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„Warum hatte er auch nichts aus ihrem Schicksal gelernt?“

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Viele menschliche Praktiken im Umgang mit Tieren zehren von der abgründigen Erfahrung einer sinnwidrigen Natur, auch wenn dies nicht immer offensichtlich zu Tage tritt. Wie für Kurtz könnte auch für viele heutige Menschen gelten, dass sie, wie Anton Fürlinger es formuliert, immer noch „wild at heart“ sind; und er ergänzt einschränkend: „But because we were so often on the menu we are not so perfect hunters and killers.“14 Aber stimmt das wirklich? Gerade weil wir keine Gejagten mehr sind, so könnte man dagegen einwenden, verstehen wir uns doch offenbar umso besser auf das Töten von Tieren. Sind wir mit anderen Worten etwa erst durch die vermeintliche Flucht aus der Natur in die Kultur zu jenen Killertieren geworden, die heute so selbstverständlich töten? So ist etwa die Jagd auf die Tiere ein nur schwer zu ertragendes Kapitel der Menschheitsgeschichte, selbst dort, wo sie von solch begnadeten Erzählerinnen wie einer Karen bzw. Tanja Blixen vorgetragen wird. In ihrem Epos „Jenseits von Afrika“ (1937) gehört das Töten von Tieren, ihr nahezu beiläufiges Sterben, zum Alltag. Einmal schildert sie, wie sie zusammen mit einem Freund zunächst eine Löwin, dann einen Löwen erschießt, die zuvor eine Giraffe getötet hatten:

„Der Löwe blieb reglos stehen, während ich aus dem Wagen stieg und ein paar Schritte auf ihn zuging. Ich drückte ab, und mir schien, als würde er senkrecht in die Höhe springen und danach mit geschlossenen Beinen auf dem Boden landen. Ich stand im Gras, mit der Flinte in der Hand, und holte tief Atem, durchglüht von jenem Gefühl der Macht, das einem Schutz verleiht, weil man auf weite Entfernung eine große Wirkung erreicht. […] Die Giraffe wirkte ungeheuer groß und streng, mit ihren vier riesigen steifen Beinen, dem steifen ausgestreckten Hals und dem von den Löwen aufgerissenen Bauch. Die Löwin lag auf dem Rücken, mit einem breiten, hochmütigen und triumphierenden Grinsen im Gesicht, sie war ganz offensichtlich die Femme fatal der Tragödie. Der Löwe lag nicht weit von ihr entfernt, und warum hatte er auch nichts aus ihrem Schicksal gelernt? Sein Kopf ruhte auf den beiden schweren Vorderpfoten, die gewaltige dunkle Mähne war wie ein Königsmantel über ihn ausgebreitet, und jetzt war es so hell geworden, dass der Grasfleck, auf dem er lag, dunkelrot glänzte.“15

Der Blick der toten Tiere offenbart hier auch etwas über den Blick der Menschen: Das tote Tier ist die ultimative Selbstvergewisserung der eigenen, zudem als machtvoll erfahrenen Lebendigkeit. Ich bin kein Tier – das heißt eben auch: Ich bin – kein Tier ist. Kein Tier kann sein, wenn ich sein soll. Es ist nicht die Tragödie der Tiere, von der Blixen hier spricht, sondern die Urtragödie des Menschen selbst, dem das Fremde und Andere zur ultimativen Bedrohung wird, weil wir insgeheim immer schon ahnen, dass das Fremde stets ein unerträglicher Reflex des Eigenen zu sein vermag. Die Jagd des Menschen auf die Tiere ist möglicherweise ein treffender Beleg dafür, wie brüchig und verschwommen doch gerade die Grenze zwischen den Wesen ist. Das triumphalistische Töten dient der immer wieder aufs Neue vorzunehmenden kosmetischen Korrektur dieser verschwommenen Trennlinie. Die Pragmatik des Tötens soll belegen, was in der Erfahrung längst verloren gegangen ist: jene trennende Glasmembran, von der Reinhold Schneider schreibt. Sobald sie fällt, wird das Andere gerade deswegen zur Bedrohung, weil es dem Eigenen so gespenstisch ähnlich ist.

Viel hängt deswegen davon ab, wie viel Zwangsläufigkeit wir dieser konfrontativen Konstellation von Ich und Du, Eigenem und Fremdem zuschreiben wollen, und ob ein solches Gegenüber notwendigerweise Gewalt befördert. Auch viele spätere Deutungen greifen diese kriegerische Opposition von Ich und Du auf und stilisieren sie zum alternativlosen Drama des Lebendigen schlechthin – der Krieg aller gegen alle, der homo homini lupus, verschiedenste sozialdarwinistische Verästelungen der Evolutionstheorie, selbst die Spieltheorie setzt auf die Produktivität dieses Gegensatzpaares. Für das zukünftige Verhältnis von Menschen und Tieren wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob wir weiterhin bereit sind, diesem scheinbar alternativlosen Mantra zuzustimmen: Wenn Du bist, kann ich nicht sein – und vice versa: Wenn Ich sein soll, kannst Du nicht sein.

Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?

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