Читать книгу Ameisenmonarchie - Romina Pleschko - Страница 18
ОглавлениеER HATTE SICH längst mit seiner sexuellen Vorliebe für Verletzlichkeiten aller Art abgefunden, wusste aber, dass andere das irritierend oder gar abstoßend fanden, und hatte sich im Laufe der Jahre zur Befriedigung seiner Bedürfnisse mehr und mehr ins Onlineleben zurückgezogen. Der Mann namens Klaus hatte früher etwas Geld als Fotograf verdient, mit überschaubarem Erfolg, denn seine Arbeiten waren nicht mehr als dritte Aufgüsse der Visionen echter Fotokünstler und obendrein technisch nur mittelmäßig umgesetzt. Er bekam die Unschärfen nie unter Kontrolle, wenn seine körperliche Erregung stieg. Am liebsten fotografierte er die ganz frischen Models mit wenig Erfahrung, bei ihnen schaffte er es am schnellsten, sie in einen Zustand der größtmöglichen Verunsicherung zu versetzen. Er gab dazu sehr viele, sehr konkrete Anweisungen und drückte ununterbrochen auf den Auslöser, damit das klickende Geräusch eine subtil gehetzte Grundstimmung erzeugte.
Finger zusammen, Kopf leicht nach links, Augen zu mir, nur die Augen, der Kopf bleibt, Haare durchwuscheln, wilder, ich muss die Fingersehen, Körperlinie lang halten, wieso liegt das Knie so komisch, das muss locker sein, nicht gestellt, authentisch, ich will dich sehen, keine Pose, wer bist du?, zeig dich.
So fotografierte er erst einmal eine ganze Fotostrecke nach seinem persönlichen Geschmack, um plötzlich damit anzufangen, jede Bewegung des Models enthusiastisch zu loben und das Mädchen in seiner Erleichterung so aufzulockern, dass schlussendlich doch noch ein paar brauchbare Bilder für den Kunden geschossen werden konnten.
Nach dem Shooting zweifelte das Mädchen gleichermaßen an ihrer Kinnlinie wie an ihrem Talent, überzeugend die totale Belanglosigkeit darstellen zu können. Der Mann namens Klaus ging nachhause, lud sich die Fotos vom Beginn des Shootings auf seinen Computer und zoomte in die Augen des Models. Mit etwas Glück fand er dort alles, was er brauchte: Angst und leichten Ekel. Unsicherheit und eine wieder zum Kind zerbröckelnde Weiblichkeit. Verzweiflung und den trotzigen Versuch, etwas Tiefsinn in einen Blick zu mischen, der leerer kaum sein konnte.
Leider verdiente er mit seinen Bildern nur wenig und irgendwann blieben die Aufträge ganz aus, einzig ein Serviettenhersteller buchte ihn einmal jährlich zum Sommerfest der Firma, um dort peppige Mitarbeiterfotos für die Website zu schießen. Auf dem Fest stand er herum wie ein Fremdkörper und staunte über die vielfältigen Möglichkeiten, in einem Sommerkleid lächerlich jugendversessen auszusehen. Er fotografierte die anwesenden Damen gerne von hinten, aus dieser Perspektive konnte man die schrecklichen Auswüchse verschiedener BH-Trägervarianten am besten für die Ewigkeit dokumentieren. Durchsichtige Plastikträger von erlesener Scheindezenz, die sich dadurch selbst vernichtete, dass die Träger so offensichtlich schmerzhaft in die Haut schnitten und den Schweiß mit ihrer Saugunfähigkeit der Öffentlichkeit präsentierten wie farblose Hinterglasmalerei. Der Mann namens Klaus aß ein paar Würstel, blätterte lustlos durch die Designs der neuen Serviettenkollektion und lächelte nur, weil er dafür bezahlt wurde. Der Geschäftsführer des Konzerns war irgendwann dem Irrtum aufgesessen, mit ihm einen vielversprechenden Modefotografen unter Vertrag zu haben, und hielt daran mit großer Euphorie fest, indem er jedes Jahr stark angeheitert »Geschichten aus der Modewelt« hören wollte, die der Mann namens Klaus hervorragend abwechslungsreich erfand.
Dieses langsame berufliche Absterben war zwar schmerzlos, aber nichtsdestotrotz schade, denn er hatte gerne regelmäßig frische Bilder, Verletzlichkeit nutzte sich schnell ab, und so probierte er es eine Zeitlang auf eigene Initiative im Bereich der Amateurmodels, gab dies aber schnell wieder auf, da deren Resignation und Routine beim Posieren abstoßend auf ihn wirkten. Egal wie viele Anweisungen er gab, sie wurden problemlos umgesetzt und die Blicke an- und ausgeknipst im Gleichtakt mit dem Auslöser der Kamera. Nichts konnte er finden, gar nichts, auch wenn er noch so sehr in die Augen zoomte, zuhause am Computer.
Als er sich unter falschen Angaben im Elternforum registrierte, wusste er nicht genau, was er sich davon eigentlich versprach. Er folgte mehr einem Gefühl, denn ihm war warm geworden beim Durchlesen der öffentlich sichtbaren Beiträge über strapazierte Paarbeziehungen, übergriffige Schwiegermütter und Kinder, die partout nichts Besonderes sein wollten. Es war zwar nicht zu vergleichen mit den frischen Models, aber es gab bei jeder Jungmutter diesen Punkt, an dem ein Teil ihres früheren Ichs zerbrach, und für manche war das mit seelischen Schmerzen verbunden, die der Mann namens Klaus liebevoll herausfilterte und separat abspeicherte. Er hatte einen Ordner mit Beiträgen angelegt, die ihn in ihrer offensichtlichen Darstellung von Verletzlichkeit anzogen. Sie waren ganz unterschiedlich, stilistisch und thematisch weit gestreut, von derben Flüchen über die magersüchtige Schwägerin bis hin zum gutbürgerlich verzweifelten Festklammern am Grundrezept der einzig wahren Pasta asciutta, aber sie hatten alle gemein, dass er aus ihnen eine tiefe Verzweiflung und Unsicherheit erspüren konnte. Manchmal mischte er sich unter die Antwortenden, provozierte ein wenig und versuchte, die Verzweiflung zu steigern, was ihm fast immer misslang, da die Nutzerinnen dann sofort dichtmachten und die feinen unschuldigen Nuancen in wüsten Beschimpfungen untergingen.
Von tinkerbell hatte er tatsächlich schon einmal einen Beitrag abgespeichert. Das war drei Jahre her und er fand diesen Zufall so gelungen, dass sein Innerstes gleich noch ein Stück näher zu Karin rückte.
hallo zusammen, tut mir leid, dass ich mich so lange nicht mehr hier gemeldet habe. ich kämpfe zur zeit mit meinen gedanken und muss alles auf die reihe bekommen. am wochenende hat mir mein mann gebeichtet, dass er mich drei mal mit seiner arbeitskollegin betrogen hat. ich kenne die frau nicht. einmal auf einer firmenfeier, angeblich eine b’soffene g’schicht. dann ist er mit ihr fortgegangen, hat mir aber erzählt, dass er arbeitskollegen trifft. und das dritte mal ist er mit ihr auf urlaub in die steiermark gefahren, sogar über unseren hochzeitstag, den hatte er nämlich vergessen. mir hat er gesagt, dass er auf geschäftsreise muss. ich bin so traurig und wütend, diese lügen sind für mich am schlimmsten. unsere tochter ist dreizehn monate alt und eigentlich wollten wir demnächst anfangen, an einem geschwisterchen zu basteln. dieser mann hat mich so verletzt und ich liebe seine guten seiten noch immer. es ist, als hätte man mich vor einen lastwagen gestoßen, und jetzt liege ich da, habe es überlebt und weiß nicht, was genau alles verletzt ist, weil ich mich nichts zu bewegen trau vor lauter angst.
Das hatte also Karin geschrieben, die Karin, deren Sommersprossen er am liebsten zu Sternbildern verbinden würde. Der Mann namens Klaus war begeistert.