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1.1.1.2 Wording und Perspektive

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Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Vor einem Regierungsgebäude findet eine Explosion statt. Passanten werden verletzt, Sachschaden ist entstanden, nach den Tätern wird gefahndet. In den Nachrichtenagenturen formuliert man die ersten Berichte und Suchaufrufe. Das Wording für die Tat changiert zwischen »Explosion«, »Bombenanschlag« und »Terrorangriff« und für die möglichen Täter zwischen »Angreifern«, »Terroristen«, »Kriminellen« und »Aktivisten«. Je nachdem, welche Bezeichnungen sich in der Berichterstattung durchsetzen, beeinflusst ihre Perspektivgebung die Wahrnehmung des Sachverhalts, spricht dem Ereignis teils mehr, teils weniger Plausibilität oder gar Legitimität zu, verurteilt es verhalten oder scharf, legt bereits mögliche Motive nahe.

Das hier Beschriebene wäre schon ein mediendemokratischer Vorgang, wenn Medienmachende ihre Texte ganz allein formulieren würden. Oftmals jedoch berufen sich Agenturen und Medienhäuser auf die offiziellen Verlautbarungen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden oder das Innenministerium und übernehmen nicht selten deren Themen-Agenda und Wording und damit auch deren Perspektive. Beiden Aussendern von Botschaften – Nachrichtenagenturen und offiziellen Stellen – ist gemeinsam, dass sie für eine Vereinheitlichung und Perspektivarmut in der Berichterstattung sorgen, wenn einzelne Medien sie unkritisch übernehmen.

George Lakoff und der Sprachphilosoph Mark Johnson verweisen in ihrem Buch Metaphors We Live By (1980) genau auf das wirkmächtige Potential sprachlicher Zeichen: das unausgesprochene Mitmeinen von langen Prägungen und das damit einhergehende »Highlighting and Hiding« bestimmter Aspekte. Die beiden Autoren legen unter Verwendung eigenwilliger Begriffe – wie beispielsweise »Konzeptmetapher«8 – das Grundgerüst für das, was heute als »Framing-Forschung« einen Boom erlebt. Ohne die Begriffe »Frame« oder »Framing« zeigen sie auf, wie Zeichen und Sprachbilder Sachverhalte rahmen, ihnen eine Schablone überstülpen, sie ausleuchten, Aspekte hervorheben, andere verschleiern oder gar ausblenden.9

Das Begriffspaar »Geflüchtete« oder »Flüchtlinge« kann dies illustrieren. Je nach Wording erscheint die gleiche Gruppe von Menschen entweder etwas mehr als autonom oder als schutzbedürftig. Das inzwischen vielfach in der Berichterstattung verwendete Wort »Migrant« hingegen hat die Fähigkeit, Fluchtgründe auszublenden und betont lediglich die Bewegung von A nach B. Noch komplexer wird es, wenn Metaphern den Bezugsrahmen bilden. So erzeugen Begriffe wie »Flüchtlingswelle« oder »Flüchtlingsstrom« Vorstellungen von Wellen und Fluten. Durch die Aktivierung lang erlernter Wahrnehmungsrahmen und Schemata von bedrohlichen Naturgewalten in Form von Wassermassen wird unausgesprochen nahegelegt, etwas gegen die auf mich zukommende »Gefahr« zu tun.

Die Verwendung bestimmter Begriffe mitsamt ihren Frames ist also ein sehr aktiver Akt mit Aufforderungscharakter (sich »zu wehren« zum Beispiel) – auch, wenn man unüberlegt das Wording anderer übernimmt. Wichtig ist zu erkennen, dass man nicht nicht framen kann.10 Lakoff & Johnson betonen das Unbewusste dieser Vorgänge. Die Bewusstmachung derselben ist eines der Ziele dieses Buches.11

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