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Die Ahnung einer urtümlichen Nähe

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Die Verästelungen in seiner Skizze verlaufen sich hin zu vorläufigen Endpunkten, die Darwin mit Buchstaben markiert hat: Sie dürften konkrete Spezies bezeichnen, mit denen er sich zu dieser Zeit beschäftigte. Darwin selbst war offensichtlich klar, dass eine derartige Beschreibung des Lebens und des Zusammenhangs verschiedener Arten einen Paradigmenwechsel gegenüber dem bisherigen Denken der Biologie bedeutete – und durchaus einem regelrechten Schock für die überkommene Biologie gleichkam. Er beschreibt die Entwicklung des Lebens nicht mehr linear und zielgerichtet, d. h. nicht mehr teleologisch in dem Sinne, dass die – von nun an nur noch vorläufigen – Endpunkte der Verästelungen Spezies beschreiben, auf die hin der vorherige Verlauf der Entwicklung zwangsläufig angelegt wäre, so wie man zuvor insbesondere vom Menschen als einer unveränderlichen, immer schon gottgewollten und daher auch unveränderlichen Spezies gedacht hatte. Darwins Verständnis der Evolution des Lebens stellt uns den Ausschnitt eines riesigen Netzes vor Augen, das die unterschiedlichen Arten miteinander verbindet und in dem keine Spezies in grundlegender, essentieller Art und Weise von den anderen getrennt ist.

Neben dem ‚Baum des Lebens‘, der in dieser knappen Skizze der später umfassend ausgearbeiteten Evolutionstheorie vorausgreift, ist aber eine weitere Eigenheit dieser Notizbuchseite bemerkenswert. Und anders als die Skizze vom ‚Baum des Lebens‘ übersieht man diese Eigenheit womöglich – zumindest hat selbst die Wissenschaftsgeschichte ihr bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Denn Darwin leitet seine Notiz zunächst ganz unauffällig mit den Worten „I think“ – „Ich denke“ ein; unmittelbar danach jedoch bricht sein Nachdenken scheinbar unvermittelt ab. Der Satz endet, noch bevor er wirklich begonnen hat, weil das, was dann folgt, derart unerhört und neu ist: Es gibt im Reich des Lebendigen keine substantiellen Unterschiede zwischen den einzelnen Wesen. Sie unterscheiden sich, aber lediglich graduell. Das Leben, das sie miteinander teilen, gleicht jenem verzweigten Netz, das Darwin 1837 zeichnet.

Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?

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