Читать книгу Ameisenmonarchie - Romina Pleschko - Страница 9

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ER HATTE WIDER Erwarten drei Leben gerettet im Laufe seiner Karriere und zum Lohn diese gottähnliche Zufriedenheit verspürt und eine Keramiktasse bekommen, gefüllt mit alkoholfreien Pralinen und bemalt mit einem grauen Hirsch. Das war nicht nichts. Eigentlich hatte er sogar sieben Leben gerettet, wenn er die Föten dazuzählte.

An den ersten Notfall erinnerte sich Herb Senior genau, denn die darauffolgenden Lebensrettungen hatten ihm nie wieder solch intensive Gefühle verschafft, sie dienten eher einer Art frisch bebilderter Wiederholung.

Eine Frau, schwanger mit Zwillingen, wurde direkt von seiner Praxis mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht. Sie hatte sich mit letzter Kraft zu ihm geschleppt, da sie dort tags zuvor mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen und sogar ohne Bluttest nachhause geschickt worden war. Weinend saß sie vor ihm und sagte, dass sie seit Tagen kaum geschlafen habe und diese stechenden Oberbauchschmerzen sie bald in den Wahnsinn treiben würden.

Herb Mazur Senior wusste sofort, was zu tun war. Er schickte eine der drei Sprechstundenhilfen in die Apotheke, um Blutdrucksenker zu besorgen, ließ parallel dazu ein CTG schreiben, dessen Befund unauffällig und ohne Wehentätigkeit war, und verabreichte der Frau danach das genau rechtzeitig eingetroffene Medikament, da sie schon lallte und nach eigenen Angaben verschwommen sah. Er rief die Oberärztin ihres Wahlkrankenhauses an und verpasste ihr ein verbales Klistier von beeindruckendem Feinschliff. Wenn er bloß immer zu solch eleganten Schmähreden fähig gewesen wäre, ein Traum war das, wie er gänzlich unantastbar aus der Position des Rechthabenden streng und gütig agieren und trotzdem auf das Schärfste zur Eile mahnen konnte. Ein Retter war er. Die Oberärztin versuchte, sich die Panik nicht anmerken zu lassen, und versprach, unverzüglich einen OP zu präparieren, aber an ihrer Stimme merkte er, dass sein Anruf die erwünschte Wirkung zeigte. Das eiligst erstellte Blutbild aus dem Labor überflog er nur kurz und zitterte vor Erregung darüber, dass er sogar die Anzahl der stark reduzierten Thrombozyten richtig geschätzt hatte. Er hatte die Ernsthaftigkeit der Lage schon an der Patientin gesehen, bevor ihr das Blut abgenommen wurde, dieser fadenartige Blick, der überall hängen blieb, aber keine geraden Linien mehr ziehen konnte, dieser Blick war eine der Eigenheiten, die Lebensgefahr mit sich brachte.

»Wir müssen die Schwangerschaft jetzt abbrechen«, sagte er zu seiner immer kleiner werdenden Patientin mit dem Zwillingsbauch. Er entschied sich bewusst für eine derart drastische Wortwahl, das »abbrechen« sollte die vorhandene Dramatik noch extra steigern, denn Herb Senior stellte in diesem Moment mit Verwunderung fest, dass ihm die Unsicherheit seiner Patientin tiefe Befriedigung verschaffte. Sie riss entsetzt die Augen auf, wagte keinen Widerspruch.

»Nur keine Angst, Sie dürfen jetzt nicht panisch werden, aber Sie haben ein akutes HELLP-Syndrom, das ist eine komplizierte Form der Schwangerschaftsvergiftung, davon haben Sie sicher schon mal gehört. Wir müssen daher sofort die Geburt einleiten«, fügte er milde hinzu, denn er wollte es nicht mutwillig übertreiben mit der Paniksteigerung bei einer Frau, deren Körperfunktionen zu keiner Blutgerinnung mehr fähig waren.

Er drückte ihr die Hand und wünschte ihr alles Gute, als die Sanitäter sie auf die Krankentrage betteten. Dann händigte er ihnen die wichtigsten Papiere für das Krankenhaus aus und hielt ihnen die Praxistür auf. Die Frau hatte schweißnasse Hände gehabt, er konnte ihre Angst spüren wie einen Defibrillator gegen die Gleichförmigkeit seiner Existenz.

Herb Mazur Senior wickelte ein Zuckerl aus dem Papier, Ananasgeschmack, steckte es in den Mund und dachte daran, dass eines der Kinder bei diesem frühen Geburtstermin wohl mit Bleibeschäden zu rechnen hatte, rein statistisch betrachtet.

Ameisenmonarchie

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