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„Es hat den Tod als Tod weder vor sich noch hinter sich“

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Tiere sterben. Aber erst seit Kurzem, könnte man meinen: Es ist noch nicht lange her, dass die deutsche Sprachkonvention diesen Ausdruck fein säuberlich vermied. Tiere konnten zwar verenden oder vergehen – das Sterben hingegen war zumindest dem Begriff nach dem Menschen vorbehalten. Schon häufiger habe ich mich gefragt, ob diese linguistische Version des eschatologischen Vorbehalts möglicherweise tatsächlich dafür Sorge trug, dass dem einen oder anderen das Sterben leichter fiel – wenn der Tod nahte, eine letzte Unruhe über den Menschen kam, aber zumindest dies eine als Hoffnung blieb: Ich bin kein Tier. Dass der Mensch stirbt, das Tier aber verendet, heißt ja schließlich: Der Tod bedeutet beiden etwas grundsätzlich anderes. Das Sein der Tiere ver-endet an der Todesgrenze, hinter ihm schließt sich für immer eine Tür. Menschen sterben – man höre nur dem Rhythmus der beiden Wortsilben nach: Ein anfängliches Stolpern, ein kurzes Innehalten ist ihnen der Tod – st…! – aber es folgt dann doch noch etwas, und die Tür fällt niemals so ganz ins Schloss, weil der Mensch immer noch einen Fuß dazwischen bekommt. Unsere Sprache hat lange keinen Zweifel daran gelassen, dass Menschen und Tiere ein Abgrund trennt. Tiere werden geworfen, sie fressen, vegetieren vor sich hin, werden erlegt oder verenden schließlich.

Arthur Schopenhauer hat als einer der ersten kritisch auf diese theriophobe, also tierfeindliche Färbung unserer Sprache hingewiesen, das war vor knapp 200 Jahren.1 Und in der Tat gibt es gute Gründe, eine derartige Sprachnorm zu kritisieren, die sich in immer neueren Variationen bis heute durchhält. Eine solche Kritik hat es allerdings auch mit mächtigen, bis heute wirksamen Gegenstimmen zu tun: Der deutsche Philosoph Martin Heidegger etwa hat mit Vehemenz jenen fundamentalen Unterschied zwischen Tieren und Menschen stark machen wollen – und dies gerade an den vermeintlich unterschiedlichen Arten ihres Sterbens festgemacht:

„Die Sterblichen sind die Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie sterben können. Sterben heißt: den Tod als Tod vermögen. Nur der Mensch stirbt. Das Tier verendet. Es hat den Tod als Tod weder vor sich noch hinter sich.“2

Mit diesen Worten bringt Heidegger den aus seiner Sicht entscheidenden Unterschied zwischen Tieren und Menschen auf den Punkt: Während der Tod des Menschen metaphysische Qualität besitze, sei der Tod der Tiere bedeutungslos. In seinen knappen, apodiktischen Sätzen scheint er diesen Unterschied mehr zu behaupten denn argumentativ zu belegen. Gefährlich ist seine Sichtweise dennoch: Wer wie Heidegger vom Verenden der Tiere spricht, ihrem Sterben also lediglich eine chronologische Bedeutung, aber keine darüber hinausreichende existentielle oder gar metaphysische Relevanz zuerkennen will, verwehrt ihnen letztlich ihren Tod. Darin dürfte eine besonders perfide Strategie liegen, das Leben der Tiere zu diskreditieren – jener Tiere, die einerseits immer noch Sinnbild einer menschengemachten Vernichtung sind, und denen andererseits auch im Gefolge einer Sprachnorm á la Heidegger nicht zugestanden wird, wirklich zu sterben. Die Moderne wird sich daher zu Recht die Frage gefallen lassen müssen, ob sie überhaupt noch in der Lage ist, den massenhaften und industriellen Tod der Tiere zu glauben, ihn wirklich als jenes Grauen anzuerkennen, das er ist.

Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?

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