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1.1.2.5 Platzierungs- und Raumfragen

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Nimmt man die gesamten Medieninhalte in Deutschland in Augenschein, dann ergibt sich ein relativ vielfältiges Bild an Themen, Akteuren und Bewertungen.21 Nimmt man die Beiträge, die besonders aufmerksamkeitsrelevant platziert sind und eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, wahrgenommen zu werden, dann ergibt sich ein weniger vielfältiges, ja in großen Teilen ein recht stereotypes Bild.22 Diese Ergebnisse aus der quantitativen Medienforschung weisen auf einen weiteren Aspekt hin, der in die qualitative Analyse von Medienprodukten beziehungsweise Medienthemen mit einbezogen werden muss.

Was also wird besonders aufmerksamkeitsrelevant angeboten? Wo ist welche Information platziert? Auf der Titelseite oder im Innenteil der Zeitung oder des Magazins? In den Hauptsendungen der öffentlich-rechtlichen Kanäle und des privaten Rundfunks zur Prime Time oder auf Nischenprogrammen von 3sat oder ARTE um Mitternacht?23 Auf der Startseite einer Website, etwa in einem besonders hervorgehobenen Slider, oder unter diversen Reitern und Sublinks? Was schafft es in die kommentierenden »Themen der Woche« im Radio? Was in die Jahresrückblicke? Was auf Seite 1 von Google? Und wie verändert sich die Zumessung von Relevanz in Zeiten von Multimedia?

Wie beispielsweise hätte diese Selbstverbrennung eines Mannes in Japan gewirkt, wenn die Nachricht auf der Titelseite der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) platziert worden wäre – eventuell mit Bild – und nicht in einer Seitenspalte auf der fünften Seite? Hätte ein tibetischer Mönch größere Chancen gehabt, aufmerksamkeitsrelevanter platziert zu werden, als ein Japaner, der gegen die neue Militärdoktrin protestiert? Welchen Einfluss hatte der mediale Umgang mit der epochalen Entscheidung Japans im Jahre 2014 auf die internationale Wahrnehmung? Wurde die Dimension des Tabubruchs, sich nun erstmalig nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an Kriegshandlungen zu beteiligen, angemessen vermittelt? Aus der kurzen Meldung geht hervor, dass es bereits zuvor eine Verbrennung aus Protest gegeben hatte.


NZZ vom 14.11.2014

Aufmerksamkeitsrelevant ist aber auch, welche Information innerhalb eines Beitrags eher am Beginn oder ganz am Ende platziert ist – oder welcher Aspekt mehr oder weniger in der Mitte »versteckt« wird. Unsere Aufmerksamkeit ist tatsächlich immer am Anfang und am Ende besonders groß – egal, ob wir nur einen isolierten Satz betrachten oder einen ganzen Text, Film oder Radiobeitrag. Wir können an dieser Stelle festhalten, dass in der Medienanalyse neben der genauen Betrachtung von Initial- und Endfokus besonders das in der Mitte (versteckt) Platzierte betrachtet werden sollte – was natürlich erst dann interessant wird, wenn es sich um längere Beiträge handelt. So ist stets zu überprüfen, ob bei brisanten Themen, die vielleicht das eigene Establishment kritisieren oder gar in Frage stellen könnten, verstörende Informationen so präsentiert werden, dass ihre teils konterkarierenden Aussagen weniger ins Auge springen.

Die moderne Eye-Tracking-Forschung hilft dabei herauszufinden, wo der Blick zuerst hinfällt und was als Erstes die Aufmerksamkeit erhält. Liegt nur ein Satz vor, dann gilt die erste Aufmerksamkeit normalerweise dem Subjekt, wenn nicht etwa fettgedruckte Wörter diese auf sich ziehen. Tatsächlich ist es bei gelayouteten Medienprodukten erst einmal wichtig, den Initialfokus zu ermitteln, denn dieser bestimmt mit, was wir im Folgenden sehen – und gegebenenfalls dann auch, wie wir es sehen. Wie wir bereits aus den Betrachtungen weiter oben wissen, wirkt Vorgewusstes als Wahrnehmungsfilter. Genauso wirken Primes, die das gleiche Inferenzpotential ausschöpfen wie beim Framing oder Sinn-Induktionsvorgang. Es sind Erstreize, Schlüsselreize (siehe oben), die schon einen vorstrukturierenden Rahmen für die weitere Wahrnehmung schaffen. Entscheidet man sich nach dem Ersteindruck (in der Wahrnehmungsreihenfolge von »Bild vor Text«, »Farbig vor Schwarz-Weiß«, »Fettdruck vor normaler Typografie« und so weiter, siehe Kapitel 2) zum Lesen des ganzen Artikels, dann bestimmt nicht nur die weitere Wahrnehmungsreihenfolge das »Verstehen«, sondern auch mögliche Inferenzen aufgrund der Aktivierung bestehender Assoziationen und Schemata.

Auch die Beitragslänge spielt eine Rolle bei der Zuweisung von Bedeutung – nämlich durch das Vermitteln von Wichtigkeit: Je mehr Raum ein Beitrag einnimmt, für umso relevanter werden er und sein Thema für gewöhnlich eingeschätzt. Neben persönlichen Interessen tragen auch die genannten äußeren Marker dazu bei, welche Themen auf die Agenda kommen und als wichtig oder unwichtig eingeschätzt – sprich groß oder klein gemacht – werden. Wer Raum in Medien erhält oder nicht, ist darum auch immer wieder Diskussionsthema, etwa bei der Frage, ob der Fußball so viel Sendezeit erhalten soll, wer in Talkshows eingeladen wird oder ob Rechtsradikale Interviewzeit bekommen sollen.

Beim Auf- oder Abwerten durch Platzierung und Raum geht es also um zwei Komponenten: Platz(ierung) gleich Ort und Raum gleich Größe. Und wie wir ja schon anhand der Kollektivsymbolik von Jürgen Link und den Kategorisierungen von Lakoff & Johnsen gelernt haben, erfährt Groß eine höhere Bewertung als Klein.24

Platzierungs- und Raumfragen bilden Meta-Informationen, die in die Analyse einfließen müssen. Dazu gehören auch Hervorhebungen durch das Layout (siehe unten) und auch die journalistischen Darstellungsformen (siehe unten), denn auch diese weisen auf einer übergeordneten Ebene dem Veröffentlichten Bedeutung zu: Die Erwartungen an einen Bericht sind andere als an ein Editorial oder eine Glosse. Mehr dazu und auch zu den Implikaturen bei Verstoß gegen die Zuordnung erfahren wir im Analyseteil in Kapitel 2.

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