Читать книгу Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen? - Simone Horstmann - Страница 19
Der tote Himmel der Menschen
ОглавлениеWenn Letzteres wirklich zuträfe, hätte Tanja Blixen wohl recht: Die zu Tode gejagten Tiere bekämen dann nur das, was sie verdienten, und die Frage, die sie stellt, liegt vielleicht nahe: „… warum hatte er auch nichts aus ihrem Schicksal gelernt?“ Fixiert auf diesen Vorwurf des selbstverschuldeten Todes überliest man schnell, welche paradoxe Doppelbödigkeit hier formuliert wird: Denn aus dem Schicksal, wenn man denn daran glauben mag, gibt es rein gar nichts zu lernen. Es ist zu akzeptieren oder womöglich zu exekutieren, aber es widersteht – eben weil es Schicksal ist – jeglichen Bestrebungen des Menschen oder auch der Tiere, es zu verändern. So ist es dann eigentlich auch recht praktisch: Was die Tiere beschuldigt, entschuldigt zugleich den Menschen. J. M. Coetzees bedrückender Kurzroman „Das Leben der Tiere“ (1999) unterstellt wohl zu Recht, dass eine solche Haltung vielen Menschen eigen sein dürfte. Der Sohn der Protagonistin Elisabeth Costello, einer leidenschaftlichen Tierphilosophin, gibt dies unumwunden zu:
„Das ist die brutale Wahrheit, dass die Tiere in gewissem Sinne verdienen, was sie bekommen. Warum willst du deine Zeit verschwenden und ihnen zu helfen versuchen, wenn sie sich nicht selbst helfen? Überlass’ sie einfach ihrem Schicksal. Wenn man mich fragen würde, was die allgemeine Haltung gegenüber den Tieren ist, die wir essen, würde ich sagen: Verachtung. Wir behandeln sie schlecht, weil wir sie verachten; wir verachten sie, weil sie sich nicht wehren.“19
Es lohnt bei aller Abscheu vor diesem Argument dennoch, der Fährte zu folgen, die die Rede von der Schuld der Tiere legt. Wer den Tieren die Schuld an ihrem Schicksal zuschreibt und dieses Schicksal mit ihrem Tod in Verbindung bringt, greift einerseits auf ein theologisches Argument zurück und hebt sich dem Augenschein nach andererseits auch von diesem Argument ab. Denn eine Schuld hat die Theologie den Tieren gerade nicht zuschreiben wollen – sie haben, so kann man die klassisch-traditionelle Lehre zusammenfassen, keinerlei Schuld, weil sie frei von Sünde sind. Es steht außer Frage, dass eine solche Auffassung nur unter weitestgehender Ausblendung von wichtigen biblischen Beobachtungen möglich ist: Wenn die Tiere nicht unter den Folgen des sog. Sündenfalls litten, gäbe es etwa auch für Paulus strenggenommen keinen Anlass, im Römerbrief vom Leiden der gesamten Schöpfung zu sprechen (Röm 8). Es ist gar nicht abwegig, dass viele theologieferne Zeitgenossen heute dieser Deutung der sündlosen Tiere durchaus Sympathie entgegenbringen. Wir sind es schließlich gewohnt, die Tiere moralisch und juridisch ent-schuldigt zu wissen: Ebenso wenig, wie sie bei uns moralische oder rechtliche Pflichten besitzen, verfügen sie über (tatsächlich schützende) Rechte. Ihre Sündlosigkeit bedeutet jedoch mehr als bloße Schuldunfähigkeit, und dies ist wohl das schwerste Erbe unseres auch theologisch imprägnierten Tierwissens: Ihre Sündlosigkeit hat zumindest in der lehramtlichen Deutung der Tiere die unmittelbare denkerische Konsequenz, dass sie der Erlösung nicht bedürfen. Mit anderen Worten: Wir stehen in einer Tradition, in der die Tiere mit Blick auf die wirkliche Wirklichkeit – denn die ist schließlich gemeint, wenn die Theologie von der Erlösung spricht – nichts zu verlieren und ebenso wenig zu gewinnen haben. Ihr Wesen macht sie unempfänglich für die Verheißung, sie sind für diese schlichtweg irrelevant. Ganz auf dieser Linie stehen dann auch die Traditionsentwürfe, die ein manchmal vages, manchmal recht konkretes Bild der erlösten Wirklichkeit zeichnen, die selbst noch in säkularen Kontexten mit dem Begriff des Himmels umschrieben wird. Dieser Himmel ist bevölkert einzig von den erlösten Menschen, die der seligmachenden Gottesschau frönen. Alles weitere Lebendige, also auch die Tiere, sind hier nicht zugegen. Es entbehrt nicht einer unfreiwillig amüsanten Logik, dass noch der große Kirchenvater des Mittelalters, Thomas von Aquin, neben den Menschen einzig den Elementen einen Ewigkeitswert zugestehen wollte20: Ein Himmel voller Menschenseelen sowie den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft. Dass heute niemand mehr so recht an den Himmel zu glauben vermag, liegt sicher auch an dieser sterilen, beinahe toten und ganz sicher totlangweiligen Vollendungsszenerie.