Читать книгу Ameisenmonarchie - Romina Pleschko - Страница 6
ОглавлениеDREIUNDZWANZIG NEUE BEITRÄGE. Karin hatte nur kurz Mittagessen gekocht und schon gab es dreiundzwanzig neue Beiträge zu ihren abonnierten Threads im Familienforum. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Helene schlief, Karin hatte jetzt ungefähr eine Stunde Zeit, um selbst etwas zu schreiben, bevor ihre Tochter wieder aufwachen würde.
Heute wurde über die Ethik der Leihmutterschaft, die Veganität von Muttermilch und über die anstehenden Nationalratswahlen diskutiert, durchsetzt von den üblichen Finanzgeschichten, bei denen es in erster Linie darum ging, wer mehr Geld hatte als die anderen und das so subtil in seine Forumsidentität einflechten konnte, dass niemand sich traute, seinen Neid zu verbalisieren. Man pflanzte den Neid in eine Cloud, sozusagen. Karin hatte mittlerweile gelernt, dass man Geld nur für bestimmte Dinge ausgeben durfte, für Bioobst, ein faltbares Fahrrad, für Ergotherapien und ein Kindertheater-Abo, eventuell noch für nachhaltige Reisen in streng ökologisch geführte Ferienresorts, sicherlich aber nicht für eine Nanny, Handtaschen oder Kosmetik. Das Beschäftigen einer Nanny führte nämlich nach drei Threadseiten zur Conclusio, dass man besser gar keine Kinder hätte bekommen sollen, wenn man sie nicht durchgehend selbst betreute. Eine teure Handtasche bedeutete, dass man die Prioritäten im Leben falsch setzte, und eine Affinität zu Luxuskosmetik, dass man oberflächlich war und dumm genug, den leeren Versprechungen der Industrie zu glauben.
Karin wusste nicht genau, warum sie seit Jahren süchtig nach diesem Forum war, dessen Teilnehmerinnen sie sich alle entweder sozial komplett unbeholfen oder so besserwisserisch vorstellte, dass das reale Umfeld die Flucht ergriffen hatte. Wie sie selbst dort hineinpasste, darüber vermied sie nachzudenken, denn sie beschäftigte sich nicht gerne mit eventuellen Defiziten ihrer Persönlichkeit, sondern lieber mit denen der anderen, zudem konnte sie außerhalb ihres Berufslebens nicht viel Zeit in soziale Kontakte investieren. Manchmal reichte es ihr, nur zu lesen und teilzuhaben an den rührend tollpatschigen Selbstdarstellungen im Netz. Vor allem die Männer hatten es ihr angetan. Das Familienforum wurde nämlich fast ausschließlich von Nutzerinnen besiedelt, man konnte die Nutzer an zwei Händen abzählen. Zu ihnen gehörte zum Beispiel der latent unzufriedene Apachenträne76, der so besessen war vom Sozialdarwinismus, dass er seine Tochter – natürlich Einzelkind, denn alles andere hätte einen Verlust der Finanzkraft zur Folge gehabt – zum Bogenschießen und Kampfsport zwang, damit sie der Härte der Welt eines Tages gut gerüstet gegenübertreten konnte. Er partizipierte nie an privaten Themen, außer es ging um Schulhofprügeleien (Sehr gesund für die Entwicklung! Nur Weicheier wollen ohne Gewalt durchs Leben!), das Sammeln von Uhren (Chronographen, bitte, so viel Zeit muss sein!) oder das Schreiben von Kinderbüchern (Durch strategisch effiziente Produktplatzierung beeindruckende Verkaufszahlen der Werke aus Eigenverlag).
Einmal hatte er versucht, sie über private Nachrichten anzuflirten. Darin war er nicht besonders geschickt, ging es doch hauptsächlich um ein vages Anklingenlassen seines überdurchschnittlichen Einkommens und seine Vorliebe für Funktionskleidung. Karin hatte sich konservativ wild gegeben, eine riskante Mischung, aber sie wollte schon immer einmal der aufflammende Traum eines Mannes sein, der das Scheitern seines Lebens final auf sich zukommen sah. Karin gefiel es, wenn alternden Männern allmählich jede Möglichkeit eines Alphatierdaseins geraubt wurde, trotz eigentlich bester Voraussetzungen. Bei Frauen passierte der Prozess des Scheiterns viel zu früh und schnell, er tat den meisten auch nicht weh, sondern war nichts weiter als natürliche Fügung. Man bekam Kinder, so war das eben.