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Die Litanei von der insektenfreien Windschutzscheibe

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Aus dieser Perspektive heraus fällt zugleich auf, dass die heute üblichen Klagen gerade dieses Moment der Verbundenheit außen vor lassen: Zwar kommt heute kaum ein Gärtner ohne den materialgewordenen Entschuldigungsgestus eines „Insektenhotels“ aus – ein letztes, beschauliches (und meist vollkommen fehlkonstruiertes) Refugium für jene Wildtiere, deren Namen wir längst vergessen haben, bildet nicht selten einen Ausdruck für die dem Menschen offenbar eigene Synthese aus Tatendrang und Hilflosigkeit. Und welche Großstädterin weiß heute nicht die „Litanei von der insektenfreien Windschutzscheibe“ zu rezitieren? Heute, so besagt diese omnipräsente Klage, kleben kaum noch tote Insekten an den Windschutzscheiben der Autos, mit denen wir zuvor unseren kilometerweiten Weg zur Arbeit und zurück hinter uns gebracht haben. Diese Klage übersieht einerseits nur allzu oft, dass sie mit dem beklagten Symptom auch zumindest eine Ursache für selbiges andeutet; andererseits liefert sie mit der „Windschutzscheibe“ eine grundehrliche Metapher, die Auskunft über das vorherrschende Verhältnis zwischen uns und den anderen Tieren gibt: Wir stehen ihnen demnach wie von einer gläsernen Scheibe getrennt gegenüber; von Verbundenheit kann hier keine Rede sein, obwohl die Metapher genau dies ja zugleich als einen Mangel beklagt. Wogegen richten sich also Versuche wie diese? Was genau fehlt, wenn uns die Tiere fehlen? Die „Litanei von der insektenfreien Windschutzscheibe“ scheint jedenfalls darauf hinzudeuten, dass dieses Fehlen bereits real und greifbar geworden ist, und uns aber zugleich auch – fatalerweise – jene Mittel abhandengekommen sind, mit denen wir dieses Fehlen angemessen beschreiben können.

Aus diesem Grund ist es ein zentrales Anliegen dieses Buches, das „Fehlen“ der Tiere so zur Sprache zu bringen, dass es sich von den vorherrschenden Problembeschreibungen abhebt: Weder geht es hier um eine rein ökologische Betrachtung, die das Aussterben von Arten in das große Kalkül der Ökologie einbeziehen muss und als einen gesamtökologisch fatalen Schwund an Biodiversität deutet; noch geht es um eine letztlich ökonomisch gefärbte Variante dieses ökologischen Paradigmas, die vor einer Krise versiegender tierlicher Rohstoffe warnt. Ziel des Buches ist es vielmehr, die Angst vor einem Verlust der Tiere – als Individuen, als Arten, als den ganz Anderen und den ganz Vertrauten – in ihrer existentiellen Bedeutung zu erfassen.

Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?

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