Читать книгу Ameisenmonarchie - Romina Pleschko - Страница 13

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HERB JUNIOR HATTE Georg erst verlassen, nachdem er sich sicher war, mit der Krankheit nicht länger umgehen zu können. Ihre Unheilbarkeit verleidete ihm das Zusammenleben, die immer schlimmer werdenden Schübe raubten ihm den hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. Herb Junior war kein Unmensch, aber er hatte sich selbst verloren in dieser Liebesbeziehung, als komplett gesundem Menschen fiel es ihm einfach schwer, sich in Georgs kränkelnde Welt einzufühlen. Lange Zeit überlagerte Georgs künstlerische Potenz sein Siechtum, Herb Junior hatte ihn von Anfang an bewundert für seine Vielseitigkeit. Georg hatte Schauspiel studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen, aber nicht nur auf der Bühne machte er eine gute Figur, er schrieb auch Theaterstücke, bisher zwei, um genau zu sein. Das erste war ein Sermon über die zerstörerische Langeweile der Wohlstandsgesellschaft und wurde im Feuilleton nur deswegen verrissen, weil die Kritiker das zynische Stilmittel der Redundanz nicht verstanden. Sie fanden es langweilig, aber eben nicht auf diese geniale Art, die Georg beabsichtigt hatte. Herb Junior musste wochenlang seine schlechte Stimmung und einen heftigen Krankheitsschub ertragen.

Georg schlief mit dem Hauptdarsteller des Stückes, weinte danach und erklärte seine Sexsucht wiederholt zum Fluch seines Lebens. Ein nicht zu überwindendes Martyrium sei diese Suche nach dem Neuen, nach dem schnelleren Puls. Und so leer fühle man sich danach. Ausgelaugt, verbraucht und beschämt. Aber er brauche das, als Künstler habe man ja die Verpflichtung, nicht zu stagnieren, Erfahrungen zu sammeln wie andere Bonuspunkte im Drogeriemarkt.

Sein zweites Stück wurde immerhin ein mäßiger Erfolg, da der verantwortliche Theaterintendant, ein väterlicher Gönner aus Georgs schauspielerischen Anfängen, von der Krankheit wusste und Mitleid mit ihm hatte. Er inszenierte das Stück gemeinsam mit Georg. Herb Junior saugte nach manchem Konzeptionsgespräch der beiden Künstler schluchzend mittellange graue Haare von seinem eigenen Kopfpolster.

Das Stück war provokant futuristisch, wurde dezent beklatscht und gespalten rezensiert. Es handelte von einem Altnazi, der im Pflegeheim seine letzten Jahre absitzend noch einen zweiten Frühling erleben darf, als er sich unsterblich in seinen Pflegeroboter verliebt, besprochen von Chris Lohner. Georg bezeichnete das Stück als vergangenheitsbewältigende Technologisierungskomödie, Herb Junior mochte in erster Linie den Klang der Stimme Chris Lohners, wenn sie »Die Fleischlaberl sind klein gemacht, keine Sorge. Ich hole Ihnen einen Bekleidungsschutz, Herr von Eberstein!« hauchte.

Die Trennung war überraschenderweise ganz ohne Dramen abgelaufen, denn Georg hatte exakt an dem Tag, an dem Herb Junior seine Sachen packte, die seltene Gelegenheit bekommen, für einen Moderationsjob vorzusprechen. Er bekam den Vertrag sofort und von nun an musste Herb Junior ihn jedes Wochenende ertragen, wenn er die Kugeln der Lottoziehung durcheinanderwirbeln ließ.

Sonntags war Herb Junior oft bei seinen Eltern eingeladen, sah sich nach den Nachrichten gemeinsam mit Herb Senior die Ziehung der Lottozahlen an und hörte von ihm jedes Mal einen fast wortidentischen Vortrag über die Dummheit der Massen, die auf diese Art Reichtum hofften, während er daran dachte, wie Georgs Freunde ihn wohl hänseln würden wegen der fliegenden Bälle. Herb Junior lief eine Gänsehaut über den Rücken, wenn er sich seinen Vater und Georg in einem Raum vorstellte. Die beiden hätten sich auf Anhieb gehasst, so viel stand fest. Der gelangweilt moderierende Georg war ihm viel zu präsent im Wohnzimmer, insgeheim wartete Herb Junior darauf, dass er nach »Und jetzt zur Zusatzzahl« einmal seelenruhig »Übrigens, mein Ex ist Frauenarzt und sein Vater hat keine Ahnung, dass er auf Männer steht« in die Kamera sprechen würde. Dieser Nervenkitzel verflog nie, auch längere Zeit nach der Trennung nicht.

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