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In das Leben hineinsterben

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Sterben bedeutet, das Andere zu werden: Das Seiende wird Nichtseiendes, die materiellen Körper sowohl der Menschen als auch der Tiere und Pflanzen zersetzen sich zu Humus, der neuem Leben den Weg ebnet. Das, was wir über den Stoffwechsel bereits im Leben und als selbstverständlichen Teil des Lebens kennen, radikalisiert sich im Tod: Wir wechseln den Stoff. Der lebende Körper ist material niemals vollkommen identisch, mit jedem Austauschprozess des Stoffwechsels wird er etwas anderes. Im Tod kommt dieser Prozess in gewisser Hinsicht zu seiner Vollendung.

Daher kann es auch eine Solidarität aller Wesen geben, die von dieser Kontinuität des Lebendigen zehrt. Der Andere, sei es Mensch oder Tier, ist als anderer eben nicht notwendig ein Feind und zu bekämpfender Gegner. Wir können dem anderen helfen und zugleich uns selbst, wir können das Fremde werden und uns erst so selbst gewinnen. Es gibt den Tod, aber man muss wohl nicht notwendig so vor ihm zurückschrecken, wie Kurtz es tut – erst eine übergeneralisierte Angst vor dem Tod lässt uns böse werden, wenn sie zudem in einer paradoxen, weil niemals vollständig erfolgreichen Absicherung vor dem eigenen Sterben besteht.

Eine solche Angst vor dem Tod führt, darin ist dem Philosophen Peter Strasser unbedingt zuzustimmen, zu einem toten, zombiehaften Leben. Strasser schlägt eine Perspektive auf den Tod vor, die ihn in seiner existentiellen Tragweite ernstnimmt, aber darin nicht überhöht. Es geht darum, so Strasser, dem Tod einen Platz zuzuweisen. „Er ist da. Wir sehen ihn gleichsam am Rande, als oceanos (Ozean), […] gewirkt aus Stoff, darin eingemischt Seelenhaftes.“30 Darin liegt eine Alternative zu jenem Schrecken, den Kurtz in der Natur erkennt: Er sieht nur den Tod, überall lauert das Nichts. Strassers Vorschlag wirkt dagegen heilsam, denn er relativiert, ohne dabei das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren – ein Charlie-Brown-Comic fällt mir immer dazu ein: Eines Tages werden wir sterben – aber an allen anderen Tagen nicht. Aber in Strassers Beobachtung liegt noch mehr: Er wählt wohl nicht ohne Grund eine Stoff-Metapher, um den Tod zu charakterisieren. Der Stoff ist ein Gewebe, ein Netz, etwas Verbindendes, hier sogar etwas, dem „Seelenhaftes eingemischt“ ist. Wenn wir Conrads Figur des Kurtz dazu befragen könnten, würde er dieser Todesdeutung wohl kaum zustimmen. Ihm ist der Tod nichts außer bloßer Finsternis; ihm ist nichts beigemischt, er bleibt das vollkommen Verbindungslose. Strasser – und ebenso Scheffler – schlagen eine andere Sicht vor: Selbst im Tod das Seelenhafte, das Lebendige erkennen zu können, verweist uns auf die anderen Wesen. Die Gravität des Todes hebt Strasser dennoch hervor:

„Gewiss, wir kommen zu allen Zeiten aus dem Dunkel, das Licht unseres Bewusstseins lässt nur einen Augenblick lang die bunte Welt des Sinnenscheins erstehen, und dann, am Ende, gehen wir wieder ins Dunkel zurück. Doch dieses Dunkel, dieser ewige Schlaf – oder Halbschlaf – im archaischen Kosmos ist kein Tod in unserem modernen, ganz und gar trostlosen Sinne: kein bloßer Rückgang ins lieblos Anorganische. Es ist vielmehr ein beseeltes Dunkel, und mehr können wir darüber nicht sagen. Aber obwohl wir darüber nicht mehr sagen können, haben wir das Gefühl, wir könnten uns getrost, und deshalb getröstet – unserem Schicksal überlassen: Es gibt eine Kontinuität des Lebendigen, die uns trägt. Wir sind auch im Tod als Seelenwesen bei uns selbst, das eben ist die Gnade eines Seins, das durch und durch seelenhaft ist. […] Denn aus allem, was wir über den Menschen, seine Natur und sein Bewusstsein wissen, folgt eine und nur eine Konsequenz: Niemand kann als der, der er ist – sozusagen als der je Seinige –, den Tod überleben. […] Es geht eher darum, sich auf eine Praxis der Lebendigkeit zu besinnen, mit dem Ziel, die Welt, die wir bewohnen, als einen Ort nicht grundlegender Einsamkeit des Subjekts, sondern seiner Geheimhaltung zu kultivieren.“31

Wer stirbt, stirbt in die Welt hinein, nicht aus ihr heraus, so Strasser.32 Wir werden in einem gewissen Sinne durch den Tod zu jenem anderen, das wir zu Lebzeiten vielleicht aufs Schlimmste bekämpft, verachtet oder verleugnet haben.

Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?

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