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Jenseits der Sprache

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Der abgebrochene Satz bezeugt, dass diese Einsicht selbst für den jungen Darwin kaum fasslich schien. Keine Worte erklären hier das Gemeinte, lediglich ein Bild, eine kleine Strichzeichnung. Unser gewohntes Wahrheitsmedium, die Sprache mit ihrer eigenen menschlichen Logik, versagt hier zunächst – Darwin muss allem Anschein nach das Ausdrucksmedium wechseln, um sich – zunächst wohl auch sich selbst gegenüber – noch irgendwie verständlich machen zu können. Seine Sprache weicht dem bildhaften Eindruck von der Nähe und Verwandtschaft aller lebendigen Wesen. Und Darwins Erschrecken, das sich im Abbruch des gerade begonnenen Satzes ausdrückt, ist möglicherweise auch das Erschrecken eines Theologen: Bevor Darwin sich auf seine biologische Laufbahn eingelassen hat, studierte er einige Zeit auch Theologie in Cambridge. Und obwohl er rasch mit der Theologie brach, mag man darüber spekulieren, ob sein Staunen, das sich in der Skizze von 1837 ausdrückt, nicht auch theologische Wurzeln hat.

Wer heute – mehr als 180 Jahre nach Darwins Notizbucheintrag – nach dem Verhältnis des Menschen zu den anderen Tieren fragt und auf dieses Netz der vielfältigen Verwandtschaften blickt, erfährt das Artensterben, den Verlust der Lebensräume von Tieren, ihr leises und oft nahezu unmerkliches Sterben, als einen familiären Verlust, zumindest als eine eigentümliche Erschütterung, für die uns heute die Worte ebenso fehlen, wie sie Darwin 1837 bereits zu fehlen schienen. Was genau also drückt sich aus in unseren Klagen über das Sterben und Aussterben jener unzähligen Tiere und Tierarten? Seit es die Menschen gibt, haben sie sich stets in einer Umgebung wiedergefunden, die von anderen Tieren bevölkert war. Die Hand, die wir heute über den Kopf eines Hundes gleiten lassen, wiederholt wohl eine der ältesten Erfahrungen des Menschen. Lange bevor es den Menschen als solchen gab, gab es immer schon andere Tierspezies.

Seit dem sich in den letzten Jahren ein Bewusstsein dafür durchgesetzt hat, dass mit der ökologischen Katastrophe die Möglichkeit der völligen und unwiederbringlichen Vernichtung vieler tausender Tierarten in greifbare Nähe rückt und vielfach bereits eingetreten ist, fragen viele Menschen danach, wie unser Umgang mit Tieren sein soll. Was bedeutet uns das Aussterben einer Art? Warum schmerzt es uns so sehr, jede Minute einen neuen, unwiederbringlichen Verlust beklagen zu müssen?

Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?

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