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7. Fragerecht
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Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung gem. § 240 II 1 iVm I StPO das Recht, Fragen an Zeugen und Sachverständige zu stellen. Dagegen ist die wechselseitige Befragung von Mitangeklagten nicht gestattet (§ 240 II 2 StPO).
Nach Art. 6 IIId EMRK hat jeder Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen. Dieses Konfrontations- und Fragerecht spielt in der Rechtsprechung des EGMR eine wichtige Rolle. Im Hinblick auf ein kontradiktorisches Verfahren muss der Beschuldigte die Belastungszeugen im Laufe des Verfahrens mindestens einmal konfrontieren können, um sie zu befragen oder durch seinen Verteidiger befragen zu lassen und gegebenenfalls die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel zu ziehen. Dies kann in der Hauptverhandlung oder auch bereits im Ermittlungsverfahren erfolgen[69]. Ist die Konfrontation in der Hauptverhandlung nicht möglich, so ist eine Beweisverwertung nur unter Beachtung enger Vorgaben zulässig. Nach der neueren Rspr. des EGMR im Fall Schatschaschwili/Deutschland[70] wird in drei Stufen geprüft, ob ein Strafverfahren trotz Verletzung des Konfrontationsrechts insgesamt noch als fair bewertet werden kann:
(1) Es muss einen triftigen Grund für die Abwesenheit bzw Geheimhaltung der Identität des Zeugen geben.
(2) Ferner muss bewertet werden, ob die Aussage die einzige oder entscheidende Grundlage der Beweisführung darstellt.
(3) Schließlich ist eine Gesamtbetrachtung der Fairness vorzunehmen, bei der entscheidend ist, ob es für die Unmöglichkeit der konfrontativen Befragung ausgleichende Faktoren gab.
Gegenüber früheren Prüfungsvorgaben des EGMR ist diese Dreistufenprüfung in der Form flexibilisiert, da die Gesamtfairness nicht mehr automatisch negiert wird, nur weil es für das Nichterscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung keinen triftigen Grund gibt oder die Verurteilung zentral auf der bemakelten Zeugenaussage aufbaut. Die drei Prüfungsstufen hängen vielmehr voneinander ab und bedingen und beeinflussen sich gegenseitig.
Zentral ist die Gesamtbetrachtung auf der dritten Prüfungsstufe. Je gewichtiger die Zeugenaussage für das Urteil, desto wichtiger ist, ob die Verletzung des Konfrontationsrechts des Angeklagten in der Hauptverhandlung im Verlauf des gesamten Erkenntnisverfahrens insgesamt ausgeglichen werden konnte. Der EGMR hat als Ausgleichsfaktoren Konfrontationsmöglichkeiten im Vorverfahren, Videoaufzeichnungen der früheren Vernehmung und eine vorsichtige Beweiswürdigung anerkannt. Darauf aufbauend lässt der BGH nunmehr generell eine vorsichtige Würdigung des nicht konfrontierten Zeugenbeweises ausreichen[71]. Nicht mehr aufrechterhalten wird die Beweiswürdigungslösung in ihrer früheren Ausprägung, wonach bei einem Verstoß gegen das Konfrontationsrecht die Zeugenaussage immer durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden musste, damit das Verfahren in seiner Gesamtheit als fair betrachtet werden konnte. Solch pauschale Beweisregeln widersprechen dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO, s. Rn 754). Verbleiben letztlich Zweifel, ist nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen[72] (s.a. Rn 15, 218, 426, 656).
§ 7 Der Beschuldigte, seine Vernehmung (Grundzüge) und seine Rechte und Pflichten › IV. Weitere Rechte des Beschuldigten › 8. Das „nemo-tenetur-Prinzip“