Читать книгу Ameisenmonarchie - Romina Pleschko - Страница 20
ОглавлениеES WAR NICHT so, dass Herb Senior nicht früh bemerkt hätte, dass seine Frau zu einer unerklärbaren Antriebslosigkeit neigte, regelmäßig unterbrochen von hysterischen Schüben, er hatte diese Eigenschaften sogar fast anziehend gefunden, solange sie noch nicht jeden Bereich seines sozialen Lebens durchsetzten. Die beiden Kinder hatten sie zwar wie erhofft knapp zwei Jahrzehnte in der häuslich repräsentativen Spur gehalten, aber je unabhängiger sie wurden, desto mehr zog sich Magdalena zurück. Manchmal verließ sie das eheliche Schlafzimmer wochenlang nur für ihre Grundbedürfnisse. Herb Senior entdeckte in diesen Phasen die schwarzen Federn ihres Morgenmantels ausschließlich im Badezimmer und vor dem Kühlschrank, in dem hauptsächlich die Wurstwaren fehlten, seltener etwas Milch. Sie ernährte sich von Wasser und Wurst, hauptsächlich italienischer Stangensalami. Sie ernährte sich auch von den Tabletten, die Herb Senior regelmäßig pulverisierte und in die Fettaugen der Salami strich. Dazu höhlte er diese aus, vermengte die weiße Masse mit dem Pulver und strich sie wieder zurück in die Wurst, wie ein Maler, der Bohrlöcher verspachtelte. Er wollte mit den Beruhigungsmitteln der Hysterie entgegenarbeiten, die von der Gattin regelmäßig Besitz ergriff und der er hilflos gegenüberstand, denn Gewalt war keine Lösung.
Einmal hatte sie mit Spaghetti geworfen, kreischend mit der ganzen Hand in die Schüssel gegriffen und einen Strauß sich schlängelnder, soßenspritzender Nudeln an die Wand geschleudert. Herb Senior musste ihr die Brandblasen auf der Handinnenfläche versorgen und das Esszimmer neu ausmalen lassen, noch Wochen später fand er in der Zimmerpalme zu grotesken Formen getrocknete Nudelgebilde und er beschloss, sich und seiner Frau das Zusammenleben angenehmer zu gestalten. So besorgte er sich Beruhigungsmittel und machte nicht den Fehler, Magdalena zur Einnahme überreden zu wollen.
Er wusste natürlich, dass sein Verhalten falsch war, er nahm das zumindest an aufgrund der Tatsache, dass er mit niemand darüber sprechen mochte. Die Tabletten mischte er nur wenn Magdalena schlief in die Salami, scheinbar heimlich, auch wenn er vor sich selbst dabei gerne eine gewisse Leichtigkeit bewahrte und aus dem Mörser springende Tabletten mit einem »Na, du widerspenstiges Scheißerchen!« bedachte. Ein wahrer Bösewicht würde wohl nicht so locker kommunizieren, sondern im Halbdunkel agieren, mit verschlagen zusammengekniffenen Augen.
Auch sah Herb Senior sein Handeln fast altruistisch motiviert, denn bloß weil er die positiven Aspekte der Sedierung durchaus genoss, musste das nicht die zugrundeliegende Absicht der Besänftigung seiner Gattin abwerten. Magdalena war unter behutsamer Medikation viel umgänglicher, er mochte diese feminine Weichheit in ihrem Gesichtsausdruck, wenn die Wirkung der Tabletten ihren Höhepunkt erreichte. Kein skeptisches Hochziehen der Augenbrauen mehr, kein nervöses Herumrutschen auf dem Sofa, wenn er von Patientinnen erzählte, sondern die völlige Hingabe als Zuhörerin, das wusste Herb Senior sehr zu schätzen. Selbst ihre Zornesfalte profitierte von der Ruhigstellung, sediert sah Magdalena um Jahre jünger aus, wie er zufrieden feststellte.