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d) Rechte und Pflichten

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§ 404 S. 1 AO weist als Befugnisnorm – korrespondierend zur Aufgabenzuweisungsnorm des § 208 AO – den Steuerfahndungsbeamten als Ermittlungspersonen gem. § 152 GVG im Steuerstrafverfahren dieselben Rechte und Pflichten zu wie den Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der StPO. Zu Recht wird daher die Steuerfahndung als „Steuerpolizei“ oder als „Kriminalpolizei in Steuersachen“ bezeichnet.[42] Soweit ein Sachverhalt zu ermitteln ist, der sowohl für die Besteuerung, als auch für die steuerstrafrechtliche/bußgeldrechtliche Würdigung Bedeutung besitzt, hat die Steuerfahndung, wie sich aus § 393 Abs. 1 S. 1 AO ergibt, die Rechte und Pflichten aus dem für die Durchführung der Besteuerung und den für das Straf- und Bußgeldverfahren maßgeblichen Vorschriften.[43] Die für das Besteuerungsverfahren maßgeblichen Ermittlungsvorschriften i.S.d. § 208 Abs. 1 S. 2 AO ergeben sich aus den Teilen 1–4 der AO.[44] Die Steuerfahndung ist nach § 208 Abs. 1 S. 3 AO darüber hinaus berechtigt

andere Personen als die Beteiligten entgegen § 93 Abs. 1 S. 3 AO sofort um Auskunft anzuhalten,
Auskunftsersuchen entgegen § 93 Abs. 2 S. 2 AO ohne Einschränkung mündlich zu stellen,
die Vorlage von Urkunden ohne vorherige Befragung des Vorlagepflichtigen entgegen § 97 Abs. 3 AO zu verlangen,
die Einsicht dieser Akten beim Vorlagepflichtigen unabhängig von dessen Einverständnis entgegen § 97 Abs. 3 AO zu erwirken,
bestimmte Mitwirkungsrechte des Steuerpflichtigen i.S.d. § 200 AO wie im Betriebsprüfungsverfahren einzufordern.

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Zur Erforschung von Straftaten hat die Steuerfahndung nach § 404 S. 1 AO

dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der StPO, z.B. für die Praxis der Steuerfahndungsstellen relevant, verdachtsunabhängige Recherche im Internet (§§ 161 ff. StPO, Ermittlungsgeneralklausel) das Recht des ersten Zugriffs (§ 163 Abs. 1 StPO), der vorläufigen Festnahme (§ 127 Abs. 2 StPO), der Vernehmung des Beschuldigten (§ 163 Abs. 3 StPO), der Anhörung von Zeugen (§ 163a Abs. 5 StPO), sowie der Durchführung von Durchsuchungen, Beschlagnahmen (§§ 94, 102, 103 StPO und Telekommunikationsüberwachungen),
die Anordnung einer Durchsuchung oder Beschlagnahme bei Gefahr im Verzug (§§ 105 Abs. 1, 98 Abs. 1 StPO),
und weitergehend als die Befugnisse der Polizei, die Befugnis zur Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen (§ 404 S. 2 AO, § 110 Abs. 1 StPO) ohne dass es einer Anordnung der Staatsanwaltschaft bedarf.[45] Bei der Erforschung von Ordnungswidrigkeiten ist § 410 AO zu beachten.

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Hinweis

Dieses originäre Durchsichtsrecht stellt ein wichtiges Sonderrecht der Steuerfahndung dar. In der Praxis ist die Durchsicht privater Unterlagen häufig Gegenstand von Auseinandersetzungen. Der Verteidiger hat darauf zu achten, dass die Unterlagen einen Bezug zu den vorgeworfenen Taten haben. Seine Grenzen findet das Recht im Kernbereich der Intimsphäre.

In der Praxis tauchen auch immer wieder Probleme bei Durchsuchungen nach § 103 StPO von Angehörigen der steuerberatenden Berufe auf.

Als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft hat der Steuerfahnder im Rahmen einer Durchsuchung das Recht, selbständig und ohne ausdrückliche Anordnung der Staatsanwaltschaft Unterlagen durchzusehen (§ 110 Abs. 1 StPO, § 404 S. 2 AO). Diese Durchsicht ist für die Entscheidung, ob es sich um ein beschlagnahmefähiges Beweismittel handelt, erforderlich.

Häufig entzündet sich die Auseinandersetzung vor Ort an grundsätzlichen Zweifeln des Beraters, ob der Fahnder überhaupt ein Recht zur Durchsicht seiner Handakte (§ 66 StBerG) hat. Das OLG Hamm stellt dazu fest, es sei gerichtsbekannt, dass Beweismittel in getarnten Akten verborgen sein können.[46] Der Durchsuchungsbeamte müsse daher die Möglichkeit haben, in Akten zu blättern, um sich zu vergewissern, dass sich in diesen kein Belastungsmaterial gegen den Beschuldigten des Strafverfahrens befindet.

Dieses Durchsichtsrecht erstreckt sich natürlich nicht nur auf Papier, sondern auch auf ein Notebook und die lokale EDV.

Immer wieder wird von Beraterseite verlangt, die Unterlagen zu versiegeln, diese dem Ermittlungsrichter vorzulegen, der dann über die Beschlagnahmefähigkeit entscheiden soll. Der Betroffene hat jedoch während der Durchsuchung keinen Anspruch auf Prüfung der Beschlagnahmefreiheit durch einen Richter, sondern die Durchsicht und Entscheidung über die Beschlagnahmefähigkeit ist Aufgabe der Durchsuchungsbeamten, die mit einem Beschluss des Ermittlungsrichters zur Durchsuchung und Beschlagnahme tätig werden.[47]

Eine Versiegelung kommt demnach nur für Beamte in Betracht, die anders als die Steuerfahnder nicht zur Durchsicht berechtigt sind.

Auch ist in der Phase der Durchsicht nach § 110 StPO der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG nicht tangiert.

Beschlagnahmeverbote müssen im anschließenden gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden.

Weitere praktische Probleme tauchen bei der Durchsicht digitaler Medien (PC, Mobiltelefon, Speichermedien, Cloud Computing etc.) auf. Aufgrund der Fülle der Daten ist häufig eine Sichtung des Datenbestandes während einer Durchsuchung kaum möglich. Hinzu kommt, dass möglicherweise eine spezielle Software benötigt wird, die Daten verschlüsselt sind oder gelöschte Daten wiederhergestellt werden müssen. Die Durchsicht der gem. § 110 StPO mitgenommenen Datenträger und die zum Lesen und Verarbeiten notwendigen Zentral-Computereinheiten ist Teil der Durchsuchung. Diese Befugnis gilt auch für räumlich getrennte Speichermedien (z.B. in einem Netzwerk; § 110 Abs. 3 StPO).[48] Die Sicherung der beweiserheblichen Daten auf Datenträgern der Steuerfahndung kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausreichen. Es handelt sich hierbei um ein Sicherstellungssurrogat. Dadurch erübrigt sich in der Regel die Beschlagnahme der Hardware. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass diese auf behördeneigenen Datenträgern gespeicherten Daten beschlagnahmefähig sind.[49]

Sichergestellte Datenträger bzw. deren Surrogat sind Beweismittel und als solche dem Gericht vorzulegen. Der Verteidiger hat insoweit kein Akteneinsichtsrecht, sondern lediglich das Recht, die Beweismittel zu besichtigen. Diese Besichtigung wird in der Regel durch die Aushändigung von Kopien der sichergestellten Daten erfolgen.

Mit den Neuregelungen des Telekommunikationsüberwachungsgesetzes[50] wurde § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO eingeführt, der einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung in der Regel auch dann vorsieht, wenn der Täter als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden hat, Umsatzsteuer oder Verbrauchsteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt. In besonders schweren Fällen beträgt die Strafandrohung Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

In diesen Fällen ergeben sich für die Steuerfahndung weitere Rechte:

Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ist u.a. möglich in den Fällen des § 100a Abs. 2 Nr. 2a StPO,
der Einsatz verdeckter Ermittler nach § 110a Abs. 1 Nr. 4 StPO (bandenmäßige Begehung),

Erkenntnisse, die das Finanzamt oder die Staatsanwaltschaft im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen rechtmäßig gewonnen hat, dürfen im Besteuerungsverfahren verwendet werden. Darunter fallen auch Erkenntnisse, die dem Post- Brief- und Fernmeldegeheimnis unterliegen (§ 393 Abs. 3 AO). § 477 Abs. 2 S. 2 StPO begrenzt die Verwertung von Erkenntnissen aus nicht steuerlichen Ermittlungsmaßnahmen auf die Fälle einer bandenmäßig begangenen Umsatzsteuer- oder Verbrauchsteuerhinterziehung (sog. hypothetischer Ersatzeingriff).[51] In anderen Fällen können die Erkenntnisse lediglich als Spurenansatz dienen.

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Führt die Steuerfahndung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde Außenprüfungen durch oder nimmt Ermittlungen im Besteuerungs- und Vollstreckungsverfahren vor, so gelten ausschließlich die für das betreffende Verfahren maßgebenden Vorschriften des 1.–5. Teils der AO, nicht aber § 208 Abs. 1 S. 2 und 3 AO. Wird eine Außenprüfung durchgeführt, gelten insbesondere die Vorschriften der §§ 193–207 AO sowie die BpO 2000; namentlich bedarf es vor Beginn der Prüfung einer Prüfungsanordnung (§ 196 AO) und ihrer Bekanntgabe (§ 197 AO).

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Darüber hinaus haben die Dienststellen der Steuerfahndung und ihre Beamten im Rahmen ihrer Aufgaben und ihrer Zuständigkeit Ersuchen, Aufträgen und Anordnungen der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten (§ 404 AO, § 161 Abs. 1 S. 2 StPO; § 152 GVG). Umstritten ist der Umfang der Weisungsbefugnis der Staatsanwaltschaft gegenüber der Steuer- und Zollfahndung bei nichtsteuerlichen Straftaten.[52] Während nach Auffassung der Justizbehörden sich die Weisungsbefugnis der Staatsanwaltschaft auch auf die Ermittlung von Nichtsteuerstraftaten durch die Steuerfahndung erstreckt,[53] vertreten die Finanzbehörden den Standpunkt, die Steuerfahndung könne nur mit der Aufklärung rein steuerlicher Delikte beauftragt werden.[54]

Teil 1 Allgemeine GrundfragenV. Zuständigkeiten von Ermittlungsbehörden und Gerichten › 3. Straf- und Bußgeldsachenstelle

Verteidigung in Steuerstrafsachen

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