Читать книгу Ameisenmonarchie - Romina Pleschko - Страница 22

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ER HATTE MAGADALENA durchaus lange beobachtet, empirische Studien zu ihrem Gemütszustand angestellt, bevor er anfing, sie zu sedieren, da konnte sich Herb Senior nichts vorwerfen. Es fiel ihm nämlich schon nach wenigen Jahren zunehmend schwerer, ihre Malereien so überschwänglich zu kommentieren, wie sie es sich wünschte. Die Leidenschaft und Schonungslosigkeit, die jedem einzelnen ihrer zu Tode gedachten und zögerlich ausgeführten Pinselstriche fehlten, verlangte sie vehement von ihrem Ehemann. Magdalena fragte »Und wie findest du es?« in einem Tonfall von ausgesucht gefährlicher Belanglosigkeit, um sofort in einen lauernden Modus überzugehen, in dem sie jede Regung, jedes Fingerknacken, jedes nervöse Anspannen der Gesäßmuskulatur sofort registrierte und für die spätere Diskussion archivierte. Herb Senior bemühte sich, leise zu denken, überhaupt zu denken, wenn er auf die Leinwand starrte und nicht das geringste Gefühl zu dem dort Abgebildeten entwickeln konnte. Er wusste, er hatte ein Zeitfenster von höchstens dreißig Sekunden, um sich eine fundierte Expertise zurechtzulegen, die grell eingefärbt sein musste von einer noch nie dagewesenen Begeisterung, zumindest im Vergleich zur Vorgängerkritik.

Herb Senior hatte den Zenit seines natürlichen Vokabulars recht schnell überschritten gehabt, er sammelte deswegen heimlich Ausstellungskataloge und Bildbände berühmter Künstler in seiner Praxis, um kurz zwischen zwei Krebsabstrichen die enthusiastischsten Lobesworte mit gelbem Leuchtmarker hervorzuheben und auswendig zu lernen. In diesem Sammelsurium der Kunstkritik fand er ganz wunderbare Einzelstücke, Magdalena staunte nicht schlecht, wenn er der kühlen Harmonie der Farben eine universelle Sinnbildlichkeit zusprach oder beeindruckt von der stabilen unzweideutigen Komposition der Formen eine gewisse Simultanität der Seelenzustände im Kunstwerk entdecken konnte. Freilich musste Herb Senior aufpassen, dass er verbal nicht zu sehr abhob und Magdalena misstrauisch wurde, aber er dosierte seine Wortfunde mit Bedacht und mischte sie so unbemerkt unter die begleitende naive Begeisterung wie später die Beruhigungstabletten in die Fettaugen der Salami.

Einmal ausgesprochen entschied die Kritik ihrer Bilder über die Stimmungsausrichtung seines Privatlebens. Lag er daneben, berührte er einen der hochempfindlichen Schwachpunkte Magdalenas, etwa die leichte Schwäche im dreidimensionalen Raum, zog innerhalb der nächsten Stunden eine Stickigkeit in die Wohnung ein, der man mit nichts, auch nicht mit Dauerlüften beikommen konnte.

Die Kinder hatten diese Dynamik allein durch ihre Anwesenheit unterbunden, und deren täglich aufs Neue entzückenden Aufmachungen zu kommentieren fiel Herb Senior um vieles leichter, ja es kam sogar von Herzen, so dankbar war er den Kleinen nur für ihre Existenz. Auch als sie älter wurden und keine mütterliche Dauerpräsenz mehr einforderten, fand Magdalena nicht zurück zur Malerei und Herb Senior war sich irgendwann nicht mehr sicher, ob er froh darüber bleiben sollte. Sie entwickelte in diese Lebenszäsur hinein einen ästhetischen Perfektionismus, der seinesgleichen suchte, und lebte diesen rein im Häuslichen aus, was zur Folge hatte, dass die Kinder früh ganztägig ausblieben. Magdalena bestand darauf, dass Schuhbänder nur im Inneren der ausgezogenen Schuhe gelagert werden durften, überprüfte jeden Tag die Ordnung der Bücher im Bücherregal und entwickelte eine obsessive Beziehung zu Reinigungsmitteln aller Art. Dieser Perfektionismus steigerte sich zu einer Hysterie, die in Schüben auftrat und Herb Senior sofort unerträglich wurde. Magdalena neigte zu Kreischanfällen und Gewaltausbrüchen, was ihn insofern beunruhigte, da er die Schalldämmung in der Wohnung für höchstens durchschnittlich hielt und Angst vor externen Reaktionen und Peinlichkeiten hatte. Trotzdem brauchte er ein paar Jahre, bis er die zügig aufgekommene Idee, seine Frau ruhig zu stellen, in die Tat umsetzte. Herb Senior war kein impulsiver Mensch und davon ausgegangen, auch keinen ebensolchen geheiratet zu haben.


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