen-Unterforum und wurde fündig. Vor einiger Zeit hatte sich tinkerbell erkundigt, wie man frisch zugezogen nach Wien möglichst schnell einen Kindergartenplatz bekommen konnte. Mit klopfendem Herzen klickte er auf tinkerbells Profil und fing an, ihre hundert letzten Beiträge zu überfliegen. Bingo. Sie hatte eine Tochter mit einem wunderschönen dreisilbigen klassischen Vornamen, einen schrecklichen Ex-Mann, viel Ahnung von Salzburgs Gastronomieszene und sie empfahl aufdringlich häufig eine spezielle Sonnencreme mit LSF 50 für empfindliche Haut, die stark zu Sommersprossen neigte. Seine Finger zitterten und er bemerkte erst jetzt, dass er seine Hemdsärmel fast bis zum Ellenbogen hinunter vollgeschwitzt hatte.


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