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a) Evokationsrecht

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Die starke Stellung der Staatsanwaltschaft auch im Steuerstrafverfahren zeigt sich im Evokationsrecht. Nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO kann die Staatsanwaltschaft jederzeit, d.h. bis zum endgültigen Abschluss des Ermittlungsverfahrens eine Steuerstrafsache an sich ziehen, um sich das Ermittlungs- und Anklagemonopol zu sichern. Auf den Stand der Ermittlungen kommt es hierbei nicht an.[72] Die Staatsanwaltschaft kann das Evokationsrecht natürlich nur dann ausüben, wenn sie von der Strafsache Kenntnis erlangt. In der Regel unterrichtet die Finanzbehörde die Staatsanwaltschaft in Fällen von besonderer Bedeutung. Kriterien hierbei sind das Gewicht der Straftat, die Persönlichkeit des Beschuldigten und seine Stellung im öffentlichen Leben oder der Sachzusammenhang mit anderen Verfahren. In den meisten Bundesländern finden regelmäßig Kontaktgespräche zwischen der Finanzbehörde und der Staatsanwaltschaft statt, in denen die Finanzverwaltung über Fälle von besonderer Bedeutung informiert.[73] Zwischen den Justizbehörden und der Finanzverwaltung existiert zumeist eine Vereinbarung, wonach die Finanzbehörden Strafsachen wegen Steuerverkürzungen „von etwa …“ (regional unterschiedlich) an die Staatsanwaltschaft abgeben sollen. Für Normalfälle kann von Verkürzungsbeträgen im Bereich von 200.000–300.000 € ausgegangen werden.[74] Grundsätzlich kann die Staatsanwaltschaft der Finanzbehörde durch Evokation jede Steuerstrafsache entziehen. Da die Staatsanwaltschaft der Finanzbehörde nicht übergeordnet ist und ihr gegenüber keine Aufsichtsbefugnisse hat, wird sie das Verfahren nur dann an sich ziehen, wenn Gründe in der Sache es zwingend verlangen oder den Zuständigkeitswechsel wenigstens zweckdienlich erscheinen lassen. Die Finanzbehörde ist jedoch verpflichtet, alle Fälle, in denen eine Evokation denkbar ist, der Staatsanwaltschaft anzudienen.[75] Dies gilt auch für Fragen der Wirksamkeit von Selbstanzeigen.[76]

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Eine besondere Form ist für die Evokation nicht vorgeschrieben. Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung ist zwar zweckmäßig, aber nicht erforderlich. Die Staatsanwaltschaft kann ihre Zuständigkeit nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO auch konkludent begründen.[77] Mit dem Zugang der Erklärung der Staatsanwaltschaft, dass sie die Strafsache an sich zieht, verliert die Finanzbehörde die Befugnis zur selbstständigen Weiterführung der Ermittlungen. Unberührt bleiben ihre Rechte aus §§ 402 Abs. 1, 403 AO. Strittig ist, ob die Finanzbehörde bei der Abgabe einer Strafsache nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO eine „Tat, die keine Steuerstraftat ist“ offenbaren darf. Abgabe und Evokation sind zwar durch Gesetz zugelassen, doch genügt dies nicht, um die in § 386 AO nicht ausdrücklich, wie § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO verlangt, zugelassene Offenbarung zu legitimieren. Das öffentliche Interesse wird nur im Einzelfall die Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten gem. § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO erzwingen.[78] Doch lässt § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO die Offenlegung zu, wenn die Finanzbehörde Steuerstrafsachen an die Staatsanwaltschaft abgibt oder diese das Verfahren übernimmt.[79]

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§ 386 Abs. 4 lässt weder expressis verbis noch in anderer schlüssiger Weise die Durchbrechung des Steuergeheimnisses für Nichtsteuerstraftaten zu, denn § 386 AO betrifft Steuerstrafsachen. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO ist die Offenbarung einschlägiger Kenntnisse insoweit zulässig als sie durch Gesetz zugelassen ist. Der bloße Rückschluss aus einer gesetzlichen Regelung, dass sie stillschweigend die Durchbrechung des Steuergeheimnisses gestatte, ist durch diesen Wortlaut versperrt.[80] Gleiches gilt, falls die Steuerstraftat mit dem Nichtsteuerdelikt eine prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO bildet. Soweit nichtsteuerliche Straftaten durch dieselbe Handlung wie Steuerstraftaten begangen wurden, lässt § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO die Offenbarung zu.[81] Besteht indes der Verdacht, dass neben der Steuerstraftat andere Straftaten in Tatmehrheit nach § 53 StGB begangen wurden, so kann eine Mitteilung nur nach § 30 Abs. 4 und 5 AO erfolgen.[82] Wie die Abgabe der Finanzbehörde an die Staatsanwaltschaft, ist die Evokation durch die Staatsanwaltschaft der Anfechtung durch den Beschuldigten nicht zugänglich.

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